von Emre Bölükbaşı
Hasan Alkaş, Professor an der Hochschule Rhein-Waal, gilt als Experte für Mikroökonomie. Der türkischstämmige Akademiker war auch als Berater des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım während dessen Amtszeit als Verkehrsminister in Türkiye tätig.
Im TRT Deutsch-Interview vergleicht der Experte die Auswirkungen der gegenwärtigen Krisen auf Deutschland und Türkiye. Dabei würdigt Alkaş insbesondere die türkische Energie- und Ukrainepolitik.
Deutschland kämpft derzeit gegen eine Wirtschaftskrise. Sind die Maßnahmen der Ampel-Regierung wie etwa das geplante Bürgergeld oder die Entlastungspakete der Weg aus der Krise?
Wenn man sich die Politik der Bundesregierung, auch der vorherigen Merkel-Regierung anschaut, haben die deutschen Politiker einen Hang, die Krisen mit Geld zu lösen. Das mag kurzfristig sehr weise sein, aber langfristig ist das natürlich sehr teuer. Zumal jetzt auch die Zinsen steigen. Das ist ein Riesenproblem, was auch letztlich die Inflation in Deutschland verursacht hat und auch alle Übel, letztlich auch diese Krise, mitverursacht hat.
Zum Thema Bürgergeld: Das hat jetzt nichts direkt mit der Krise zu tun, sondern das ist eine Sache, wo man den Hartz-IV-Menschen mehr Sparvermögen ermöglichen will – was ich einerseits gut finde. Auf der anderen Seite finde ich aber, würde man so Menschen, die in der Lage sind zu arbeiten, vor allem jungen Menschen, mit Bürgergeld eine Art bedingungsloses Einkommen gewähren.
Welche Unterschiede stellen Sie fest, wenn Sie die Auswirkungen der globalen Krisen auf Deutschland und Türkiye vergleichen?
Da muss man zunächst mal sehen, dass durch die Energiekrise natürlich Deutschland als Industrie-Nation, vor allem auch mit energieintensiven Industrien, deutlich stärker leidet als jedes andere europäische Land. Und deswegen ist ja dann Deutschland auch das einzige Land, wo die Wirtschaft schrumpfen wird. Das zeigt also: Die Energieabhängigkeit von Deutschland ist nicht nur auf Gas und Öl beschränkt, sondern die Abhängigkeit Deutschlands gibt es auch bei den günstigen Ressourcen. Wir haben eine negative Handelsbilanz, was für Deutschland ein sehr ungewöhnlicher Fall ist, was aber für Deutschland natürlich sehr schädlich ist, weil wir hier in einen Deindustrialisierungsprozess abgleiten.
Die Inflationsauswirkung ist in Deutschland deutlich stärker, zumal auch in Deutschland natürlich die Abgaben schon sehr hoch sind. Die Fixkosten sind sehr hoch, wir haben sehr viele Versicherungen, wir haben sehr viel Altersvorsorge. In Türkiye werden die Inflationen durch die Löhne mehr oder weniger ausgeglichen. Diesen Mechanismus hat man in Deutschland nicht.
Deutschland galt für Türken lange Zeit als vorbildliche Wirtschafts- und Industrie-Nation. Hält dieser Trend heute noch an?
Ich sehe natürlich, dass sich in Türkiye auch vieles zum Guten wendet. In Türkiye haben wir eine sehr dynamische junge Generation. Wir Türken sind sehr gut im analytischen Denken, im pragmatischen Denken. Türken sind sehr flexibel, sie gehen schnell an die Sachen heran. Türken arbeiten im Krisenmodus viel besser, Deutsche sind im Normalbetrieb gut. Deutschland muss lernen, nicht alles bis ins Kleinste zu regulieren, sondern einfach auch mal loszumarschieren und zu sagen: „So, jetzt müssen wir auch mal ein bisschen auf die Schnelligkeit achten“.
Beim Ukraine-Krieg gilt Ankara derzeit als wichtigster Vermittler. Wie bewerten Sie die Rolle von Türkiye im Ukraine-Krieg?
Was jetzt die Vermittlungsrolle von Erdoğan angeht, das hat er sehr gut gespielt, das hat er sehr gut gemacht. Er hat die Interessen von Türkiye in den Vordergrund gestellt und hat gesagt: „Ich kann mir jetzt nicht erlauben, hier wie ein Pubertierender einen auf Macker zu machen und zu sagen: ‚Ich mache mit niemandem jetzt Geschäfte.‘ Stattdessen muss ich erst mal schauen, dass ich meine eigenen Leute mit Energie, mit Gas, mit Getreide und mit Sonnenblumenöl versorge.‘“ Das ist auch das, was die Bevölkerung von einem Präsidenten erwartet. Das hat er sehr gut gemacht.
Was man aber auch im gleichen Zug natürlich kritisieren muss, ist, dass die EU zum Beispiel Türkiye jahrelang hingehalten hat, fast über 50 Jahre lang. Der Ukraine, die natürlich näher ist, sich aber im Krieg befindet, wird eine EU-Perspektive eröffnet, und Türkiye wird die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Erdoğan und Putin schlugen vor, Türkiye zu einer Gas-Drehscheibe zu machen. Wie bewerten Sie das Vorhaben?
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass der russische Präsident Putin Türkiye vorschlägt, eine Art Gasbörse oder als Energie-Hub zu fungieren. Das wäre natürlich für Türkiye eine außerordentlich wichtige Position. Und Türkiye versucht ja auch, dem gerecht zu werden. Sie planen, nächstes Jahr eine Gaskonferenz vermutlich in Istanbul zu organisieren.
Bei der Energiepolitik haben Deutschland und Türkiye verschiedene Zukunftspläne. Während Ankara auf Kernkraftwerke setzt, lässt sich in Deutschland eine ablehnende Haltung feststellen. Welcher Ansatz erscheint hier sinnvoller?
Selbstverständlich finde ich den türkischen Ansatz, Kernkraftwerke zu bauen, gut. Nehmen Sie mal als Beispiel das Kernkraftwerk in München. Isar 2 ist eines der drei größten Kernkraftwerke weltweit. Und das wollen wir jetzt auf einmal einfach so schließen. Das ist nicht verständlich, zumal wir in Deutschland natürlich Klimawandel und Klimaschutz sehr großschreiben.