DFB-Team trotz Sieg ausgeschieden / Photo: AA (AA)
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Die Fußball-WM in Katar wurde vor einigen Wochen mit einer großen und lichtstarken Auftaktshow eröffnet, die mit knapp 30 Minuten als die längste Zeremonie in die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften einging. Mit dabei war auch Hollywood-Schauspiellegende Morgan Freeman. Das energiereiche Land gab in der bunten Zeremonie ein festliches Bild von Toleranz und Weltoffenheit ab. In der Eröffnungsszene führten Freeman und Katars WM-Botschafter Ghanim Al Muftah, der mit einer Fehlbildungserkrankung des unteren Rumpfes geboren wurde, ein Gespräch über die wichtigen Werte von Diversität, Toleranz und Inklusion. „Jeder ist bei der WM willkommen”, schloss Al Muftah. Bei der Ankunft von Katars Staatsoberhaupt Emir Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani gemeinsam mit FIFA-Präsident Gianni Infantino war schallender Applaus zu vernehmen. Al-Thani blickte in seiner Eröffnungsrede mit folgenden Worten auf die kommenden WM-Tage: „Menschen verschiedenster Herkunft, aus allen Nationen, Religionen und Orientierungen werden sich versammeln. Wie schön, wenn die Menschen zurückstellen, was sie trennt, um sich zu vereinen.” Der Präsident des Fußball-Weltverbands ging kurz vor dem Anpfiff des Eröffnungsspiels neben der sportlichen auch auf die zivilisatorische Funktion des Fußballs ein und sagte: „Lasst uns Fußball feiern, weil Fußball die Welt verbindet.”

Kürzeste WM-Endrunde seit 1978

Bei dem Turnier, das vom 20. November 2022 bis zum 18. Dezember 2022 ausgetragen wird, kämpfen insgesamt 32 Mannschaften um den begehrtesten Titel der Fußballwelt. Die Endrunde wird mit 28 Tagen die kürzeste sein seit der WM 1978 mit 25 Tagen.

Europäer sollten sich an die eigene Nase fassen

Bereits einen Tag vor dem Eröffnungsspiel hatte FIFA-Präsident Infantino eine „Doppelmoral“ westlicher Nationen gegen WM-Gastgeber Katar angeprangert. „Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen“, sagte der 52-Jährige während einer Pressekonferenz in Al-Rajjan. Es sei „traurig“, diese „Doppelmoral“ erleben zu müssen.

Kritik ist heuchlerisch

Katar wird ein diskriminierender Umgang mit Arbeitsmigranten und Homosexuellen vorgeworfen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) oder Human Rights Watch (HRW) kritisieren das Land dafür hart. Die Regierung des Emirats weist die Vorwürfe entschieden zurück und hebt den seit einigen Jahren angelaufenen Reformprozess hervor, der auch das Arbeitsrecht betrifft. Auch der FIFA-Präsident weist auf die wichtigen Fortschritte in Katar hin und nimmt das Land in Schutz: „Diese Art und Weise, einseitig Lektionen erteilen zu wollen, das ist heuchlerisch.“

Negative Berichterstattung führt zu negativen Umfragewerten

In Deutschland dominieren die negativen Schlagzeilen. Es gibt sogar einflussreiche Boykott-Aufrufe, Proteste und Demonstrationen. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gaben nur vier Prozent der Befragten an, es richtig zu finden, dass die Endrunde in dem Emirat ausgerichtet wird. Zwei Drittel finden es eher oder klar falsch, dass die Endrundenspiele in dem arabischen Land ausgetragen werden. Auffällig ist hier, dass die negative Berichterstattung zu einer negativen öffentlichen Wahrnehmung führt. Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass die allgemeine Meinungsbildung in Deutschland durch die Medien beeinflusst wird.

Reich an Erdgas und Erdöl

Katar ist allerdings nicht nur der Austragungsort der Fußball-WM 2022. Das Emirat gilt als eines der reichsten Länder der Welt. Das Geld hat das Land aber mit fossilen Rohstoffen erwirtschaftet, darunter vor allem Erdgas und Erdöl. Rund 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts stammen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Das ist weltweit der größte Anteil.

