Was ist halal-freundliches Reisen?
Bei halal-freundlichem Reisen geht es in der Praxis um die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, die es Muslimen ermöglichen, im Einklang mit ihrem Glauben zu reisen. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass Halal-Speisen oder alkoholfreie Bereiche vorhanden sind sowie Gebetseinrichtungen oder Freizeiteinrichtungen wie Pools/Spas, die ausschließlich Frauen bzw. Männern offenstehen.
Die Tourismusbranche reagiert auf das enorme Potenzial dieses noch relativ unerschlossenen Marktes und erkennt, dass es sich um einen wichtigen internationalen Trend und ein potenziell lukratives Wachstumsfeld handelt.
Im Jahr 2018 beliefen sich Ausgaben von Muslimen für Reisen auf 189 Milliarden US-Dollar und sollen laut Bericht über den Stand der Globalen Islamischen Wirtschaft 2019/2020 von DinarStandard bis 2024 um 45% auf 274 Milliarden US-Dollar steigen.
Warum ist halal-freundliches Reisen so beliebt in ganz Europa?
Laut einer 2017 veröffentlichten Erhebung des in den USA ansässigen Pew Research Center machten Muslime 2016 4,9% der europäischen Bevölkerung aus, mithin 25,8 Millionen Menschen. Dabei wies Frankreich mit 5,7 Millionen (8,8% der Bevölkerung) die höchsten absoluten Zahlen auf, in Deutschland waren es 4,9 Millionen (6,1%) und in Großbritannien 4,1 Millionen (6,3%).
Je etablierter und wohlhabender diese muslimischen Gemeinschaften werden, desto weniger ist ihr Reiseverhalten auf ihr Herkunftsland fixiert und wird stärker von Faktoren in ihrem Wohnsitzland beeinflusst. Die Tage des alljährlichen sechswöchigen Sommerurlaubs mit dem Auto in der Heimatstadt sind gezählt. Immer mehr muslimische Familien aus europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien bevorzugen es, innerhalb eines Jahres mehrere Kurzurlaube an Urlaubsorten zu machen, die sie mit dem Flugzeug in drei bis vier Stunden erreichen können. Sie entscheiden sich dabei häufig für einen All-inclusive-Strandurlaub mit allem, was dazugehört. Dabei können Strandurlaube eine besondere Herausforderung darstellen, etwa was das Tragen von Badebekleidung wie dem Burkini in geschlechtergemischten Einrichtungen angeht. Manche Muslime fühlen sich daher in einer Umgebung, in der diese Bekleidung die Norm darstellt, wohler. Ob aus religiösen oder aus kulturellen Gründen: Viele muslimische Frauen fühlen sich in einem reinen Frauen-Pool- oder am Frauen-Strand entspannter, da sie dort in einem privat anmutenden, rein weiblich geprägten Umfeld schwimmen und sich sorgenfrei im Bikini sonnen können. Gleiches gilt für viele muslimische Männer, die lieber in reiner „Männergesellschaft“ schwimmen oder sich sonnen. Darüber hinaus bevorzugen viele Gäste diese Resorts wegen ihrer kinderfreundlichen Atmosphäre und des familienfreundlichen Animations- und Unterhaltungsprogramms.
Türkei - marktführendes Reiseziel
Die Türkei hat ihren Vorteil der geografischen Lage an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien genutzt und sich schnell als Marktführer bei halal-freundlichen Strandresorts etabliert.
Muslim-freundliche Strandresorts in der Türkei haben eine Fallstudie in Bezug auf die enorme Nachfrage und das Umsatzpotenzial von Halal-Strandresorts erstellt. Die vor einem Jahrzehnt in Großbritannien gegründete spezialisierte Buchungsplattform HalalBooking.com schätzt den Jahresumsatz türkischer halal-freundlicher Resorts auf über 200 Millionen US-Dollar.
Halal-Reisebranche gewinnt an Popularität
Es sind jedoch nicht nur muslimische Länder, die sich bemühen, den wachsenden Markt der Halal-Reisebranche zu bearbeiten. Auch offizielle Tourismusbehörden in so unterschiedlichen Ländern wie Spanien und Japan sind daran interessiert, halal-bewusste Reisende anzulocken. Überall in Europa gibt es alkoholfreie Hotels, die nicht nur muslimische Gäste ansprechen, sondern auch eine wachsende Zahl gesundheitsbewusster Gäste. Reiseziele wie Marokko, Malaysia, Indonesien oder die Malediven stellen sich ebenfalls vermehrt auf diese Zielgruppe ein und haben ihr Halal-Angebot entsprechend erweitert.
Wie hat sich die Coronavirus-Pandemie auf diese Branche ausgewirkt?
