Mehr als drei Jahre nach der Tat beschäftigt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) erneut die Justiz. Am Donnerstag verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über die Revisionen. Sowohl die Angeklagten als auch der Generalbundesanwalt, Lübckes Familie und ein weiterer Nebenkläger legten Rechtsmittel gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom Januar 2021 ein.
Damals wurde der Rechtsextremist Stephan E. wegen Mordes zur Höchststrafe verurteilt, der Mitangeklagte Markus H. wegen Waffendelikten zu einer Bewährungsstrafe. Vom Vorwurf der psychischen Beihilfe zum Mord wurde H. jedoch freigesprochen.
E. war zudem wegen eines Messerangriffs auf einen irakischen Flüchtling im Januar 2016 angeklagt. Dieser Vorwurf konnte nach Ansicht des Gerichts allerdings nicht erhärtet werden, E. wurde diesbezüglich freigesprochen.
Angeklagte wenden sich gegen Verurteilung
Vor dem BGH wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilung, während der Generalbundesanwalt ihre Teilfreisprüche beanstandet – und in E.s Fall die Entscheidung, die Sicherungsverwahrung lediglich vorzubehalten. Lübckes Familie greift den Teilfreispruch für H., das Opfer des Messerangriffs den Teilfreispruch für E. an.
Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 an seinem Wohnhaus im nordhessischen Wolfhagen-Istha aus nächster Nähe erschossen worden. Die Ermittler gingen bald von einem rechtsextremistischen Hintergrund der Tat aus. E. geriet infolge eines DNA-Treffers in den Fokus der Ermittlungen. Bei der Tat handelte es sich nach Überzeugung des Frankfurter Staatsschutzsenats um einen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen. E. sei einer „von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragenen völkisch-nationalistischen Grundhaltung“ verhaftet.
Prozess war von drei unterschiedlichen Geständnissen geprägt
Geprägt war der Prozess vor allem von drei unterschiedlichen Geständnissen E.s. In seinem Urteil folgte der Senat dem ersten Geständnis, auf dem auch die Anklage in großen Teilen basierte. Laut Urteil handelte E. allein. Tatauslöser war eine Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden, bei der Lübcke die Eröffnung eines Flüchtlingsheims verteidigt hatte. Ein Video davon wurde im Internet verbreitet.
Die Frage nach der Entstehung der insgesamt drei Geständnisse führten zur Abberufung von E.s Verteidiger Frank Hannig. Sein Koverteidiger Mustafa Kaplan warf ihm vor, das zweite Geständnis in Teilen erfunden zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Hannig, stellte das Verfahren im Mai 2022 jedoch ein.
Lübcke-Mord hat auch Konsequenzen in der hessischen Politik
Der Fall Lübcke hat auch Konsequenzen in der hessischen Politik. Ein Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag beschäftigt sich seit dem Sommer 2020 mit der Frage, ob es ein Versagen der Sicherheitsbehörden gab. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, warum die Behörden den seit Ende der 80er Jahre als Rechtsextremist bekannten E. aus dem Blickfeld verloren. Der Abschlussbericht soll im Juli 2023 vorgestellt werden.
Der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg hatte auch weitreichende gesellschaftliche Folgen. Landesweit wurde über einen höheren Schutz von Lokalpolitikern vor Bedrohungen diskutiert. Immer wieder gab es es länderübergreifende Durchsuchungen wegen Hasskommentaren im Zusammenhang mit Lübcke in sozialen Netzwerken.
Infolge der Verhandlung vor dem BGH erhofft sich Lübckes Familie nach Angaben ihres Sprechers Dirk Metz eine Verurteilung H.s im Zusammenhang mit dem Mord. Die Familie sei „aufgrund einer Vielzahl an Indizien überzeugt“, dass H. die Tat zusammen mit E. „geplant und vorbereitet hat und beide zudem den Mord auch gemeinsam ausgeführt haben“, erklärte Metz. Am 25. August will der BGH sein Urteil verkünden.
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