Trotz ungarischen Widerstands ist für die Ukraine der Weg frei für Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Die EU-Staats- und Regierungschefs gaben am Donnerstag bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel grünes Licht für das von Russland angegriffene Land sowie dessen Nachbarn Moldau. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kritisierte dies zwar scharf, verzichtete aber auf ein Veto.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem „Sieg für die Ukraine“ und „für ganz Europa“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Entscheidung „ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine Perspektive für die Ukraine“. Die Ukraine und Moldau gehörten „zur europäischen Familie“.
Orban distanziert sich von EU-Gipfelentscheidung
Aus EU-Kreisen hieß es, Orban habe seine Blockade aufgegeben. Dies sei allerdings nur durch einen gesichtswahrenden Trick möglich geworden, den Scholz den Partnern vorgeschlagen habe: Orban war demnach nicht im Saal, als der Text angenommen wurde. Das Vorgehen sei mit dem Ungarn abgesprochen gewesen.
Orban selbst distanzierte sich von der Gipfeleinigung. In einem auf Facebook veröffentlichten Video sprach er von einer „völlig sinnlosen, irrationalen und falschen Entscheidung“. Er habe sich der Stimme enthalten.
Bis auf Ungarn hatten sich alle Mitgliedsländer zu Gipfelbeginn für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stark gemacht. Die Entscheidung erforderte Konsens der Mitgliedsländer. Orban habe entschieden, sein Veto nicht einzulegen, sagte der irische Regierungschef Leo Varadkar. Luxemburgs Ministerpräsident Luc Frieden sprach von einem „außergewöhnlichen“ Vorgehen, das wegen der geostrategischen Bedeutung gerechtfertigt sei, aber nicht zur Regel werden sollte.
Vermutet wurde auch ein Zusammenhang mit zehn Milliarden Euro an EU-Mitteln für Ungarn, die wegen Rechtsstaatsverfehlungen zurückgehalten, aber von der EU-Kommission am Mittwoch freigegeben worden waren. Weitere 21 Milliarden Euro für Ungarn sind weiterhin eingefroren. Orban betonte, es bestehe kein Zusammenhang mit dem Ukraine-Thema.
„Historischer Moment“ für Ukraine und Moldau
EU-Ratspräsident Charles Michel begrüßte das grüne Licht für die Ukraine und Moldau als „historischen Moment“. Dies zeige „die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, die Stärke der Europäischen Union“. Auch das Weiße Haus in Washington sprach von einer „historischen Entscheidung“. Die beiden Länder hätten einen „entscheidenden Schritt zur Erfüllung ihrer euro-atlantischen Bestrebungen“ getan, erklärte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan.
Gipfelbeschlüsse für Georgien und Bosnien-Herzegowina als Hoffnungssignal
Näher an die EU rückt durch die Gipfeleinigung auch Georgien, das den Status eines Beitrittskandidaten erhält. Die EU-Staaten wollen zudem Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufnehmen, sobald das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Die EU-Kommission soll dazu im März einen Bericht vorlegen. Michel sprach von einem „klaren Signal der Hoffnung“ für die Bewohner dieser Länder und und für Europa.
Moldaus Präsidentin Maia Sandu begrüßte das Votum. „Wir spüren heute die herzliche Umarmung Europas“, erklärte sie. Vor ihrem Land liege aber noch harte Arbeit. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili sprach von einem „monumentalen Meilenstein“ für ihr Land. Die Ex-Sowjetrepublik Georgien hatte den EU-Beitritt wie die Ukraine und Moldau im Februar 2022 beantragt, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Orban blockiert 50 Milliarden Euro Hilfspaket für Ukraine
Weiter verhandelt wurde bei dem Gipfel am Abend über ein 50 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die Ukraine. Auch hier blockiert Ungarn: Orban hatte bei seinem Eintreffen in Brüssel kundgetan, die Wirtschaftshilfen eilten nicht. Den Weg frei machten die 27 Staats- und Regierungschefs aber für ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland. Darin enthalten sind unter anderem Importbeschränkungen für Diamanten.
Gefeilscht wurde zudem noch um eine milliardenschwere Aufstockung des EU-Haushaltsrahmens bis 2027. Im Gespräch waren zuletzt gut 20 Milliarden Euro, deutlich weniger als die EU-Kommission veranschlagt hatte. Die Gelder sind unter anderem für den Außengrenzschutz und für Migrationsabkommen mit Drittländern vorgesehen.
Selenskyj hatte die EU eindringlich vor einem Scheitern des Gipfels gewarnt. Russlands Präsident Wladimir Putin würde dies mit einem „zufriedenen Lächeln“ quittieren, sagte er in einer Videoschaltung mit den Europäern.