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Online-Lehrangebote sind während der Corona-Pandemie in den Mittelpunkt gerückt. Von besonderer Bedeutung ist das digitale Konzept für Kinder in Flüchtlingslagern. Dafür müssen aber zunächst die Grundbedingungen geschaffen werden.

Auf Einladung des Diplomatie-Forums in Antalya durfte ich am 9. Juni an einer virtuellen Debatte mitwirken. Es wurde vom in Wien ansässigen „International Centre for Migration Policy Development“ (ICMPD), das mit Migrationsfragen beauftragt ist, und dem türkischen Außenministerium organisiert. Redner waren der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sowie seine Amtskollegen aus Pakistan, Libanon, Jordanien und dem Irak. Alles wichtige Aufnahmeländer von Flüchtlingen. Zudem wirkten der UNHCR-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi und eine Vizedirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit. Es ging um die Folgen der Covid-19-Pandemie für die globale Lage von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen.

An dieser Stelle möchte ich gerne einige Gedanken zusammenfassen, die ich in die Diskussion einbrachte: Außenminister Çavuşoğlu erwähnte in seinem Beitrag unter anderem die Bedeutung von Online-Ausbildung für Kinder und Jugendliche in den Flüchtlingseinrichtungen. Das Unterrichtsangebot hat infolge der Pandemie weltweit gelitten. Als jemand, der selbst ausschließlich das Ergebnis eines jahrzehntelangen Lernprozesses ist, weiß ich um die Bedeutung einer soliden Ausbildung und Bildung Bescheid. Es geht jedenfalls um viel mehr als um die bloße Erlangung eines Abschlusses.

Der Ausbau von Möglichkeiten zu digitalem Lernen sowie der Zugang dazu erscheinen mir wesentlich. Ich war selbst die letzten 35 Jahre oft in Flüchtlingslagern unterwegs: meist im Nahen Osten, wo infolge der vielen Kriege, welche die Region seit Jahrzehnten beuteln, junge Menschen nur das Leben im Lager kennen. Ich erinnere mich gut an Gespräche, die ich mit Kindern auf Arabisch führte. Auf meine Frage, welchen Beruf sie eines Tages ausüben möchten, waren die Antworten meist folgende: „Arzt, Lehrer, Pilot“. Egal ob Mädchen oder Buben: für sie alle ist die Idee, selbst einmal medizinisch zu wirken, andere Menschen zu unterrichten oder eben ein Flugzeug zu steuern, oft der Lebenstraum schlechthin.

Meines Erachtens nach kann es nie genug Menschen geben, die in der Heilkunde und im Lehrberuf arbeiten. Das sind keine Jobs und auch keine Karrieren, sondern Berufe im Sinne einer Berufung. Den inneren Ruf für eine Arbeit, die auch sehr mühsam und oft voller Rückschläge sein kann, sollte man spüren und sich stets erhalten. Kinder und Jugendliche auf der Flucht bzw. im Limbo der Unsicherheit im (n)irgendwo, brauchen Träume und handfeste Perspektiven. Ergänzend zu analogen Möglichkeiten wäre digitaler Unterricht, sofern vorhanden, eine Option.

Ohne stabile Stromversorgung geht gar nichts

Dafür braucht es: stabile Stromversorgung und funktionierendes Internet sowie Zugangsgeräte. Wir alle haben diese Grundbedingungen in der Quarantäne neuerlich zu schätzen gelernt. Gerade an der Stromversorgung scheitert es in vielen Lagern. Im Libanon, wo seit über 70 Jahren regelmäßig Menschen auf der Flucht gastfreundlich aufgenommen worden sind und wofür das Land nun einen hohen politischen Preis zahlt, stehen Stromausfälle an der Tagesordnung. Die Gründe sind vielfältig: einer ist auch das illegale Abzapfen des sehr schlechten staatlichen Stromnetzes durch Flüchtlinge. Das schafft Unruhe und Frustration auf allen Seiten. So wie auch mein erster Satz im libanesischen Umgangsarabisch, den ich in den späten 1980er Jahren täglich verwendete: „Fi kahraba?“ (Gibt es Strom?) Je nach Situation musste man die Waschmaschine einschalten, den Lift im Hochhaus nehmen oder den Computer kurzfristig sichern.

Ein Vorschlag von meiner Seite: Egal ob es sich um das UNHCR oder die jeweiligen Betreuungseinrichtungen in den Aufnahmeländern handelt, die konkrete Zusammenarbeit mit Internetanbietern und Stromversorgern ist die Basis aller weiteren Überlegungen zum digitalen Lernen. Sichere und leistbare Stromversorgung ist aber nicht nur ein Thema in den Flüchtlingslagern, wo vieles oft improvisiert wird bis das Provisorium zur ungeliebten Dauereinrichtung wird. Die Defizite betreffen die Bevölkerung in vielen Staaten. Belastbares WLAN ist ein weiteres wesentliches Element für das digitale Lernen wie für all diese virtuellen Treffen, die wir in den letzten Wochen und Monaten erlernt und irgendwie gehandhabt haben.

