Angesichts der Entwicklung in der Ukraine-Krise beobachtet die Bundesregierung die Entwicklung für die Deutschen in dem Land, fordert sie derzeit aber nicht zur Ausreise auf. (dpa)
Folgen

Deutschland ist einer der Staaten, die von der anhaltenden Krise zwischen Russland und dem Westen rund um die Ukraine-Krise am stärksten betroffen sind. Denn trotz seines Einflusses als Mitglied der Europäischen Union und der Nato verhält sich Deutschland angesichts der aggressiven Ukraine-Politik und der herausfordernden Art Russlands, mit dem es in den Bereichen Wirtschaft und Energie eng zusammenarbeitet, gegenüber dem Westen ausgesprochen passiv. Tatsächlich hat sich Deutschland ironischerweise bisher darauf beschränkt, im Januar 5.000 Stahlhelme in die Ukraine zu schicken. Andererseits reagierte die Bundesregierung auf die anhaltenden Waffenforderungen der Ukraine mit einem nicht wirklich überzeugenden Argument, wonach „Deutschland mit etwaigen Waffenlieferungen keine Partei in Konfliktgebieten ergreifen will“. Bedenkt man, dass Deutschland in den 20 Jahren zwischen 2001 und 2021 Waffen an die afghanische Armee und die Peschmerga im Irak unter dem Motto „Kampf gegen den IS“ geliefert hat, verliert die diesbezügliche Argumentation der aktuellen Regierung ihre Gültigkeit. Merkels Erlaubnis kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt, Waffen an Ägypten zu verkaufen, ist im gleichen Zusammenhang zu werten.

Auf der anderen Seite nimmt Deutschland aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen während der Trump-Regierung in der Ukraine-Frage eine vorsichtige Haltung ein und versucht, zwischen dem Westen und Russland einen Ausgleich zu finden. Auf diese Weise maximiert es seine eigenen Interessen und minimiert zugleich mögliche Bedrohungen aus Russland. Doch trotz Deutschlands derzeitiger Ermutigung der prowestlichen Kämpfe in der Ukraine, in Kooperation mit der EU und den USA, erzeugt das Schweigen über die kürzliche Krim-Annexion und die aktuelle Androhung eines russischen Einmarsches in die Ukraine ein widersprüchliches Bild. Folgerichtig kritisierte der frühere Außenminister der SPD, Sigmar Gabriel, kürzlich in einer Erklärung, die derzeitige Regierung übernehme in der Ukraine-Krise keine Verantwortung.

Politische Bedenken

Tatsächlich rangiert Deutschland gemessen an seiner politischen und wirtschaftlichen Macht an erster Stelle unter den Staaten, die Einfluss auf Russland nehmen können. Aber Deutschland bleibt in der Ukraine-Krise aus drei Gründen passiv: Erstens hat das heutige Deutschland nicht die militärische Stärke, die es vor dem Zweiten Weltkrieg hatte. Insofern will Berlin, das Russland als explizites Sicherheitsrisiko für seine nationale Sicherheit betrachtet, keine Konfrontation mit Moskau. Aufgrund dieser Realität gibt Deutschland die Verantwortung für die Ukraine-Frage an die EU und die USA ab. Tatsächlich zeigt das jüngste Treffen zwischen Putin und Macron, dass in der Ukraine-Frage wohl Frankreich die Führungsrolle für Europa übernommen hat.

Momentan ist die derzeitige Koalition aus SPD, Grünen und FDP hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Russland gespalten. Während die grüne Außenministerin Annalena Baerbock harte Sanktionen gegen Russland fordert, wollen SPD und FDP angesichts der Handelsbeziehungen keinen Konfrontationskurs. Aufgrund solcher Meinungsverschiedenheiten, die wohl das größte Problem mehrerer Koalitionsregierungen darstellen, kann selbige dann auch keine konkreten Schritte gegen Russland unternehmen.

Wirtschaftliche Bedenken

Der zweite Grund, warum Berlin in der Ukraine-Krise passiv geblieben ist, hat mit dem hohen Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland zu tun. Wenn man bedenkt, dass Deutschland laut Daten aus dem Jahr 2019 Waren und Dienstleistungen im Wert von 30 Milliarden Dollar aus Russland importiert und im Gegenzug Exporte in Höhe von 19 Milliarden Dollar nach Russland getätigt hat, lässt sich schlussfolgern, dass die Regierung in Berlin dieses Handelsvolumen von rund 50 Milliarden Dollar mit Russland nicht beeinträchtigen will. Vor allem, wenn man dazu noch berücksichtigt, dass das Handelsvolumen zwischen den beiden Staaten im Jahr 2013, kurz vor Beginn der ersten Ukrainekrise im Jahr 2014, 80 Milliarden Dollar überstieg, will Deutschland offensichtlich keine weiteren Verluste im Handel mit Russland aufgrund der Ukraine-Frage erleiden. Daher priorisiert Deutschland im Einklang mit seinem Selbstverständnis als Wirtschaftsmacht in der Ukraine-Krise die Lösung des Konflikts mit Russland auf diplomatischem Wege. Dafür hält es die sogenannten Normandie-Gespräche auf der Agenda, die bereits 2015 unter Führung Deutschlands und Frankreichs aufgenommen wurden, um die Konfliktparteien zusammenzubringen.

Abhängigkeit vom Erdgas

Die langjährige Abhängigkeit von Russland im Energiebereich ist der dritte und wichtigste Grund für Deutschlands Passivität in der Ukraine-Krise. Nach aktuellen Daten deckt allein Russland 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs ab. Ebenso deckt Russland 35 % des deutschen Rohölbedarfs. Obwohl Deutschland Projekte zur Verringerung der Energieabhängigkeit aus dem Ausland und zum Ausbau erneuerbarer Energiequellen in Angriff genommen hat, wird die deutsche Gesellschaft und ebenso die Wirtschaft die Ressource Erdgas noch lange brauchen. Dieser Tatsache ist auch das Erdgaspipelineprojekt Nord Stream 2 geschuldet, das kürzlich fertiggestellt, aber noch nicht in Betrieb genommen wurde, um einen direkten Erdgasfluss von Russland nach Deutschland bereitzustellen. Obwohl die Scholz-Regierung kürzlich drohte, dieses Projekt nicht fallen zu lassen, falls Russland trotz aller Mahnungen und allen voran des Drucks der USA in die Ukraine eindringt, wird eine solche Entscheidung der Energiesicherheit Deutschlands am meisten schaden. Aus diesem Grund will Deutschland schon seit der Merkel-Ära Russland nicht zu sehr beunruhigen, um seine Energieversorgung nicht zu gefährden und keine schwere Energiekrise auszulösen.

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