von Feride Tavus
In der Nacht des rassistischen Anschlags in Hanau ist einiges schief gelaufen. Aber auch bei den anschließenden Ermittlungen gibt es viele Unklarheiten. Bis heute quält die Frage nach dem verschlossenen Notausgang die Angehörigen der Opfer. Es gibt viel Kritik an der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız spricht in einem Interview mit TRT Deutsch von „Behördenversagen“ und „strukturell rassistischen“ Ermittlungen.
Im Untersuchungsausschuss sollen sich CDU-Abgeordnete bei den Zeugenbefragungen respektlos gegenüber den Angehörigen der Opfer verhalten haben. Einige von ihnen hätten mit dem Handy gespielt, telefoniert oder seien ständig ein- und ausgegangen. Laut Başay-Yıldız fehlt bei den Verantwortlichen der Wille zur Aufklärung. Es werde immer nur behauptet, die Ermittlungsbehörden hätten alles richtig gemacht.
Tobias R. hatte am 19. Februar 2020 in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen getötet. Zuvor hatte er im Internet Pamphlete und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischem Gedankengut veröffentlicht. Er sei den Behörden als „psychisch auffälliger“ Täter bekannt gewesen, sagte Başay-Yıldız. Die Behörden hätten ihm keine Waffenerlaubnis erteilen dürfen. Bei einem Ali, Mohamed oder Ahmet wäre die Situation anders gewesen. Ihnen wäre niemals eine Waffenerlaubnis legal erteilt worden, so die Anwältin.
In der Konsequenz müssten die Ermittlungsbehörden ihre Fehler einräumen. Niemand sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das geschehe einfach nicht, da die Opfer Migranten waren, erklärte Başay-Yıldız abschließend. Die Ermittlungen bleiben laut der Anwältin weiterhin „strukturell rassistisch“. Daran ändere sich nichts.
Auf Initiative der Angehörigen sei ein Gutachter beauftragt worden, der die Ermittlungspannen aufgedeckt habe. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Ermittlungsbehörden gewesen. Es sei „politisch und auch von Seiten der Justiz nicht gewollt“, dem nachzugehen, sagte Başay-Yıldız.
Im Mittelpunkt der zahlreichen Pannen steht laut Başay-Yıldız der verschlossene Notausgang der Arena-Bar. Dies sei eine behördliche Anordnung gewesen. Für die Anordnung habe es keine strafrechtlichen Konsequenzen gegeben. Es bestehe auch Fragen hinsichtlich der Haftung, da Menschenleben hätten gerettet werden können, so Başay-Yıldız. Doch sobald es um Behördenversagen gehe, werde grundsätzlich blockiert. Das sei immer so gewesen, auch bei den NSU-Morden. Hanau bilde hier keine Ausnahme, so die Rechtsanwältin.
Der Untersuchungsausschuss des Landtags hat seine Beweisaufnahme trotz offener Fragen abgeschlossen. Gemäß Artikel 3 des Grundgesetzes sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dennoch würden „Menschen mit Migrationshintergrund vor dem Gesetz anders behandelt“, beklagt die Anwältin. Dies sei eine Tatsache.
Seit August 2018 erhält die Rechtsanwältin selbst rassistische Drohbriefe. Frankfurter Polizisten sollen ihre Adresse weitergegeben haben. Gegen die Beamten und ihre Kollegin werde immer noch wegen Bedrohung ermittelt, bestätigte Başay-Yıldız. Die rechtsextreme Gesinnung der Beamten sei seit fünf Jahren bekannt. Obwohl sie suspendiert seien, erhalten sie immer noch ihr Gehalt vom Land Hessen. Dieses inkonsequente Vorgehen der Behörden sei nicht nachvollziehbar, so Başay-Yıldız.
Eine militante rechte Szene habe es in Hessen schon immer gegeben. Aber Polizisten mit rechtsextremer Gesinnung müssten aus dem Dienst entfernt werden, forderte sie. Schließlich hätten sie einen Eid auf die Verfassung geschworen. Demnach sind Polizisten verpflichtet, alle Bürger gleich zu behandeln und zu schützen. Dies sei jedoch mit einer rechtsextremen Gesinnung nicht vereinbar. Solange Rechtsextreme, Antisemiten und Rassisten im Polizeidienst seien, werde es für die Täter keine Konsequenzen geben, fügte Başay-Yıldız hinzu.
TRT-Deutsch bat die Staatsanwaltschaft Hessen um eine Stellungnahme zu den Ermittlungspannen. Die Pressestelle verwies auf bereits veröffentlichte Stellungnahmen und beantwortete keine weiteren Fragen.