ARCHIV - 24.08.2024, Thüringen, Sömmerda: AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung hinter einer Deutschlandfahne mit dem Eisernen Kreuz. / Photo: DPA (dpa)
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von Selim Çalık

Die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September könnten eine politische Wende in Deutschland einläuten. Der Diskurs in den beiden Bundesländern hat sich stark nach rechts verschoben, angetrieben von migrationsfeindlicher Rhetorik, die zunehmend nicht nur von extremen Parteien wie der AfD, sondern auch von etablierten politischen Kräften aufgegriffen wird. Die politische Debatte in Deutschland wird zunehmend von Ängsten und Ressentiments bestimmt, die zum Teil auch geschickt instrumentalisiert werden.

Die AfD hat sich in den aktuellen Umfragen sowohl in Thüringen als auch in Sachsen als führende Kraft etabliert – mit Umfragewerten von mehr als 30 Prozent. Die AfD hat es damit geschafft, ihre Parteibasis zu festigen – wohl auch Dank ihrer Rhetorik.

Doch was einst als extrem galt, wird zunehmend zur neuen Normalität. Der Rechtsruck macht sich auch bei den etablierten Parteien bemerkbar. Der Raum für offene und liberale Migrationsdebatten wird damit immer enger.

Anschlag von Solingen: Ein Wendepunkt im politischen Diskurs?

Der tödliche Messerangriff in Solingen vom 24. August, bei dem drei Menschen durch einen ausreisepflichtigen Syrer getötet wurden, hat den politischen Diskurs um Migration weiter befeuert. Die Opposition sieht darin eine Folge einer gescheiterten Asylpolitik und überforderter Behörden.

Vor allem die AfD sieht in dem Vorfall eine Bestätigung für ihre politischen Ziele und Positionen, die von Abschottung gegenüber Geflüchteten geprägt ist. Die AfD präsentiert sich als einzige politische Kraft, die die „Sicherheit“ der deutschen Bürger gewährleisten kann. Sie fordert dafür unter anderem die sofortige Abschiebung von allen straffällig gewordenen Asylbewerbern und vertritt eine islamophobe Haltung.

Die Alternative der Alternative

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gilt als größter Konkurrent der AfD in Ostdeutschland – nicht etwa aufgrund der ideologischen Nähe, sondern als politische Alternative zur Alternative. Denn sie vertritt ähnlich progressive Positionen im Bereich der Einwanderungspolitik – jedoch mit einer „kontrollierten Einwanderung“ im Zentrum der Agenda. Die Gefahr durch zugewanderte Gefährder und den Rechtsruck sieht sie als Folge einer verfehlten Regierungspolitik. Sie teilt dabei aber nicht die völkische Ideologie der AfD, deren Mitglieder teils andere Volksgruppen im Land stigmatisieren.

Das BSW macht auf ähnliche Probleme aufmerksam, zeigt jedoch andere Wege auf. Damit ist sie auch für Wähler der AfD interessant, die unter keinen Umständen ihr Kreuz bei den etablierten Parteien setzen würden. Das BSW greift populistische Themen aus verschiedenen Lagern auf – auch von denen am äußerten Rand. Mit ihrer Palästina-solidarischen Haltung und ihrer Ablehnung von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete bietet sie auch außenpolitisch neue Perspektiven.

CDU-Chef Friedrich Merz war auch schon früher für seine migrationskritischen Positionen, vor allem gegen muslimische Bevölkerungsgruppen, bekannt. Er fordert eine strikte Rückführungspolitik für Asylbewerber, die keine Aussicht auf Anerkennung haben. Die CDU, die zeitweise als moderat-konservative Kraft galt, bewegt sich wieder zunehmend auf rechtskonservativem Terrain.

Auch die Regierung ändert ihre Rhetorik

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besuchte drei Tage nach dem Anschlag von Solingen den Ort der Tat. Er nannte die Attacke „Terrorismus gegen uns alle“ und kündigte eine Verschärfung des Waffenrechts sowie verstärkte Abschiebungen als Präventivmaßnahmen an. Offenbar auch unter dem Druck der Öffentlichkeit reagierte Scholz mit ungewohnt harten Worten. Daneben sprach sich zuletzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für „konsequente Rückführungen“ aus: um „die innere Sicherheit zu gewährleisten“.

Der wenige Tage danach erfolgte Abschiebeflug von afghanischen Straftätern könnte einerseits als Symbolpolitik, andererseits als erstes Zeichen einer Wende in der Migrationspolitik gesehen werden. Denn bisher galt dies als Tabu, da die Taliban seit 2021 wieder in Afghanistan regieren – eine Regierung zu der die Bundesrepublik keinerlei Kontakte pflegt. Den Straftätern drohen dort Folter bis hin zur Todesstrafe. Die Kritik von Seiten der Menschenrechtler ist daher groß. Solche und ähnliche Vorstöße der Regierung deuten auf eine Annäherung zu radikalen AfD-Positionen hin.

Wandel der politischen Kultur

Selbst bei den Grünen, die traditionell eine offene Haltung in der Migrationspolitik vertreten haben, zeichnet sich ein Wandel ab. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang fordert eine Reform des Asylsystems, wobei es auch um Abschiebungen geht. Diese und ähnliche Aussagen in jüngster Zeit zeigen, dass auch die Grünen als ehemalige Bastion des Liberalismus unter dem Druck des Rechtsrucks stehen.

Die Haltung der etablierten Parteien zeigt zudem auf, wie tief der Rechtsruck in den politischen Diskurs eingedrungen ist und dass migrantenfeindliche Positionen nicht immer nur am rechten Rand zu finden sind. Wenn dieser Trend anhält, könnte dies zu einer langfristigen Verschiebung der politischen Kultur in Deutschland führen, wobei Menschenrechte und Toleranz zunehmend an den Rand gedrängt werden.

TRT Deutsch