Der Bundeswehrverband hat gefordert, die im Verteidigungsministerium geplante Strukturreform der Streitkräfte schnell anzugehen. Führungs- und Organisationsstrukturen seien bislang an Szenarien wie den Afghanistaneinsatz ausgerichtet, sagte der Bundesvorsitzende André Wüstner. Und das obwohl die Latte für einen großen Stabilisierungseinsatz nach den am Hindukusch gemachten Erfahrungen enorm hoch liege. Die Bundeswehr müsse an Erfordernisse der Landes- und Bündnisverteidigung angepasst werden. „Dieses Vorhaben kommt zwar spät, aber immerhin: Es kommt“, sagte Wüstner. Sein Verband ist die Interessenvertretung von Soldaten und Zivilbeschäftigten und hat etwa 200.000 Mitglieder. Nach Plänen des Verteidigungsministeriums soll es künftig nur noch zwei Führungskommandos geben - für das Ausland und das Inland. Zudem soll die Bundeswehr auf nur noch vier Organisationsbereiche hin organisiert sein: Heer, Marine, Luftwaffe und die Cybertruppe. Das Sanitätswesen verlöre seine bisherige Eigenständigkeit wie auch die sogenannte Streitkräftebasis, die Logistik, Militärpolizei und auch die ABC-Abwehr vereint.
„Problemfall Bundeswehr“
Wüstner begrüßte, dass die Obergrenze von 203.300 Soldaten, darunter freiwillig Wehrdienstleistende und Reservisten, plus 72.000 Zivilbeschäftigten Bestand haben solle. „Ebenso wichtig ist die Aussage, dass keinerlei Standortschließungen im Raum stehen“, sagte er, sprach aber vom „Problemfall Bundeswehr“. Bisher gebe es enorme Reibungsverluste und Ineffizienz, die von allen Seiten bemängelt würden.
In der Bundeswehr herrsche weitgehend Einigkeit, dass das Thema angegangen werden müsse, so Wüstner. Deutschland wolle einen substanziellen Beitrag zur Bündnisverteidigung und der internationalen Sicherheitsarchitektur leisten. „Das fordern unsere Bündnispartner, das haben wir politisch zugesagt“, sagte Wüstner. „Das bedeutet nicht, dass wir wie vor 1990 zwölf Heeresdivisionen an der innerdeutschen Grenze aufreihen müssen. Aber es heißt, dass wir drei Heeresdivisionen brauchen, die agil, reaktionsschnell und schlagkräftig überall dorthin verlegt werden können, wo das Bündnis sie braucht.“
Nach Kritik aus dem Bundestag sagte er: „Auch die Fachpolitiker sollten mittlerweile verstanden haben, dass angesichts der neuen Aufträge, Aufgaben und Herausforderungen in mehrfacher Hinsicht eine Erwartungshaltung besteht, die sich seit 2019 aufgestaut hat.“ Er warnte: „Politik wie Bundeswehr dürfen nicht die Augen vor den weltweiten Veränderungen verschließen.“
Die Pläne für eine Umorganisation wurden auch aus der Truppe begrüßt. „Zielführend ist es, die Strukturfalle zu überwinden, die wir derzeit erleben und die uns nicht einsatzbereit macht: Die vielfältige Zahl von Organisationsbereichen, eine unübersichtlich und lähmende Verantwortungs-, Zuständigkeits- und Fähigkeitsdiffusion“, sagte Generalmajor Jürgen-Joachim von Sandrart, der Kommandeur der 1. Panzerdivision.
„Keine kurzfristig abrufbare und einsatzbereite Armee mehr“
Erfahrungen aus der Beteiligung an der Schnellen Nato-Speerspitze VJTF zeigten, je homogener Verbände und je klarer Führungsstrukturen und Zuständigkeiten seien, umso effektiver und einsatzbereiter sei die Truppe. „Diese Befähigung haben wir in den letzten Jahren in der Bundeswehr verloren. Aus guten und schlechten Gründen, die ich hier nicht bewerten will“, sagte von Sandrart. „Aber: Wir sind eine Armee geworden, die in langfristig planbaren Kontingenten denkt, damit keine kurzfristig abrufbare und einsatzbereite Armee mehr“, sagte er. Und: „Kaltstartfähigkeit trifft die Begrifflichkeit ganz gut.“
Im Kern müsse die Aufstellung schon im Frieden weitgehend der im Spannungsfall entsprechen. Die Grund- und Einsatzaufstellung müssten zu 90 bis 95 Prozent deckungsgleich sein, sagte der Kommandeur und meinte auch, dass die Organisation hin auf Heer, Marine, Luftwaffe und Cyberraum passt. „Ich denke, dass zukünftige Einsatzszenarien im hochintensiven Gefecht im Wesentlichen durch vier Dimensionen bestimmt sind: Das sind zunächst und vornehmlich die klassischen Dimensionen Land, Luft und See ergänzt um die neue Dimension Cyber- und Informationsraum“, so von Sandrart. „Aus meiner Bewertung ist die Überlegung, es in der Führungsstruktur auf diese vier Dimensionen und zwei Führungskommandos zu beschränken, sehr zweckmäßig und überaus überfällig.“
Bei Übungen mit Verbündeten und in Einsätzen wie in Afghanistan oder mit den Nato-Verbündeten in Europa zeige sich, dass die deutschen Soldaten „klasse ausgebildet“ seien und über Robustheit und Tatkraft verfügten. „Das heißt, die Einsatzbereitschaft der 1. Panzerdivision scheitert nicht an den Männern und Frauen, sondern begründet sich nahezu ausschließlich an der fehlenden Ausrüstung und der strukturell lähmenden Grundaufstellung“, sagte der Generalmajor. „Das muss sich dringend ändern und spiegelt den Erwartungshorizont der Truppe, aber auch meinen als Staatsbürger wider.“