Archivbild: Die HDP-Abgeordnete Semra Güzel mit einem Mitglied der Terrororganisation PKK (Others)
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Ein Fotoskandal mit viel tiefer liegenden politischen Hintergründen beschäftigt zurzeit die türkische Politik und ebenso die gesamte türkische Wählerschaft. Es geht um Dr. Semra Güzel, mittlerweile Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in der Großen Nationalversammlung der Türkei in Ankara. Diese hatte sich 2014 mit ihrem damaligen Verlobten Volkan Bora in einem Trainingslager der verbotenen Terrorgruppe PKK im nördlichen Irak ablichten lassen.

Das Pärchen hatte sich beim Studium an der Universität zu Harran bei Şanlıurfa kennen- und lieben gelernt. Güzel entschied sich für die Medizinische Fakultät, Bora für Kommunikationswissenschaften. Nach Beendigung der Ausbildung verlobten sich die beiden. Aufgrund einer Reihe von Untersuchungen und Gerichtsanfragen verließ Bora 2009 die Türkei.

Er war also bereits damals kein unbeschriebenes Blatt, und seine Verlobte musste von seinen dunklen Verbindungen zur Terrorszene Kenntnis gehabt haben. The Arab Times kommentierte vor wenigen Tagen, am 10. Januar 2022, über den Fall und zitierte Güzel, die erwähnte, dass sie zwischen 2013 und 2015 ihren Liebling hatte besuchen wollen, da sie ihn über viele Jahre hinweg nicht habe treffen können („HDP lawmaker under fire for intimate photos with PKK terrorist/HDP-Abgeordnete unter Beschuss wegen intimer Fotos mit PKK-Terroristen“). Middle East Eye spezifizierte dann am 11. Januar den Zeitpunkt und bestätigte, dass Güzel 2014 zu Bora im Nordirak aufgebrochen war und ihn dort besucht hatte („Turkey: Prosecutor seeks trial for pro-Kurdish MP over PKK pictures/Staatsanwalt strengt Verfahren gegen pro-kurdische Abgeordnete an wegen PKK-Fotos“).

Bora wurde 2017 zusammen mit drei weiteren Terroristen neutralisiert, Güzel zog ein Jahr später für die HDP ins Parlament ein.

Naivität oder eiskaltes Kalkül?

Junge Menschen werden während ihrer Studienzeit mit vielem Neuem konfrontiert, experimentieren, verlieben, verloben oder verheiraten sich sogar. Wie aber reagieren, wenn ein Realitätscheck ergibt, dass man es mit einem Terroristen zu tun hat? Sollte der Partner sich aus einer Schläferzelle in einen aktiv operierenden Terroristen umwandeln, wird man vom Mitwisser sogar zum Mittäter.

Die Frage, die sich der türkischen Justiz und dem Präsidialamt und sodann dem Parlament stellt, ist die folgende: Sind die Anschuldigungen ausreichend, um der Abgeordneten ihre Immunität zu entziehen, und worauf würde sich dieser Vorwurf begründen? AK-Partei-Parlamentarier Ibrahim Aydemir lässt verlauten, er sei beschämt, dass ein anderer Abgeordneter solche Fotos zugelassen habe. Der Vizepräsident der CHP-Parlamentsgruppe, Engin Altay, meint, jeglicher Kontakt zu Terroristen sei illegal. Parlamentssprecher Mustafa Şentop sagt eindeutig, Güzel sollte ihre Immunität verlieren und sich umgehend von allen Kontakten zu Terroristen distanzieren.

Wasserfall als malerischer Hintergrund

Wie Anadolu Ajans kürzlich berichtete, gab es Anfang 2021 1336 Anträge auf Missbilligungs- oder Immunitätsverfahren im zuständigen Parlamentsausschuss. Die Mehrzahl beträfe die HDP und die Unterstützung von Terrorgruppen. Parlamentssprecher Şentop berichtete, es sei von daher durchaus verständlich, dass die Fotos aus dem Jahr 2014 erst fünf Jahre nach dem Tod von Bora näher untersucht würden. Das Argument von Güzel, die gesamte Untersuchung erst jetzt zu beginnen, sei falsch, ist somit zumindest erst einmal vom Tisch.

