Die französische Regierung des ehemaligen Präsidenten Francois Mitterrand wusste von einem drohenden Völkermord in Ruanda, unternahm aber nicht die notwendigen Schritte, um ihn zu stoppen. Zu diesem Schluss kommt ein am Montag veröffentlichter Untersuchungsbericht, den die ruandische Regierung in Auftrag gegeben hatte.
Beim Völkermord in Ruanda wurden mehr als 800.000 Menschen, die meisten von ihnen Angehörige der ethnischen Minderheit der Tutsi und moderate ruandische Politiker, in einem Zeitraum von etwa 100 Tagen zwischen April und Juni 1994 auf grausame Weise abgeschlachtet. Die Brutalität der Gewalt erschütterte die Welt und belastet bis heute die Beziehungen zwischen Paris und Kigali, der Hauptstadt Ruandas, schwer. Ruanda wirft Frankreich eine Mittäterschaft oder zumindest ein Tolerieren des Völkermords vor.
„Wir kommen zu dem Schluss, dass die französische Regierung eine erhebliche Verantwortung für die Ermöglichung eines vorhersehbaren Völkermordes trägt“, heißt es in dem Bericht, der von der US-Kanzlei Levy Firestone Muse erstellt wurde. Der Muse-Bericht wurde von Kigali in Auftrag gegeben, um die Rolle Frankreichs bezüglich des Völkermordes zu untersuchen. Die Hutu-Führung von 1994 pflegte enge Beziehungen zu Paris. Frankreich beschützte die für den späteren Völkermord verantwortlichen Eliten und bildete das Militär und dessen Soldaten aus.
Die Autoren des Berichts begannen im Jahr 2017 mit ihrer Recherche und gingen im Laufe ihrer Forschungsarbeiten Tausende von Dokumenten und Hunderte von Interviews durch, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Französische Behörden beteiligten sich nicht an der Untersuchung und würden weiterhin wichtige Informationen zurückhalten, beschuldigen die Berichterstatter die Regierung in Paris.
Frankreich habe in den vergangenen 25 Jahren „kontinuierlich die Justiz behindert, Dokumente unterschlagen und falsche Erzählungen über den Völkermord aufrechterhalten“, hieß es im Bericht.
Frankreich schloss die Augen vor dem Völkermord
Der Völkermord begann, nachdem ein Flugzeug mit Ruandas damaligem Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimana an Bord am 6. April 1994 über der Hauptstadt Kigali abgeschossen worden war. Frankreich sah in Habyarimana einen engen Verbündeten und half, sein Regime zu bewaffnen. Dies sei geschehen, obwohl es Anhaltspunkte dafür gegeben hatte, dass die Führung in Kigali sich auf einen Völkermord vorbereite, so der Bericht. Es befanden sich zu dieser Zeit außerdem französische Soldaten im Land. Diese hätten jedoch selbst im Fall direkter örtlicher Nähe zu den Verbrechen nicht eingegriffen.
Der Muse-Bericht kommt nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Berichts der sogenannten Duclert-Kommission. Diese Historikergruppe hat sich ebenfalls mit den damaligen Ereignissen befasst und mit der Frage, ob Paris genug getan habe, um den Völkermord zu stoppen. Sie kam zu einem ähnlichen Schluss, gab Frankreich jedoch keine Schuld an dem geschehenen Genozid selbst.
Der Bericht der Duclert-Kommission „spricht nicht aus, dass die französische Regierung eine erhebliche Verantwortung dafür trägt, einen vorhersehbaren Völkermord ermöglicht zu haben“, stellt der Muse-Bericht fest. Der Muse-Bericht sagt, er habe auch keine Beweise gefunden, die einen französischen Beamten direkt in die Tötung von Tutsi verwickeln könnten. Aber, so viel stehe fest, die französische Regierung „war ein unverzichtbarer Kollaborateur beim Aufbau jener Institutionen, die zu Instrumenten des Völkermordes wurden“.