Symbol: Eine israelische Fahne im Wind.  (Getty Images)
Folgen

Kurz nach ihrer Vereidigung steht Israels neue Regierung bereits vor einer größeren Herausforderung. Vor einem für Dienstag geplanten Flaggenmarsch von etwa 5000 Nationalisten in Jerusalems Altstadt herrscht Sorge vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der Marsch, den Palästinenser als Provokation ansehen, führt auch durch das muslimische Viertel der Altstadt. Unterstützer von Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu haben zu dem Marsch aufgerufen.
Der neue Regierungschef Naftali Bennett von der ultrarechten Jamina-Partei stellte am Montag sein Kabinett vor. Mit nur einer Stimme Vorsprung war die neue Acht-Parteien-Koalition am Sonntagabend im Parlament bestätigt worden. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära von Netanjahu, der seit 2009 durchgehend im Amt war.
Ein Flaggenmarsch anlässlich des sogenannten Jerusalem-Tags wurde am 10. Mai wegen Raketenangriffen der im Gazastreifen herrschenden Hamas abgebrochen. Hamas bezeichnete den Angriff auf Jerusalem als eine Reaktion auf Israels Vorgehen auf dem Tempelberg und in dem Viertel Scheich Dscharrah. Die Gruppierung hatte im Fall neuer „Verstöße“ Israels mit neuen Angriffen gedroht. Wie die „Jerusalem Post“ am Montag berichtete, hat die Armee zusätzliche Truppen ins Westjordanland verlegt.
Bei der letzten Gewalteskalation zwischen Israel und Palästinensern waren im Mai im Gazastreifen 255 Menschen und in Israel 13 Menschen getötet worden. Israel hatte den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems 1967 erobert. Die Palästinenser sehen ihn als künftige Hauptstadt, Israel beansprucht dagegen ganz Jerusalem als Hauptstadt.
Komplexe Regierungsbildung
Die neue Koalition wird von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen. Unter ihnen ist erstmals auch eine arabische Partei. Jair Lapid von der gemäßigten Zukunftspartei wird zunächst Außenminister. Er soll dann im August 2023 Bennett als Ministerpräsident ablösen.
Zahlreiche Staaten gratulierten der neuen Regierung, darunter die USA, Deutschland, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje sagte, mit der Ablösung Netanjahus gehe „eines der schlimmsten Kapitel in der Geschichte des Konflikts“ mit Israel zu Ende.
Noch vor gut einem Monat war dabei fast undenkbar, dass Bennett (49) neuer Regierungschef wird. Bei der vergangenen Wahl holte seine Partei nur sieben Mandate. Bei der Wahl im April 2019 verpasste er sogar knapp den Einzug ins Parlament. Der national-religiöse Politiker hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, sich als Alternative zu Netanjahu zu präsentieren.
Radikalere Positionen
So setzte er den früheren Regierungschef bei dessen Wählern oft mit rechteren Positionen unter Druck und drängte immer wieder auf eine teilweise Annexion des Westjordanlandes. Israel hat das Westjordanland 1967 erobert, die Palästinenser beanspruchen es dagegen für einen eigenen Staat.
Wird Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde, nun als Regierungschef eine Annexion des Westjordanlandes vorantreiben? Die linksliberale „Haaretz“ hält solche Ängste für unberechtigt. „Bennett fehlt angesichts seiner knappen, ideologisch heterogenen Koalition das Mandat, um selbst eine teilweise Annexion umzusetzen („Gebiet C“ des Westjordanlandes).“ Während Bennett für eine Annexion ist, sind die linke Meretz-Partei, die Arbeitspartei sowie die arabische Partei Raam für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. In den C-Gebieten im Westjordanland verfügt Israel sowohl über die militärische als auch über die zivile Kontrolle.
Professor Guy Ben-Porat von der Ben-Gurion-Universität in Beerscheva sagt dazu, die Einheit der Regierung basiere auch auf „Tatenlosigkeit in der Palästinenser-Frage“. Die Fragen der Siedlungen, der andauernden Besatzung, des Westjordanlandes – „Der Versuch der Regierung, diese zu lösen, könnte zu ihrem Zusammenbruch führen. Deswegen haben sie ein Interesse daran, das auf Eis zu legen.“ Auch für die Jamina-Partei von Bennett könne ein frühzeitiger Austritt aus der Regierung „politischen Selbstmord bedeuten“, sagt er. „So könnte Pragmatismus diese Regierung zusammenhalten.“

dpa