Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident Joe Biden haben bei einem Treffen in Washington demonstrative Nähe gezeigt, im Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 aber noch keinen Durchbruch erzielt. „Wir sind nicht nur Verbündete und Partner, sondern eng befreundete Nationen“, sagte Merkel am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus. Sie betonte den „freundschaftlichen Charakter“ der Gespräche mit Biden und nannte ihn „lieber Joe“. Biden bezeichnete Merkel als „großartige Freundin, eine persönliche Freundin und eine Freundin der USA“. Er würdigte außerdem Merkels 16-jährige Kanzlerschaft, die nach der Bundestagswahl im September enden wird, als „historisch“. Scherzhaft fügte Biden hinzu, Merkel habe als Kanzlerin so oft das Weiße Haus besucht, dass sie „das Oval Office besser kennt als ich“.
„Bedenken“ gegen Nord Stream 2
Die Kanzlerin und der US-Präsident zelebrierten damit einen Neustart der deutsch-amerikanischen Beziehungen, die unter Bidens Vorgänger Donald Trump als belastet galten. Meinungsverschiedenheiten aber bleiben - besonders bezüglich der nahezu fertiggestellten Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Deutschland bringen soll und von der US-Regierung entschieden abgelehnt wird. „Hier haben wir unterschiedliche Einschätzungen, was dieses Projekt mit sich bringt“, räumte Merkel ein. Sie betonte aber, Deutschlands „Verständnis“ sei, „dass die Ukraine Transitland für Erdgas bleibt“. Auch müsse die „territoriale Souveränität“ des Landes gewahrt bleiben. Sollte Russland dies nicht respektieren, werde Deutschland „aktiv auch handeln“. Einer Nachfrage nach möglichen konkreten Maßnahmen für den Fall, dass Russland seinen Gastransit durch die Ukraine unterbricht, wich Merkel aber aus. „Ich will jetzt hier nicht spekulieren“, sagte die Kanzlerin. „Das wird sich dann zum entscheidenden Zeitpunkt herausstellen, von dem ich hoffe, dass er nicht kommt.“ Biden sagte, er habe im Gespräch mit Merkel seine „Bedenken“ gegen Nord Stream 2 zum Ausdruck gebracht. Er und Merkel würden aber „voll und ganz die Überzeugung teilen, dass Russland nicht erlaubt werden darf, Energie als Waffe zu nutzen, um seine Nachbarn zu etwas zu zwingen oder zu bedrohen“. Die USA befürchten eine stärkere Abhängigkeit Europas von russischem Gas und eine Gefährdung des Transitlandes Ukraine. Die US-Regierung verlangt deswegen von der Bundesregierung konkrete Zusicherungen an Kiew. Washington und Berlin haben sich bis zum August Zeit gegeben, um den Streit beizulegen.
Überprüfung des Einreiseverbots
Merkel und Biden berieten am Donnerstag auch über den Umgang mit China, den Kampf gegen den Klimawandel und die Corona-Pandemie, die Lage in Afghanistan und das Atomprogramm des Iran. Die Kanzlerin sprach auch das seit März 2020 wegen der Coronakrise geltende US-Einreiseverbot für Europäer an, das in Deutschland zunehmend auf Kritik stößt.
Biden versprach eine rasche Überprüfung des Einreiseverbots. Seine Corona-Experten würden prüfen, „wie bald“ die Beschränkungen aufgehoben werden könnten, sagte der Präsident. „Ich werde in der Lage sein, in den kommenden Tagen die Frage zu beantworten, was passieren wird.“
Merkel, die seit ihrem Amtsantritt 2005 mit vier US-Präsidenten zusammengearbeitet hat, stattete den USA ihren vermutlich letzten Besuch als Kanzlerin ab. Überschattet wurde die Reise von den verheerenden Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit dutzenden Toten. Biden sprach Deutschland seine „aufrichtige Anteilnahme“ aus. „Es ist eine Tragödie“, sagte der Präsident. „Unsere Herzen sind bei den Familien, die geliebte Menschen verloren haben.“
Merkel zeigte sich schockiert von der Unwetterkatastrophe. „Das Leid der Betroffenen geht mir sehr nahe“, sagte sie. „Ich fürchte, das ganze Ausmaß der Tragödie werden wir erst in den nächsten Tagen sehen.“