Die Frage nach der Unversehrtheit der Privatsphäre stellt sich ebenso nicht. Wer sich wissentlich auf einem Handy mit einem Terroristen ablichten lässt, muss davon ausgehen, dass zufällig oder gewollt selbst viele Jahre später diese Aufnahmen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Nichts anderes passierte mit einer Reihe von Bildern, die von Ceyhun Bozkurt, einem Reporter bei Süper Haber, ins Internet gestellt wurden; Bianet.org berichtete am 11. Januar dieses Jahres detailliert darüber.

Zwei der veröffentlichten Fotos zeigen Güzel mit Bora vor einem Wasserfall (zumindest wird suggeriert, es sei ein echter Wasserfall), wobei sie selbst in Zivilkleidung und Turnschuhen zu sehen ist. Auf anderen Bildern trägt sie eindeutig die Uniform der PKK, unabhängig davon, dass sie ein weiteres Kleidungsstück anscheinend zum Aufwärmen darüber angezogen hatte. Güzel sagte laut Middle East Eye (s.o.), sie hätte die PKK-Uniform aus Sicherheitsgründen anlegen müssen.

Und genau hier könnte der Parlamentspräsident ansetzen: Wer freiwillig und egal aus welchem Beweggrund die Uniform einer Terrororganisation anzieht, sich in ein Trainingslager derselben Terrorbande begibt, egal aus welchem (angeblich lediglich romantischen?) Grund mit einem Terroristen trifft und quasi als Beweis ablichten lässt, der weiß, worum es geht. Unabhängig davon, ob dieser einzelne PKK-Terrorist zum damaligen Zeitpunkt aktiv in mörderische Aktivitäten verwickelt war oder nicht – er lebte in einem Trainingslager, in dem andere Mörderteams ausgebildet wurden; wir kommen somit auf die o.a. Mitwisserschaft und Mittäterschaft zurück.

Individuelle oder institutionalisierte Terrorlinks?

Vertreter von Frau Güzels Partei finanzieren verdeckt PKK-Sympathisanten zum Beispiel mittels Stellenvermittlung; HDP-kontrollierte Stadtverwaltungen leiten Gelder an die Terrorgruppe weiter. HDP-Parteibüros dienen als „Anlaufstellen“ für junge Menschen auf der Suche nach gesellschaftlicher Mitarbeit, die dann kaltblütig in die Berge zu den PKK-Trainingslagern geschickt werden; das Wort Trainingslager ist eigentlich zu milde, da hier Mörderteams ausgebildet und keine Sommersprachkurse abgehalten werden. Mütter und nunmehr auch Väter demonstrieren seit Jahren vor HDP-Büros und fordern ihre entführten Kinder zurück – Beweis für den Fall, dass einige Beobachter den letzten Punkt als journalistische Fantasie verniedlichen.

Der inhaftierte ehemalige Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş sagte in den USA, die PKK sei eine bewaffnete Bürgergruppe, und rief darüber hinaus zum Aufstand aller Menschen zwischen sieben und 70 Jahren auf, mit verheerenden Folgen, bei denen viele unschuldige Menschen inklusive Jugendlicher ihr Leben lassen mussten. Die HDP distanziert sich weder von der PKK noch von ihren syrischen Anlegern, z.B. der YPG.

Sympathiebekundung für eine Studentenromanze, frisch von der Universität? Akzeptanz dafür, dass Lebensgefährten nach Erhalt des Diploms auch als Terroristen „beruflich“ tätig werden dürfen? Die PKK, verantwortlich für den Tod von mehr als 40.000 (!) Menschen, salonfähig machen?

Nicht in diesen Zeilen, niemals; so viel ist sicher!

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