Natürlich hat die weltweite COVID-19 Pandemie die Reisebranche unverhältnismäßig stark getroffen. Von April bis Juni blieben alle Hotels geschlossen, was nicht nur Nullumsätze für Reiseunternehmen mit sich brachte, sondern auch die Notwendigkeit, stornierte Reisen zu erstatten oder Reisedaten zu ändern.
Während der Luftverkehr im Vergleich zum Vorjahr um 55% zurückging, mussten Reisegiganten wie Booking Holdings und Expedia bis zu 25% der Arbeitsplätze abbauen. Kayak und OpenTable, Submarken von Booking Holdings, beurlaubten oder entließen im April rund 400 Mitarbeiter, und das Schwesterunternehmen Agoda in Singapur trennte sich im Mai von rund 1.500 Mitarbeitern. Tripadvisor baute ein Viertel seines Mitarbeiterstabs ab, mehr als 900 Mitarbeiter im April, und Airbnb baute im Mai ebenfalls 25 Prozent seiner Arbeitsstellen ab. HalalBooking hingegen konnte im August und September gegenüber dem Vorjahr um 25% zulegen, was das Potenzial der Halal-Reisebranche und des Technologieunternehmens zeigt, das kürzlich eine Serie-B-Finanzierungsrunde in Höhe von 15 Mio. USD startete. 2019 gelangte das Unternehmen in der “The Sunday Times Fast Track 100” auf Platz 33 und in der Financial Times FT 1000 auf Platz 237. Damit ist es das am schnellsten wachsende Reise- und Freizeitunternehmen in Großbritannien und die Nr. 8 der am schnellsten wachsenden Unternehmen der Branche in Europa.
Welche Märkte erholen sich?
Einige Märkte wiesen sogar noch höhere Wachstumsraten auf. Im August überholte Großbritannien Deutschland mit einem erstaunlichen Wachstum von 85% gegenüber dem Vorjahresmonat. Im September stiegen auch die Verkäufe in Großbritannien, wobei das Monatsende gegenüber dem Vormonat 2019 um 70% zulegte. Die Verkäufe an Kunden mit Sitz in der Türkei stiegen in beiden Monaten ebenfalls um rund 30%. Auch die Schweiz war mit einem überproportional hohen Umsatzanstieg ein Überraschungssieger im September.
Entscheidend für diesen Erfolg war die Einführung des Zertifikats für sicheren Tourismus durch das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus und das Gesundheitsministerium als Reaktion auf COVID-19. Die Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen spielten definitiv eine wesentliche Rolle bei der Steigerung des Umsatzes in Großbritannien, da die Türkei hier als Teil ihres Programms für sichere Reisekorridore angesehen wurde. Der deutsche Markt hingegen litt leider unter den anfänglichen Reisebeschränkungen, die erst Ende August teilweise aufgehoben wurden (bei der Rückkehr nach Deutschland wurde die Vorlage eines negativen PCR-Tests erforderlich), und so fiel die Hauptsommersaison aus.
Reisende, welche die Türkei im Sommer 2020 besuchten, fühlten sich dank der getroffenen Maßnahmen so wohl, dass sich die Kundenzufriedenheitswerte für halal-freundliche Strandresorts in der Türkei im Vergleich zu 2019 im Durchschnitt um 0,2 Punkte von 8,2 auf 8,4 erhöhte.
Im August 2020 erholte sich HalalBooking mit einem Umsatz von 2,7 Mio. US-Dollar vollständig, was einer Steigerung von 10% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Im September 2020 stieg der Umsatz von HalalBooking gegenüber dem Vorjahr im zweiten Monat in Folge, mit einer Steigerung des Gesamtumsatzes um über 25% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Ufuk Secgin, Chief Marketing Officer von HalalBooking, geht davon aus, dass in den nächsten 6 bis 8 Monaten mit Verabreichung des Impfstoffs an große Teile der Bevölkerung, dem Ausbau der Schnelltestkapazitäten in den Testzentren und an Flughäfen, einer besseren Kontaktnachverfolgung als auch besseren Behandlungsmethoden Erkrankter eine Normalisierung des Lebens Mitte 2021 eintreten wird Dementsprechend prognostiziert er, dass sich der Reisemarkt mit Beginn der Sommerferien rapide erholen wird, und dies mit Wachstumsraten, wie sie vor der Covid- 19-Pandemie verzeichnet wurden.
Mut machen hier insbesondere die jüngsten Aussagen von Ugur Sahin, Chef des deutschen börsennotierten Biotechnologie-Unternehmens BioNTech. Sahin zeigt sich optimistisch und erwartet in den nächsten Tagen erste Daten aus der entscheidenden Wirksamkeitsstudie des potenziellen Impfstoffs. Im Falle positiver Ergebnisse könnte schon Mitte November bei der US-Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) eine Notfallgenehmigung eingereicht und Ende Dezember mit der Verabreichung des Impfstoffs begonnen werden.