Die DITIB-Zentralmoschee in Köln / Photo: AA (AA)
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In Deutschland leben etwa 5,5 Millionen Muslime, zum Teil seit mehreren Generationen. Eine religions- und kultursensible Seelsorge spielt für diese Menschen damit eine immer größere Rolle. Allerdings beruht die islamische Seelsorge in Deutschland weiterhin auf ehrenamtlichem Engagement. Der Bedarf der Muslime nach einer professionellen, hauptamtlichen sowie institutionalisierten Seelsorge und Wohlfahrtspflege steigt somit täglich.

Seelsorge fördert Heilungsprozess

Insbesondere im Kontext der Anstaltsseelsorge nimmt der Ort des Krankenhauses, wo das menschliche Leid bis hin zum Tod präsente Themen darstellt, einen wichtigen Platz ein. Gerade für den Heilungsprozess besitzen die professionellen und patientenorientierten seelsorgerischen Dienste große Bedeutung. In Deutschland werden diese Dienste von Religionsgemeinschaften übernommen.

Grundgesetz ermöglicht muslimische Seelsorge

Zugleich ist die Religionsfreiheit ein in Art. 4 Grundgesetz (GG) verbrieftes Grundrecht, verbunden mit der staatlichen Pflicht, die Ausübung der Grundrechte auch innerhalb öffentlicher Anstalten, zu denen Krankenhäuser gehören, zu ermöglichen. Das Statistische Bundesamt führt im aktuellen „Kostennachweis der Krankenhäuser“ seelsorgerische Angebote in Krankenhäusern unter „Sonderdienste“. Darin werden beispielsweise Oberinnen, Seelsorger, Krankenfürsorger sowie Mitarbeiter zur Betreuung des Personals und der Personalkinder subsumiert. Bei Gesamtkosten von 120.543.973 EUR der Krankenhäuser deutschlandweit nehmen „Sonderdienste“ mit 383.717 EUR knapp 0,032 Prozent des Etats in Anspruch. So wird vieles unentgeltlich, ehrenamtlich oder über andere Finanzquellen bzw. Refinanzierung aus öffentlichen Geldern ermöglicht. Fast alle Krankenhäuser und Kliniken in Deutschland bieten seelsorgerische Angebote. Dabei ist die Krankenhausseelsorge durch hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger abgedeckt, die mit Ehrenamtlichen und Gemeinden vor Ort zusammenarbeiten. Dies gilt freilich nur für Kirchen, die institutionell Zugang zu den Krankenhäusern haben. In Deutschland wird die Krankenhausseelsorge von der evangelischen und katholischen Kirche – häufig auch in Ökumene – wahrgenommen und mancherorts durch freikirchliche Krankenhausseelsorge ergänzt. Muslimische Einrichtungen im Sinne der Kirchen – also Moscheen – haben diese Möglichkeiten der bundesweiten Seelsorgedienste nur rudimentär und sind häufig auf Initiativen einzelner Akteure zurückzuführen und auf lokaler Ebene verortet.

Lehrinhalte der Ausbildung

Zu den Lehrinhalten gehören u.a.: Strukturelle und rechtliche Grundlagen der Seelsorge, theologische Grundlagen in der islamischen Krankenhausseelsorge, Seelsorgepraxis im Islam in Geschichte und Gegenwart, anthropologische Grundlagen, Umgang mit Krisen- und Grenzsituationen, das seelsorgerische Gespräch im Islam – Struktur, Methoden und Ziele, ethische Grundlagen und Fragestellungen in der islamischen Seelsorge, Heilungsformen und -methoden, Praktikum, Supervision, Verbatimarbeit und Prävention.

Wissenschaftlicher Beirat

In dem wissenschaftlichen Beirat, der für das Curriculum wie auch für die Lehre zuständig ist, befinden sich Personen, die ausgewiesene Experten auf ihren Gebieten sind. Zu ihnen zählen unter anderem Prof. Dr. Abdullah Takım (Universität Innsbruck), Prof. Dr. Cemal Tosun (Universität Ankara), Dr. Georg Wenz (Evangelische Akademie Pfalz), Dr. Mahmoud Abdallah (Universität Tübingen) und Ayşe Almıla Akca (Humboldt-Universität zu Berlin).

