Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat bei seinem Besuch in Berlin für eine humanitäre Waffenruhe im anhaltenden Krieg Israels gegen den Gazastreifen appelliert. Erdoğan betonte, dass eine Zusammenarbeit von Türkiye und Deutschland dazu beitragen könne, die Region vor weiterem Leid zu bewahren.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzler Scholz am Freitagabend wies Erdoğan auf die erschütternde Bilanz des Gaza-Krieges hin: Bislang seien im Gazastreifen mehr als 13.000 Palästinenser durch israelische Angriffe getötet worden, darunter zahlreiche Kinder, Frauen und ältere Menschen. Er prangerte die Zerstörung Gazas an und kritisierte, dass die Phase nach dem 7. Oktober, der Hamas-Attacke auf Israel, nicht ausreichend thematisiert werde.
Erdoğan hob in seiner Rede die Notwendigkeit internationaler Unterstützung für Palästina besonders hervor. Er sagte, dass Israel offenbar über Nuklearwaffen verfüge, und rügte, dass die Weltgemeinschaft die Augen davor verschließe. Der türkische Präsident unterstrich zudem die Wichtigkeit einer Verurteilung der israelischen Angriffe auf Gotteshäuser wie Kirchen und Moscheen sowie Krankenhäuser in Gaza – und berief sich dabei auf die Torah und die Menschenrechte.
Ankara fordert Verhältnismäßigkeit im Nahost-Konflikt
Der türkischen Präsident kritisierte auch die Unverhältnismäßigkeit im Konflikt. Seit Jahren seien „bei weitem mehr Geiseln und Gefangene“ in Israels Händen als in den Händen der Hamas. Damit bezog sich Erdoğan auf die sogenannte Verwaltungshaft in Israel. Nach israelischer Gesetzeslage können Verdächtige ohne Anklage und ohne Beweispflicht monate- gar jahrelang inhaftiert werden.
Auch Deutschland stand in der Kritik des türkischen Präsidenten. Mit verklausulierten Worten warf er der Bundesregierung vor, wegen der historischen Schuld Deutschlands für den Holocaust Israel zu stark in Schutz zu nehmen. Er selbst könne frei reden, „denn wir schulden Israel nichts“, sagte Erdoğan. Sein Land stecke ja nicht in der „Holocaust-Zwickmühle“. Von Scholz gab es dazu keinen Kommentar.
„Warum beziehen Sie nicht Stellung gegen diese Aktionen?“
„Als Muslim beunruhigt mich das. Fühlen Sie sich als Christ nicht beunruhigt durch die Zerstörung dieser Kirchen?“, sagte Erdoğan gegenüber einem deutschen Journalisten auf dessen Nachfrage zum 7. Oktober. „Warum beziehen Sie nicht Stellung gegen diese Aktionen? Nehmen Sie auch dagegen Stellung. Für uns sollte es keinen Unterschied zwischen Juden, Christen und Muslimen geben.“
Erdoğan kündigte an, dass der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier bald Israel besuchen werde. Er habe ihn gebeten, sich für eine Vermittlung einer Waffenruhe im Gaza-Konflikt einzusetzen. Die Bedeutung einer gemeinsamen Anstrengung beider Länder für eine humanitäre Waffenruhe betonte Erdoğan in seiner Rede mehrfach.
Die Zahl der palästinensischen Todesopfer infolge der israelischen Angriffe im Gazastreifen sei laut der Regierung im belagerten Küstengebiet auf über 12.000 gestiegen. Mehr als 5.000 Kinder und 3.300 Frauen seien unter den Opfern, während 30.000 Menschen verletzt seien, so Erdoğan weiter.
Getreideabkommen: Keine Unterscheidung zwischen Europa und Afrika
In Bezug auf das Schwarzmeer-Getreideabkommen betonte Erdoğan, dass es bei der Belieferung keine Unterscheidung zwischen Europa und Afrika gebe. Es gebe auch Anfragen aus Afrika, die er durch Kooperation, insbesondere mit Russland, zu bewältigen gedenke. Erdoğan unterstrich die Bedeutung einer gemeinsamen Vorgehensweise in dieser Sache und kündigte an, das Türkiye Getreide in Mehl umwandeln werde, um die Nachfrage zu erfüllen.
Abschließend sprach Erdoğan über die lang ersehnte Aufwertung der Zollunion und Visa-Liberalisierung für Türkiye in der EU. Er betonte die Erwartungen von Türkiye und die Wichtigkeit der deutschen Unterstützung in diesem Prozess. Erdoğan beendete seinen Berlin-Besuch nach dem Treffen mit Scholz und reiste noch am selben Abend nach Türkiye zurück.