Ich durfte auf die spontane Einladung der Staatlichen Universität von Moskau (MGIMO) ab Mitte Mai einen digitalen Kurs zum Erdölmarkt halten. Das half mir in vielfacher Hinsicht. Es war bemerkenswert, in dieser Art von Lehrveranstaltung zu erleben, was alles digital möglich wird. Technisch funktionierte alles einwandfrei zwischen meinem Büro in der österreichischen Provinz und der Uni in Moskau.

Es gibt Spielraum, um die Ausbildung, Fortbildung und den Zugang zu Wissen zu fördern. In der medizinischen Ausbildung lässt sich zwar anhand von Videos manche Ferndiagnose erstellen und Fertigkeit erlernen – Üben und handwerkliches Können sind aber nicht immer ausschließlich digital möglich.

Die immer noch unterschätzten „Remittances“

Ein Thema, das meines Erachtens nach für weitere Verschärfung in der Migration sorgen wird, ist der Wegfall der sogenannten „Remittances“ infolge des globalen Lockdowns und der Weltwirtschaftskrise, in der wir alle stecken. Manche Volkswirtschaften sind fragiler, andere robuster. Manche haben Ersparnisse, andere sind hochverschuldet. Das gilt sowohl für den Staat als auch für das Individuum. Es handelt sich bei diesen Remissionen um jene Überweisungen, die von Expats, also den Migranten in der Arbeitswelt, an ihre Familien getätigt werden.

Eine Studie der Weltbank zeigte bereits vor Jahrzehnten, dass diese Rücküberweisungen von oft kleinen Beträgen, meist über Western Union, ein Vielfaches der weltweit getätigten Entwicklungszusammenarbeit umfassen. Ob es sich nun um den Bauarbeiter aus Pakistan handelt, der unter oft widrigen Umständen auf den Baustellen in den arabischen Golfstaaten arbeitet und monatlich einen hohen Anteil seines kärglichen Lohns nach Hause überweist, oder um den libanesischen Ingenieur und die türkische Ärztin. Sie alle unterstützen konsequent die restliche Großfamilie, die damit daheim das Schulgeld oder den Hauskredit begleichen kann. Es ist empirisch nachgewiesen, dass diese Direktzahlungen wesentlich dazu beigetragen haben, dass Menschen in Südasien aus der extremen Armut in einen bescheidenen Wohlstand aufsteigen konnten. Dass Bangladesch von der untersten Skala in der Weltwirtschaft zu einem Schwellenland mit enormem Potential aufgestiegen ist, hat auch mit diesen individuellen Direktinvestitionen zu tun.

Die verordnete Immobilität infolge der Pandemie, die zu großen Verwerfungen auf dem Erdölmarkt geführt hat, könnte eventuell wiedereintreten. Der niedrige Erdölpreis löste nicht zum ersten Mal eine massive Krise in all jenen Staaten aus, die sehr stark von diesem strategischen Rohstoff abhängig sind. Expats werden ihre Verträge verlieren, sie werden, sofern sie können, Arbeit und Einkünfte andernorts suchen.

Auch Flüchtlinge und intern Vertriebene finanzieren oft einen Teil ihres Lebensunterhalts dank ihrer im Ausland arbeitenden Verwandten. Wie diese Beträge zu ersetzen sind, ist eine zentrale Frage, die es zu beantworten gilt.

Die Aufnahmeländer und die Pandemie

All jene Staaten, die vor allem, aber nicht nur im Nahen Osten, im großen Stil Flüchtlinge aufnehmen, müssen unterstützt werden - und zwar auf eine klügere Weise, als dies bislang der Fall war. Der Libanon ist für mich in vielfacher Hinsicht ein Mikrokosmus. Die Menschen haben mit ihrer bemerkenswerten Gastfreundschaft über Jahrhunderte hinweg Vertriebene aufgenommen. In diesem Teil der Levante herrschte stets ein besonderes Klima der Großzügigkeit und der geistigen Freiheit. Ob es sich um Schriftsteller aus der arabischen Welt handelte, deren Bücher dem jeweiligen Langzeitherrscher nicht gefielen, oder um die aus Galiläa vertriebenen Bauern: sie alle fanden im Libanon oft eine neue Heimat. Das gilt ebenso für die Armenier, die den Libanon wirtschaftlich und gesellschaftlich aufgebaut haben. Ähnlich verhält es sich mit Jordanien, der Türkei aber auch mit Syrien. Dieses Land nahm infolge des Irakkriegs, der im März 2003 von den USA und ihren Verbündeten begonnen wurde, Millionen Iraker auf. Rund zehn Jahre später mussten Syrer flüchten, unter anderem in Richtung Irak.

Inmitten der Gesundheitskrise und der globalen Depression müssen wir die Talente finden, die zwischen ihren Gastländern und Herkunftsländern wirken können. Sie sorgen für den Neuanfang, der immer wieder erforderlich ist. Wer unter sehr schwierigen Umständen lernt und sein Leben aufbaut, kann einiges leisten, wenn es das Leben ermöglicht.

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