Wenige Tage vor der entscheidenden Debatte im Bundestag haben Ärzte, Kliniken und Kommunen die zügige Einführung einer Impfpflicht gefordert. Andernfalls drohe eine neue Pandemie-Welle im Herbst, argumentierten unter anderem der Marburger Bund, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Städtetag. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigte sich zuversichtlich, dass die Impfpflicht kommt. Unterdessen gab es erneut Kritik am Auslaufen zahlreicher Corona-Schutzmaßnahmen an diesem Wochenende.
Der Bundestag will kommenden Donnerstag entscheiden, ob eine Impfpflicht kommt, für wen sie gelten soll und wie sie umgesetzt werden könnte. Zur Diskussion stehen verschiedene Modelle - neben einer Impfpflicht ab 18 Jahren auch eine Impfpflicht erst ab 50 Jahren.
Eine Mehrheit für eines der Modelle zeichnete sich bisher allerdings nicht ab. Lauterbach, der eine Impfpflicht ab 18 unterstützt, zeigte sich zuversichtlich: „Ich hoffe nach wie vor, dass das gelingt“, sagte er im Deutschlandfunk. Es sei auch richtig gewesen, diese Frage in die Hände des Bundestags und der Fraktionen zu legen. Das werde „zum Schluss zum Erfolg führen“.
Dagegen sagte sein Koalitionspartner, FDP-Chef Christian Lindner, der „Bild am Sonntag“, „die Argumente für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 sind eher schlechter geworden“. Denn die Impfung verhindere nicht die Weitergabe der Krankheit. Sie schütze aber vor schweren Verläufen. Sein eigenes Abstimmungsverhalten in der ohne Fraktionszwang geplanten Bundestagsabstimmung will Lindner dem Bericht zufolge kommende Woche in der FDP-Fraktion bekannt geben.
Ärzte wollen wenigstens eine Impfpflicht ab 50 Jahren
Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, „wenn es keine Mehrheit für eine Impfpflicht ab 18 Jahren gibt, brauchen wir zumindest eine Impfpflicht für alle ab 50 Jahren“. Damit die Nachweispflicht rechtzeitig gegen eine weitere Corona-Welle im Herbst wirken könne, dürfe sie auch nicht erst dann eingeführt werden.
DKG-Chef Gerald Gaß sagte den Funke-Zeitungen, „wir haben uns klar für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, denn nur eine möglichst hohe Impfquote wird uns aus der immer wiederkehrenden Gefahr herausholen, die Kliniken zu überlasten.“
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte den Funke-Zeitungen, „wir riskieren im Herbst wieder viele schwere Krankheitsverläufe, falls die Impfpflicht nicht kommt.“ Damit sich die Impfquote noch einmal deutlich erhöhe, sei eine Impfpflicht ab 18 Jahren eindeutig besser.
Kassenärztechef Andreas Gassen warnte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ allerdings vor einer „nicht umsetzbaren Impfpflicht“. Wenn die Politik die zahlreichen offenen Fragen zur Impfpflicht nicht zeitnah klar beantworte, „bringt sie eine Impfpflicht auf den Weg, die als Tiger startet und Bettvorleger landet, weil die zugrunde liegende Regelung praktisch nicht umgesetzt werden kann“.
Patientenschützer nennen Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen „fatal“
Angesichts der weiter sehr hohen Zahl der Corona-Toten bezeichnete der Patientenschützer Eugen Brysch das Wegfallen vieler Corona-Schutzmaßnahmen an diesem Wochenende als „fatal“. Masken im Nahverkehr und beim Einkaufen „müssen bleiben“ und auch andere Instrumente wie konsequentes Testen würden „leichtfertig dort aus der Hand gegeben, wo es die Hochrisikogruppe schützt“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Auch geplante Quarantäne-Verkürzungen hält Brysch für gefährlich. Er kritisierte scharf, dass Beschäftigte in Heimen und Krankenhäusern trotz Infektion unter Umständen arbeiten dürfen. „Infizierte Menschen mit milden Symptomen zum Dienst aufzufordern ist Wahnsinn“, sagte er.
Kritik an den Vorgaben für Schulen kam zudem von der Lehrergewerkschaft GEW. „Die Politik lässt die Schulen und damit Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern mit dem Ende der Maskenpflicht allein“, sagte GEW-Chefin Maike Finnern dem RND. Die Politik erkläre den Gesundheitsschutz für beendet - „das ist verantwortungslos“.
AFP
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