Das islamophobe Netzwerk des Magdeburger Attentäters / Photo: DPA (dpa)
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Der fünffache Mord am Weihnachtsmarkt in Magdeburg passt so gar nicht in das übliche Schema, das kurz nach der Tat bemüht wurde. 200 Menschen wurden verletzt, 40 von ihnen eher schwer und fünf Menschen starben. Rechte Hetzer wollten es schnurstracks für ihre Sache verwenden. So postete etwa der Fernsehkanal der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs, dass trotz der Undurchsichtigkeit der Situation „wir alle erahnen, aus welchem Umfeld der Täter stammt. Seit 2015 sind wir laufend mit islamistischem Terror konfrontiert“.

Das erinnert gewissermaßen an die ersten Reaktionen nach dem Attentat von Anders Behring Breivik, der 2011 mehr als 70 Menschen, vorrangig junge Mitglieder der Sozialdemokratischen Jugendbewegung, im norwegischen Utoya ermordete. Aber die Projektion entsprach nicht der Realität. Und so ist es auch schnell wieder leise geworden in Kreisen von AfD, FPÖ und Konsorten.

Islamophobes Netzwerk

Dass der Täter, Taleb Al Abdulmohsen, auf seinem X-Account ein Fan von Alice Weidel und ihrer Partei, der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland, Elon Musk, NIUS und Israel ist, passte nicht in das Schema der Rechten. Und dass der aus Saudi-Arabien stammende und seit 2006 in Deutschland lebende Arzt sich als Ex-Muslim positionierte und gegen die sogenannte Islamisierung polemisierte, passte ebenso nicht.

Dabei hatte Taleb Al Abdulmohsen nicht nur eine Rolle als lokaler Aktivist in Deutschland inne. Wie seine Postings und Auftritte veranschaulichen, war er darüber hinaus auch bestens in internationalen islamophoben Netzwerken unterwegs. Nicht nur, dass er Personen wie Geert Wilders als „wahre Helden“ bezeichnete. Er war auch mit der umstrittenen US-basierten RAIR Foundation USA vernetzt. Sie stellt sich schützend hinter islamophobe Wortführer wie Martin Sellner, Michael Stürzenberger und Rasmus Paludan. Die RAIR Foundation hatte mit Taleb Al Abdulmohsen auch ein Interview durchgeführt, das in ihren Kanälen ausgestrahlt wurde. Unter seiner Gefolgschaft finden sich auf seinem X-Kanal auch Personen aus der AfD und deren Jugendorganisation Junge Alternative.

Mit der AfD träumte der Attentäter ein gemeinsames Projekt auf die Beine stellen zu wollen. Es handelt sich dabei um eine Akademie für Ex-Muslime. „Wer sonst bekämpft den Islam in Deutschland“, fragte er. Taleb Al Abdulmohsen erfüllte dabei die Rolle des Abtrünnigen, der als „authentische“ Stimme spricht, den Islam von innen kenne und damit eine ideale Figur des aufgeklärten Mannes spielt, der sich voll und ganz einer neuen Lebensweise hingibt. Mehr als das: Er wollte den Kampf gegen die Islamisierung, wie es im Kampfvokabular der Neuen Rechten heißt, anführen.

Dissoziation und Verschwörungstheorien

Und während sich unter den Kondolenzbekundungen von AfD und FPÖ unzählige anti-muslimische Postings reihen, gab es seither keine Äußerungen mehr. Im Gegenteil, andere Ex-Muslime begannen sofort Theorien zu spinnen, wonach der Täter eigentlich ein saudischer Agent gewesen sei, der andere Ex-Muslime ausspioniert habe. Anders gesagt: Dissoziation, um jeden früheren Kontakt und, noch wichtiger, jede ideologische Nähe ad absurdum zu führen. In diesem Sinne veröffentlichte die RAIR Foundation auch einen Artikel, der eine Ansammlung vieler viral gegangener Theorien zur Abgrenzung islamophober Akteure von Abdulmohsen aus Deutschland beinhaltet.

Keine Debatten über Verschärfungen im Anti-Terror-Kampf

Der amtierenden Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist anzurechnen, dass sie die Motivation des Attentäters klar und deutlich ansprach: „Wir können nur gesichert sagen, dass der Täter offensichtlich islamophob war“, so ihre Worte.

Doch das gesamtgesellschaftliche Bild zeigt, wie sehr sich im Fall Taleb Al Abdulmohsen ein typisches Muster durchsetzt. Denn eines ist auffallend: Während bei ähnlichen Anschlägen von sogenannten Dschihadisten sogleich mit dem Begriff des Terrors hantiert wird und Verschärfungen im Anti-Terrorismus-Bereich gefordert werden, ist von diesem kaum etwas zu lesen. Der verantwortliche Oberstaatsanwalt will explizit nicht von Terrorismus, sondern von einem Anschlag oder einer Amokfahrt sprechen. Der bayerische CSU-Innenminister wiederum will zwar die Sicherheitsvorkehrungen verstärken, betonte aber, es gebe keine Hinweise auf konkrete Gefährdungen bayerischer Weihnachtsmärkte.

Im Gegenteil zu Gewalttaten, die rassifiziert werden, waltet wie üblich bei Gewalt von Weißen Tätern Zurückhaltung, Distanz, Ausgleich und Ruhe.

Es wird abzuwarten sein, wie sich die gesellschaftspolitische Debatte in Deutschland in den nächsten Tagen entwickelt. Aber die ersten Reaktionen lassen vermuten, dass wenig daraus gelernt wird.

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