SPD-Chef Lars Klingbeil warnt seine Partei vor einer Debatte über die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz. „Olaf Scholz ist der Kanzler. Und alle, die in der SPD Verantwortung tragen, haben in den letzten Tagen auch deutlich gemacht, dass wir hinter ihm stehen“, sagte Klingbeil am Rande einer SPD-Veranstaltung in Essen. Für die SPD sei es nun wichtig, „dass wir uns inhaltlich auseinandersetzen mit dem Bundestagswahlkampf, aber nicht über Personal diskutieren“.
Trotzdem gibt es in der SPD immer mehr Stimmen, die sich offen für eine Kanzlerkandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius aussprechen. Neben einer Reihe von Kommunal- und Landespolitikern plädieren nach „Spiegel“-Informationen inzwischen auch mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete dafür. Besonders kritisch habe sich bei einem Treffen des eher konservativ orientierten Seeheimer Kreises am vergangenen Dienstag der Abgeordnete Joe Weingarten aus Rheinland-Pfalz geäußert, heißt es in dem Bericht: Scholz sei bei den Menschen im Land „unten durch“.
Weingarten wollte den Bericht auf dpa-Anfrage nicht kommentieren. Er betonte aber, „dass ich die inständige Hoffnung habe, dass die SPD-Spitze und alle Verantwortlichen eine gemeinsame und schnelle Antwort finden, um uns aus der schweren Krise und dem Umfragetief herauszuführen, in dem wir uns befinden“.
Klingbeil forderte mit Blick auf die Kandidatendebatte, der Fokus der Partei müsse ein anderer sein: „Es gibt eine Polarisierung zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz. Das sind fundamentale Gegensätze.“ Es gehe um die Frage, ob man Politik für Besserverdienende mache, oder für Pflegekräfte, Erzieher und Bauarbeiter. „In diese Auseinandersetzung werden wir jetzt reingehen“, betonte der SPD-Chef. Die SPD kam in Umfragen zuletzt nur auf Werte um die 16 Prozent, die Union liegt mit Umfragewerten um die 32 Prozent deutlich vorn.
„Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt“
Trotz der Mahnungen der Parteispitze wächst der Druck, mit dem deutlich beliebteren Pistorius in den Wahlkampf zu ziehen. Immer mehr Basis-Gruppierungen rufen inzwischen laut nach einer Auswechslung. Sonst drohe eine dramatische Niederlage bei der Bundestagswahl, warnte zuletzt der Unterbezirk Bochum - Teil der einflussreichen NRW-SPD.
Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte Unterbezirks-Chef Serdar Yüksel dem „Stern“. „Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius.“ Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung, betonte Yüksel. „Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt.“
Für die Parteispitze gilt Scholz bisher als gesetzt - das haben die SPD-Chefs Klingbeil und Saskia Esken, aber auch Generalsekretär Matthias Miersch in den letzten Tagen immer wieder beteuert. Scholz selbst hat bereits klargemacht, dass er antreten und Kanzler bleiben will. Dass die Parteiführung gegen seinen Willen einen anderen Kandidaten nominiert, gilt als nahezu ausgeschlossen. Für einen Wechsel müsste der 66-Jährige also wohl selbst zurückziehen.
Scholz setzt auf Aufholjagd
Scholz selbst antwortete in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ nur ausweichend auf die Frage, ob er sich unter bestimmten Umständen vorstellen könnte, die Kandidatur zu überdenken. „Na ja, die Umstände der nächsten Wahl sind doch ziemlich klar“, sagte er. Auf die Nachfrage, wie es bei einer Verschlechterung der Umfragewerte wäre, fügte er hinzu: „Die Zuverlässigkeit solcher Umfragen ist überschaubar, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, auch wenn das manche schnell vergessen haben.“
Viel Zeit hat die SPD nach dem Bruch der Koalition nicht mehr für die Nominierung ihres Kanzlerkandidaten. Am 23. Februar soll gewählt werden - und die Kampagnen werden üblicherweise sehr auf den Kandidaten zugeschnitten. Eine Entscheidung der Parteiführung wird bis zu einer sogenannten Wahlsieg-Konferenz am 30. November erwartet. Für den 11. Januar ist ein Parteitag angesetzt, auf dem die Personalie dann noch bestätigt werden könnte.