Wunsch nach Seelsorgern des eigenen Bekenntnisses immer wichtiger bei Muslimen

Bei der Auftaktveranstaltung zur Vorstellung des Projekts „Ausbildung zur islamischen Seelsorge“ wurde angekündigt, dass das Ziel des Angebots darin besteht, Seelsorgerinnen und Seelsorger auszubilden, die den Heilungsprozess von muslimischen Patienten nicht nur mit religiösen und spirituellen Methoden, sondern auch mit wissenschaftlichen und praktischen Anwendungen positiv begleiten und beeinflussen können. „Die Erfüllung des Wunsches nach einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin ihres Bekenntnisses spielt für viele muslimische Patienten eine wichtige Rolle“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), Abdurrahman Atasoy.

Spiritueller Wegweiser für Muslime in schwierigen Zeiten

Da die Nachfrage nach muslimischen Krankenhausseelsorgern in Deutschland sehr groß ist, hat die DITIB Ende 2022 mit der Seelsorgeausbildung von 14 Theologinnen und Theologen begonnen. Die Ausbildung fußt auf einer modulbasierten und akademisch standardisierten Qualifizierung. Der Leiter und Projektkoordinator der Abteilung Seelsorge der DITIB, Seat Uzeirovski, sprach von einem historischen Tag. Das Curriculum, das aus 12 Unterrichtsmodulen mit über 400 theoretischen und praktischen Unterrichtseinheiten entwickelt wurde, richte sich nach ihren Inhalten und nach zu vermittelnden Fachkompetenzen in Bezug auf die Bedürfnisse und Wünsche der Muslime in Deutschland, so Uzeirovski. „Da sich die Dienste in den Moscheen von der Geburt bis zum Tod erstrecken, kann und muss Krankenhausseelsorge als ein Teil davon verstanden werden.“ Damit diene die Krankenhausseelsorge durch die DITIB als ein spiritueller Wegweiser für Muslime in schwierigen Zeiten.

Islamische Seelsorge ist zukunftsweisend

Die Beiratsmitglieder wiesen in ihren Erklärungen auf der Auftaktveranstaltung auf die Pionierarbeit der DITIB hin. So sagte Dr. Georg Wenz von der Evangelischen Akademie der Pfalz, das Thema der islamischen Seelsorge, insbesondere die Notfallseelsorge, stehe schon seit Jahren auf der Agenda des Bundes, der Länder und Kommunen. „Bisher wurde die Notfallseelsorge durch Einzelinitiativen oder lokale Kontakte ermöglicht. Es gab leider keine Koordination.“ Nachdem die Deutsche Islam Konferenz (DIK) das Thema auf die Tagesordnung setzte, sei ein Schub entfacht worden. „Islamische Seelsorge ist zukunftsweisend, und die Anstaltsseelsorge muss nach unserer Verfassung an eine Religionsgemeinschaft gebunden sein“, so der Experte. „Die Absolventen der Ausbildung werden Pioniere und Multiplikatoren sein“, erklärte Wenz. Ergänzend sprach Dr. Mahmoud Abdallah, Dozent am Zentrum für islamische Theologie der Universität Tübingen und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats, davon, dass Seelsorge sich dann entfalten könne, wenn sie erst in Sprache formuliert werde.

Meilenstein für DITIB und Deutschland

Zuletzt wandte sich Prof. Dr. Abdullah Takım von der Fakultät für islamische Theologie der Universität Innsbruck an das Publikum. Die Krankenhausseelsorge sei ein Meilenstein für die DITIB, so Takım, der die DITIB an diesem historischen Tag für ihr zukunftsweisendes Pilotprojekt beglückwünschte. „Es gab einen Bedarf. Und hierauf musste reagiert werden. Die DITIB schafft nun die Voraussetzungen für die Seelsorgearbeit“, freute sich der Theologieprofessor. Die Seelsorgearbeit bedeute eine institutionelle Integration in Deutschland.

In Zukunft auch islamische Gefängnis- und Militärseelsorge

Für die Zukunft denkt die Religionsgemeinschaft neben der Krankenhausseelsorge auch über die Ausbildung von Notfall-, Gefängnis- und Militärseelsorgern nach. Auch in diesen Bereichen steigt der Bedarf von Tag zu Tag.

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