Beteiligungen an deutschen Unternehmen

Seit Jahren gibt es eine enge Kooperation und sogar gewichtige Beteiligungen des arabischen Lands an deutschen und europäischen Unternehmen. Volkswagen (VW) ist so ein Konzern; die Katarer sind mit 17 Prozent an dem Unternehmen, das auch den Deutschen Fußball Bund (DFB) sponsert, beteiligt. An der Deutschen Bank hält das Emirat beispielsweise 6,1 und an Siemens 3,04 Prozent. Mit dem letztgenannten Anteil sind die Katarer der viertgrößte Investor des Industrie-Giganten Siemens. Der größte Anteilseigner, die Familie Siemens selbst, hält sechs Prozent. Über die Qatar Holding LLC, das Investitionsinstrument des Staates, sichert sich das arabische Land neun Prozent der Anteile an dem Energiekonzern RWE. Die Beteiligung bei der VW-Tochter und am Edelautomobilkonzern Porsche liegt bei 4,99 Prozent. Auch an Hapag Lloyd, der fünftgrößten Reederei der Welt, ist das Herrscherhaus mit 12,3 Prozent beteiligt. Die millionenschweren Beteiligungen der Katarer an europäischen Fußballclubs wie Paris Saint-Germain (Frankreich), Sporting Braga (Portugal), KAS Eupen (Belgien) oder Sponsorenverträge mit dem FC Bayern München (über Qatar Airways) sorgen allerdings entgegen der jetzigen Debatten bei der WM kaum für Kritik.

Bilateraler Handel mit Katar nutzt Deutschland

Auch das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und Katar läuft einwandfrei und existiert seit Jahren – merkwürdigerweise – ohne Boykottaufrufe. Liegt das vielleicht daran, dass Deutschland mehrfacher Profiteur dieser einseitigen Handelsbeziehung ist? Bei den deutschen Importen aus Katar machten voriges Jahr fossile Brennstoffe wie Gas, Öl und Kohle mehr als 80 Prozent des Gesamtvolumens aus, was einem Wert von mehr als 350 Millionen Euro entsprach. Deutsche Unternehmen haben im vergangenen Jahr sogar Waren und Dienstleistungen im Wert von 1,33 Milliarden Euro nach Katar exportiert, während katarische Verkäufe nach Deutschland nur ein Volumen von zusammengerechnet 430 Millionen Euro hatten. Deutschland profitiert daher weitaus mehr von den Handelsbeziehungen mit dem Emirat. Zudem ist Deutschland derzeit vor allem im Hinblick auf die Energiekrise auf Gaslieferungen aus Katar angewiesen. Die Reise von Bundeswirtschaftsminister Habeck in das Emirat und seine unterwürfige Begrüßung von Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, Minister für Handel und Industrie von Katar, die für großen Spott sorgte, sind uns allen noch in Erinnerung.

Wenn man mit den Boykott-Aufrufen konsequent ist, wäre es dann nicht angebracht, keine Autos des VW-Konzerns mehr zu fahren oder die Heizung auszustellen, weil das Gas aus Katar kommt? Wäre es dann nicht aufrichtig, alle Produkte und Dienstleistungen von Siemens, Deutsche Bank, RWE, Hapag Lloyd zu boykottieren? Vielleicht könnte man auch überlegen, alle Heim- und Auswärtsspiele des FC Bayern zu meiden, weil einer der Hauptsponsoren kein Geringerer als Qatar Airways ist.

Andere Maßstäbe

Der Vorwurf des FIFA-Bosses und der Katarer der „Doppelmoral” und „Heuchelei” trifft auch auf Deutschland zu. Was sagte der katarische Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani noch vor Kurzem? Einerseits werde „die deutsche Bevölkerung durch Regierungspolitiker falsch informiert.“ Andererseits habe die Regierung kein Problem mit Katar, wenn es um Energiepartnerschaften oder die Rettung deutscher Staatsbürger aus Afghanistan gehe. „Wenn wir eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten, diesen Moment genießen und zusammen mit der deutschen Mannschaft feiern wollen, dann gelten auf einmal andere Maßstäbe.“ Die Empörung über die WM ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten.

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