Er war das Gesicht der internationalen Diplomatie der palästinensischen Widerstandsgruppe Hamas, während Israels Vernichtungskrieg im Gazastreifen tobte. Drei seiner Söhne waren zuvor bei einem israelischen Luftangriff im April getötet worden. Nun ist Hamas-Chef Ismail Hanija im Iran bei einem Attentat ums Leben gekommen. Hinter dem Anschlag soll Israel stecken.
Von vielen Diplomaten wurde Hanija - im Vergleich zu den radikaleren Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen - als gemäßigt angesehen.
Hanija wurde 2017 zum Hamas-Chef ernannt und pendelte zwischen Türkiye und Katars Hauptstadt Doha, um den Reisebeschränkungen des blockierten Gazastreifens zu entgehen. Dies ermöglichte ihm, als Vermittler bei Waffenstillstandsgesprächen oder als Gesprächspartner für den Iran zu agieren.
„Keines der Normalisierungsabkommen, die ihr (arabische Staaten) mit (Israel) unterzeichnet habt, wird diesen Konflikt beenden“, erklärte Hanija im katarischen Fernsehsender Al Jazeera kurz nach dem Vergeltungsschlag der Hamas-Kämpfer am 7. Oktober.
Die israelische Aggression nach der Reaktion von Hamas hat laut Gesundheitsbehörden im Gazastreifen bisher mehr als 35.000 Zivilisten in der Enklave getötet, während weltweite Proteste seit Monaten den israelischen Vernichtungskrieg als „Völkermord“ an den Palästinensern verurteilen.
Hanijas Weg zur Politik
Hanija war bereits als Student an der Islamischen Universität in Gaza-Stadt politisch aktiv. Er trat der Hamas bei, als diese während der ersten palästinensischen Intifada 1987 gegründet wurde. Er wurde verhaftet und kurzzeitig deportiert. Er baute eine enge Beziehung zum Hamas-Gründer Scheich Ahmad Yassin auf, der wie Hanijas Familie einst aus dem Dorf Al Jura in der Nähe von Aschkelon vertrieben worden war.
Im Jahre 1994 sagte Hanija der Nachrichtenagentur Reuters, dass Yassin ein Vorbild für junge Palästinenser sei. „Wir lernten von seiner Liebe zum Islam und seinem Opfer für den Islam und er brachte uns bei, vor diesen Tyrannen und Despoten nicht niederzuknien“, fügte er hinzu.
Bis 2003 war er ein vertrauter Berater Yassins. Auf einem Foto, aufgenommen in Yassins Haus in Gaza, ist zu sehen, wie Hanija das Telefon an das Ohr des fast vollständig gelähmten Hamas-Gründers hielt, damit dieser an einem Gespräch teilnehmen konnte. Yassin wurde später im Jahre 2004 von Israel ermordet.
Hanija war ein früher Befürworter des Eintritts der Hamas in die Politik. 1994 sagte er, dass die Gründung einer politischen Partei „der Hamas ermöglichen würde, auf neue Entwicklungen zu reagieren“.
Anfangs von der Hamas-Führung überstimmt, wurde das Vorhaben später genehmigt. Hanija wurde nach dem Wahlsieg der Gruppe bei den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 palästinensischer Premierminister - ein Jahr nach dem militärischen Rückzug Israels aus Gaza. Die Gruppe übernahm 2007 die Kontrolle über Gaza.
Im Jahre 2012, als er von Reportern gefragt wurde, ob die Hamas den bewaffneten Kampf gegen die israelische Besetzung palästinensischen Landes aufgegeben habe, antwortete Hanija: „Natürlich nicht“. Der Widerstand werde „in allen Formen - als Volkswiderstand, politischer, diplomatischer und militärischer Widerstand“ fortgesetzt, versicherte er.
„Politische und diplomatische Front der Hamas“
Als Hanija 2017 Gaza verließ, wurde er von Yahya Sinwar abgelöst, einem Hardliner, der mehr als zwei Jahrzehnte in israelischen Gefängnissen festgehalten wurde und den Hanija 2011 nach einem Gefangenenaustausch in Gaza willkommen geheißen hatte.
„Hanija führt den politischen Kampf der Hamas mit den arabischen Regierungen“, hatte Adeeb Ziadeh, Palästina-Experte an der Universität von Katar, vor dessen Tod gesagt. Ziadeh fügte damals hinzu, dass Hanija enge Verbindungen zu radikaleren Figuren in der Gruppe und dem militärischen Flügel habe. „Er ist die politische und diplomatische Front der Hamas.“
So hatten sich Hanija und Hamas-Funktionär Khaled Meshaal etwa mit Beamten in Ägypten getroffen, da das Land Waffenstillstandsgespräche mit Israel vermittelt hatte. Iranische Staatsmedien berichteten, dass Hanija Anfang November letzten Jahres nach Teheran gereist war, um den iranischen „Obersten Führer“ Ali Khamenei zu treffen.
Drei hochrangige Beamte sagten daraufhin gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass Khamenei dem Hamas-Chef bei diesem Treffen mitgeteilt habe, dass der Iran nicht in den Krieg eintreten würde, da er nicht im Voraus darüber informiert worden sei.
Kinder und Enkelkinder bei israelischem Luftangriff getötet
Seit Beginn des israelischen Vernichtungskriegs gegen Gaza am 7. Oktober hat Hanija etwa 60 Mitglieder seiner Familie verloren, die allesamt von der israelischen Armee getötet wurden. Nach Angaben der Hamas wurden drei von Hanijas Söhnen am 10. April getötet, als ein israelischer Luftangriff das Auto traf, in dem sie fuhren. Hanija verlor auch vier seiner Enkelkinder, drei Mädchen und einen Jungen, bei dem Angriff.
Der Hamas-Politchef hatte die Behauptungen Israels, dass seine Söhne Kämpfer der Gruppe gewesen seien, zurückgewiesen. „Die Interessen des palästinensischen Volkes stehen über allem“, antwortete er auf die Frage, ob deren Tötung die Waffenstillstandsgespräche beeinflussen würde.
„Wenn der kriminelle Feind denkt, dass das Zielen auf meine Familie uns dazu bringen wird, unsere Position zu ändern und unseren Widerstand zu schwächen, dann irrt er sich gewaltig, denn jeder Märtyrer in Gaza und Palästina gehört zu meiner Familie“, sagte Hanija damals.
„Das Blut unserer Märtyrer verlangt von uns, dass wir nicht nachgeben, dass wir (unsere Position) nicht ändern, dass wir (unseren Widerstand) nicht schwächen, sondern dass wir unseren Weg mit Entschlossenheit fortsetzen“, betonte er.