Der bevorstehende Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Türkiye am 19. Oktober markiert eine entscheidende Phase in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Türkiye. Besonders die jüngst diskutierten Waffen- und Verteidigungsindustrie-Embargos Deutschlands gegenüber Türkiye sowie der mögliche Verkauf von Eurofighter Typhoon-Flugzeugen an Türkiye scheinen Hauptthemen der Gespräche zu sein. Obwohl Türkiye und Deutschland in letzter Zeit bei regionalen Krisen unterschiedliche Ansätze verfolgen, basieren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf einer tief verwurzelten gemeinsamen Geschichte und Partnerschaft.
Historische, kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen zwischen Deutschland und Türkiye
Historisch betrachtet sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Türkiye seit dem Ersten Weltkrieg von einer engen Zusammenarbeit geprägt. Während des Krieges waren beide Länder Verbündete und setzten ihre freundschaftlichen Beziehungen auch nach dem Krieg fort. Bereits in den letzten Jahren des Osmanischen Reiches waren die Beziehungen als gut zu bezeichnen.
Kulturell betrachtet hat die türkische Arbeitsmigration nach Deutschland in den 1960er Jahren die sozialen und kulturellen Verbindungen zwischen beiden Ländern weiter verstärkt. Heute leben rund vier Millionen Türken in Deutschland, was die bilateralen Beziehungen auf eine solide soziale Grundlage stellt. Auch im Tourismussektor bestehen enge Beziehungen: Im Jahr 2023 besuchten mehr als sechs Millionen deutsche Touristen Türkiye.
Wirtschaftlich betrachtet sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Türkiye von großer Bedeutung. Im Jahr 2023 exportierte Türkiye Waren im Wert von 21,79 Milliarden US-Dollar nach Deutschland, während die Importe aus Deutschland 28,6 Milliarden US-Dollar erreichten. Der bilaterale Handel summierte sich auf 49,8 Milliarden US-Dollar und steht kurz davor, die 50-Milliarden-Dollar-Marke zu überschreiten. Diese Zahlen verdeutlichen die Tiefe der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Beide Länder sind NATO-Partner, und Türkiye ist ein EU-Beitrittskandidat, was ihre strategische Bedeutung weiter unterstreicht.
Politisch betrachtet gab es in Deutschland immer wieder Politiker, die sich für die EU-Mitgliedschaft von Türkiye und die Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Türkiye eingesetzt haben. In den letzten Jahrzehnten gehörten dazu unter anderem der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Sigmar Gabriel (SPD) und Armin Laschet (CDU), die stets die Bedeutung von Türkiye sowohl für Deutschland als auch für die Europäische Union betonten. Unter Angela Merkel (CDU) war Deutschland zwar nicht besonders positiv gegenüber der EU-Mitgliedschaft von Türkiye eingestellt, doch Merkel verfolgte gegenüber Türkiye eine pragmatische Politik.
In den letzten Jahren jedoch fordern einige Politiker und Gruppen in Deutschland, die sich eine Annäherung zwischen Deutschland und Türkiye nicht wünschen, dass Deutschland keine Waffen an Türkiye exportieren solle. Zudem versuchen sie, die Gespräche zwischen beiden Ländern durch provokative Aussagen im Vorfeld negativ zu beeinflussen. Dabei stehen insbesondere die militärischen Operationen von Türkiye an den Grenzen zu Syrien und dem Irak im Fokus. Doch Türkiye handelt hier im Rahmen ihrer legitimen Rechte und führt diese Operationen durch, um ihre Grenzen zu schützen.
Waffenembargo gegen Türkiye
Die deutsche Regierung hatte in den letzten Jahren die Waffenexporte in Türkiye stark reduziert, aber aktuellen Berichten zufolge wird erwartet, dass Deutschland einen Kurswechsel vornimmt und den Verkauf von 100 Flugabwehrraketen und Torpedos für die türkische Marine sowie große Materialpakete zur Modernisierung der türkischen U-Boote und Fregatten genehmigt. „Der geheim tagende Bundessicherheitsrat gab kürzlich grünes Licht für die Lieferungen von deutschen Waffen im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro an den Nato-Partner Türkiye“, meldete Der Spiegel am 6. Oktober.
