Im Wahlkrimi um das US-Präsidentenamt liegen die Nerven zunehmend blank: Amtsinhaber Donald Trump heizte die Stimmung mit neuen Tiraden zu einem angeblichen „Wahlbetrug“ bei der Stimmauszählung weiter an. Mehrere US-Sender brachen die Übertragung seiner Pressekonferenz aufgrund der durch nichts belegten Vorwürfe am Donnerstagabend ab. Trump-Anhänger marschierten teils bewaffnet vor Wahlzentren in mehreren Städten auf; Präsidentensohn Donald Trump Junior rief zum „totalen Krieg“ in der Wahlschlacht auf.
Im Weißen Haus erhob Trump einmal mehr den Vorwurf, die oppositionellen Demokraten wollten ihm den Wahlsieg „stehlen“. „Wenn man die legalen Stimmen zählt, gewinne ich mit Leichtigkeit. Wenn man die illegalen Stimmen zählt, können sie versuchen, uns die Wahl zu stehlen.“ Er bezog sich damit vor allem auf die auch drei Tage nach der Wahl vielerorts noch laufende Auszählung von Briefwahl-Stimmen. Diese waren mehrheitlich von Anhängern seines Herausforderers Joe Biden abgegeben worden, die wegen der Corona-Krise häufiger per Post abstimmten.
Trump kritisierte außerdem, dass vor der Wahl zu seinem Schaden wissentlich falsche Umfrageergebnisse veröffentlicht worden seien. Trump hat bislang keine Beweise für seine Behauptungen vorgelegt, dass es massiven Wahlbetrug gegeben habe.
Bei seinem Auftritt im Presseraum des Weißen Hauses legte Trump keinerlei Belege für seine Betrugsvorwürfe vor. Mehrere Fernsehsender unterbrachen die Live-Übertragung nach kurzer Zeit, als erstes der Sender MSNBC, der die Notwendigkeit anführte, Falschaussagen des Präsidenten richtigzustellen. Trump verließ den Raum nach etwa einer Viertelstunde, ohne Fragen von Journalisten zu beantworten.
Trump und Trump Jr. mit schweren Vorwürfen auf Twitter
Trump hat mitten in der Nacht bei Twitter seine Aussagen bekräftigt, dass er aus seiner Sicht mit den „legal“ abgegebenen Stimmen die Wahl mit Leichtigkeit gewonnen habe. Der Präsident hatte zuvor bereits bei einem Auftritt im Weißen Haus behauptet, die Demokraten versuchten, ihm den Sieg durch Betrug zu nehmen. Twitter verpasste dem Tweet umgehend den Warnhinweis, dass der Beitrag irreführende Informationen enthalten könne.
Den Wahlbeobachtern wäre es in keiner Weise erlaubt gewesen, ihre Arbeit zu tun, schrieb der amtierende Präsident auf Twitter. Daher müssten Stimmen, die während dieses Zeitraums angenommen werden, für „illegal erklärt“ werden, so Trump.
Trumps ältester Sohn heizte die Stimmung zusätzlich an. „Das Beste für Amerikas Zukunft wäre es, wenn @realDonaldTrump über diese Wahl in den totalen Krieg zieht, um all den Betrug, das Schummeln (...) offenzulegen, das seit viel zu langem anhält“, schrieb Donald Trump Junior ebenfalls auf Twitter. Es sei an der Zeit, „aufzuräumen und nicht mehr auszusehen wie eine Bananenrepublik“, fügte er hinzu. Twitter verbarg die Kurzbotschaft wie schon bei anderen Tweets seines Vaters hinter dem Warnhinweis, dass der Inhalt „umstritten und möglicherweise irreführend“ sei.
Vor mehreren Wahlzentren versammelten sich aufgebrachte Trump-Anhänger. In Phoenix in Arizona führte der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Alex Jones eine schwer bewaffnete Gruppe an. In Las Vegas forderten Trump-Unterstützer, dass sie die Wahlzettel sehen wollten. Und in Pennsylvania wurden vor einem Wahlzentrum zwei bewaffnete Männer festgenommen.
„Niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen.“
Bei den Republikanern wurde derweil Kritik am Vorgehen des Präsidenten laut. Der Abgeordnete Will Hurd nannte Trumps Aufruf zu einem Stopp der Stimmauszählung „gefährlich und falsch“. Die Trump bisher unterstützende Zeitung „New York Post“ kritisierte dessen Vorwürfe als „unbegründet“. Prominente Republikaner stellten sich aber auch hinter Trump.
Biden rief seinerseits zur „Ruhe“ auf. Er habe „keine Zweifel“, dass er nach Auszählung aller Stimmen die Wahl gewinnen werde, sagte er. Nach Trumps Äußerungen schrieb Biden auf Twitter: „Niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen.“
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) übte unverhüllt Kritik an Trump. Die Losung „Sieg oder Wahlabbruch“ widerspreche einem fairen Wahlvorgang, sagte er der Funke-Mediengruppe. „Wer in so einer Situation weiter Öl ins Feuer gießt, der handelt selbst unverantwortlich.“