Nach den tödlichen Schüssen auf zwei junge Polizisten in der Pfalz sprechen die Ermittler von einem „verstörenden“ Verbrechen: Die mutmaßlichen Mörder wollten offenbar Jagdwilderei vertuschen. Seit Dienstag sind die 32 und 38 Jahre alten Saarländer wegen Verdachts auf gemeinschaftlichen Mord und Wilderei in Untersuchungshaft, wie Polizei und Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz in Kaiserslautern mitteilten. Der Ältere habe sich bisher nicht zur Sache geäußert; der Jüngere die Wilderei eingeräumt sowie Polizeikontrolle und Schüsse geschildert. „Er hat aber bestritten, selbst geschossen zu haben“, sagte Oberstaatsanwalt Stefan Orthen.
„Im Moment gehen wir davon aus, dass mindestens zwei Waffen verwendet wurden“, sagte Orthen. „Und wir gehen auch davon aus, dass diese zwei Waffen von den beiden Beschuldigten genutzt wurden, also, dass jeder geschossen hat.“ Bei den Verdächtigen wurde ein großes Waffenarsenal sichergestellt. Wie aus Sicherheitskreisen verlautet wurde, fand die Polizei bei einer Hausdurchsuchung im saarländischen Spiesen-Elversberg fünf Kurzwaffen, ein Repetiergewehr, zehn weitere Langwaffen, eine Armbrust sowie einen Schalldämpfer und Munition. Im Haus des zweiten Tatverdächtigen seien zwei Langwaffen entdeckt worden, hieß es.
Keine Hinweise auf politisch motivierte Tat
Hinweise auf eine politisch motivierte Tat oder etwa Verbindungen in die sogenannte Reichsbürgerszene gibt es nach Angaben der Ermittler nicht. Ein Haftgrund sei auch eine mögliche Fluchtgefahr, die wirtschaftlichen Verhältnisse seien „alles andere als geordnet“, die sozialen Verhältnisse „eher brüchig“.
Die beiden Verdächtigen seien nicht vorbestraft. Der 38-Jährige sei der Polizei aber früher bereits wegen Jagdwilderei und Verkehrsunfallflucht aufgefallen, sagte Kriminaldirektor Frank Gautsche. Zudem werde im Saarland wegen Insolvenz gegen ihn ermittelt - und womöglich weitere Ermittlungsverfahren, zu denen aber noch keine Details genannt wurden. Der 32-Jährige war der Polizei wegen Betrugsdelikten bekannt. Es gebe Hinweise, dass beide gewerblich und professionell gewildert hätten. Den beiden Männern drohe lebenslange Haft wegen gemeinschaftlichen Mordes, sagte Orthen. Auf die - den Ermittlungen zufolge - vertuschte Straftat, besonders schwere Wilderei, stünden drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe.
Auf der Pressekonferenz wird nun auch klarer, was genau am frühen Montagmorgen geschah: Die 24 Jahre alte Polizeianwärterin und der 29-jährige Oberkommissar waren als Zivilstreife unterwegs, um ein Eigentumsdelikt aufzuklären. Um kurz nach 4 Uhr teilten sie per Funk mit, unabhängig davon „dubiose Personen“ festgestellt zu haben, deren ganzer Kofferraum eines Kastenwagens voller Wild sei. Kurz darauf gegen 4.20 Uhr hätten sie gefunkt: „Komm schnell, die schießen, die schießen, komm schnell.“ Bei diesem letzten Funkspruch sei auch ein Schuss zu hören gewesen.
Polizistin mit Schuss in Kopf getötet
Zehn Minuten später fanden die zur Verstärkung herbei geeilten Polizisten ihre junge Kollegin tot vor dem Auto. Sie sei mit einem Schuss in den Kopf getötet worden und habe selbst ihre Waffe nicht mehr ziehen können. Sie sei arglos gewesen, habe womöglich eine Taschenlampe und die Papiere in der Hand gehalten. Der Polizist lag schwerst verletzt und nicht mehr ansprechbar hinter dem Auto an einer Böschung. Er sei von vier Schüssen getroffen worden, einer davon in den Kopf. Der 29-Jährige habe noch 14 Mal geschossen, nach bisherigen Erkenntnissen sei aber keiner der beiden Verdächtigen getroffen worden.
Die Täter seien mit dem Auto geflüchtet. Neben der erschossenen Polizistin seien aber der Führerschein und der Personalausweis des 38 Jahre alten Verdächtigen gefunden worden. Daher habe sich die Suche auf das Saarland konzentriert. Der Mann, nachdem auch öffentlich mit Namen und Foto gefahndet worden war, sei nach Hinweisen in einem Haus in Sulzbach vermutet worden. Als er das Haus verlassen wollte, griffen die Ermittler zu und nahmen ihn widerstandslos fest.
In dem Haus sei dann der 32-Jährige ebenfalls widerstandslos festgenommen worden. Rund 200 Beamte der rheinland-pfälzischen und der saarländischen Polizei seien bei der Fahndung im Einsatz gewesen.
Große Betroffenheit bei Polizei
Vize-Polizeipräsident Heiner Schmolzi sagte: „Die Kollegin war kurz vor dem Abschluss, sie hätte im Mai ihren Dienst begonnen. Sie hatte alle Trainings, Schießtrainings, Einsatztrainings, Zugriffstrainings absolviert.“ Sie habe bereits zwei Praktika beim Polizeipräsidium gemacht, war also fast „eine fertige Polizistin, dann kann man das machen“, sagte er über ihren Einsatz. Ihr Kollege sei „sehr anerkannt, erfahren, achtsam und aktiv“ gewesen, sagte Schmolzi. Polizeipräsident Michael Denne sprach von einem „sehr sympathischen, sehr offenen Kollegen“.
Nach dem Tod der beiden Polizisten herrsche „sehr große Betroffenheit“ bei der gesamten rheinland-pfälzischen Polizei, sagte Denne. „Seit 4.22 Uhr gilt für uns eine neue Zeitrechnung. Wir sind schockiert, zutiefst entsetzt und traurig.“ Er habe am Morgen die Mutter eines der beiden Opfer besucht. „Man hat da schon Tränen in den Augen. Das geht einem sehr nahe.“ Was passiert sei, „ist etwas völlig Unnormales“. Schmolzi ergänzte, die Tat habe nicht durch zusätzliche Trainings verhindert werden können. „Das Ereignis ist allein der kriminellen Energie von zwei Tätern geschuldet.“
1 Feb. 2022
dpa
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