Zudem möchte Türkiye 40 Eurofighter-Kampfflugzeuge erwerben, die gemeinsam von Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien hergestellt werden. Deutschland blockiert seit mehr als einem Jahr den Verkauf der Eurofighter an Türkiye. Es wird erwartet, dass Scholz bei seinem Besuch die deutsche Haltung in Bezug auf die Eurofighter, die Türkiye seit langem erwerben will, mildern könnte.
Es gibt gewichtige Gründe für den Kurswechsel Deutschlands sowohl bei den Waffenexporten als auch beim geplanten Verkauf der Eurofighter. Dazu zählen die durch den Ukraine-Krieg veränderten geopolitischen Verhältnisse, die türkische Zustimmung zur NATO-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland sowie die Erwartung, dass der Verkauf der Eurofighter einen Neuanfang in den Beziehungen zur Türkiye markieren könnte.
Möglicherweise hatte auch eine Aussage Erdoğans, die er auf die Frage eines Journalisten zu den Eurofighter-Kampfflugzeugen machte, Einfluss auf die deutsche Entscheidung:„Ob Deutschland die Eurofighter gibt oder nicht, ist mir egal. Ist Deutschland das einzige Land, das Kampfjets herstellt? Wir können diese von vielen anderen Ländern beziehen.“ Tatsächlich nähert sich Türkiye in den letzten Jahren den BRICS-Staaten an, was ihr die Möglichkeit verschafft, Kampfflugzeuge von verschiedenen Ländern zu kaufen. Türkiye pflegt neben ihrer NATO-Mitgliedschaft auch diplomatische und gute Beziehungen zu vielen Ländern, insbesondere zu Russland und China.
Kritik und Provokationen in den Beziehungen
Trotz der historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen gibt es in Deutschland politische Akteure, die die deutsch-türkischen Beziehungen bewusst schwächen wollen. Einige Politiker ignorieren die Sicherheitsbedenken von Türkiye, insbesondere die Herausforderungen an den Grenzen zu Syrien und dem Irak, und kritisieren die türkischen Militäraktionen in diesen Regionen. Diese Akteure greifen regelmäßig Menschenrechtsfragen und militärische Operationen auf, um Scholz' Besuch in Türkiye zu hinterfragen und eine engere Annäherung der beiden Länder zu verhindern. Solche negativen Kampagnen, die sich gegen eine Verbesserung der Beziehungen richten, werden von Akteuren vorangetrieben, die nicht an einer starken Partnerschaft interessiert sind.
Obwohl es in internationalen Beziehungen durchaus normal ist, dass Länder unterschiedliche historische und politische Ansichten haben und verschiedene Strategien verfolgen, gibt es in Deutschland gezielt politische Kräfte, die die Sicherheitslage in Türkiye übersehen und die Schwächung von Türkiye in der Region befürworten. Vor Scholz' Besuch wurde er von diesen Kreisen und einigen Medien scharf kritisiert, sogar aufgefordert, die Reise abzusagen. Das eigentliche Ziel dieser Kritiker scheint jedoch darin zu bestehen, eine Annäherung zwischen Deutschland und Türkiye zu verhindern und die bilateralen Beziehungen zu sabotieren.
Gemeinsames Potenzial für Frieden und Stabilität
Der Besuch von Scholz in Türkiye bietet eine große Chance, die strategische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu vertiefen. Deutschland und Türkiye haben nicht nur historische, wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen, sondern können auch durch ihre gemeinsame Arbeit im Sicherheits- und Energiebereich regionalen und globalen Frieden fördern. Durch eine enge Zusammenarbeit und das Überwinden von Differenzen können beide Länder einen entscheidenden Beitrag zur Lösung internationaler Konflikte leisten.