Der BRICS+-Gipfel fand vom 22. bis 24. Oktober in Kasan statt und erregte in wirtschaftlicher, politischer und sicherheitspolitischer Hinsicht weltweite Aufmerksamkeit. Zu den Gründungsmitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gesellten sich offiziell fünf neue Mitglieder: Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Neben den Mitgliedern nahmen auch weitere Staatsoberhäupter an dem Treffen teil, darunter der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der das Interesse bekundete, die Beziehungen zur BRICS-Gruppe weiter zu vertiefen. Insgesamt waren über 20 Staatsoberhäupter und Vertreter aus 36 Ländern anwesend.
Eine der zentralen Botschaften des Gipfels war es, trotz der internationalen Isolation, die Russland erfahren hat, dessen Fähigkeit zu zeigen, freundschaftliche Beziehungen zu einer Vielzahl von Staaten aufrechtzuerhalten. Unter der Leitung des russischen Präsidenten Wladimir Putin fand der jährliche BRICS-Gipfel zu einer Zeit statt, in der der Konflikt in der Ukraine andauert, und stellte das größte Treffen internationaler Führungspersönlichkeiten in Russland seit Jahrzehnten dar.
Ein weiteres bemerkenswertes Element dieses Treffens war die Teilnahme des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres. Seine Präsenz kann als symbolische Anerkennung der zunehmenden Rolle der BRICS in globalen Angelegenheiten interpretiert werden und deutet auf eine indirekte Unterstützung für die Agenda der BRICS-Gruppe hin. Die Teilnahme der Vereinten Nationen an einem solchen Forum bestätigt das wachsende Gewicht der BRICS-Staaten und wird als Zeichen für den Schritt in Richtung einer multipolaren Weltordnung gedeutet.
Bedeutung von BRICS für das globale Gleichgewicht
BRICS stellt eine Plattform dar, die die Machtverhältnisse der globalen Politik neu hinterfragt. Nach dem Zweiten Weltkrieg prägten westlich-zentrierte wirtschaftliche und politische Institutionen, darunter die Vereinten Nationen, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, maßgeblich das internationale System. Nach dem Ende des Kalten Krieges etablierte sich eine unipolare Weltordnung, die die USA als Supermacht in den Mittelpunkt rückte. In den letzten drei Jahrzehnten hat der wirtschaftliche und politische Aufstieg Asiens jedoch das Bedürfnis nach einem neuen Gleichgewicht in diesem System entstehen lassen.
Die Relevanz der BRICS-Gruppe liegt in dem Versuch, eine wirtschaftliche Alternative zu den Machtzentren USA und EU zu schaffen. Durch die Allianz von Ländern wie China, Indien und Russland, die sowohl wirtschaftlich als auch militärisch stark sind, zusammen mit regionalen Mächten wie Brasilien und Südafrika, bietet BRICS eine mögliche Alternative zur westlichen Dominanz. Die Gründung von Entwicklungsbanken und Handelsmechanismen zeigt das Bestreben, die Abhängigkeit von traditionellen westlichen Institutionen wie dem IWF und der Weltbank zu reduzieren.
Ökonomische Bedeutung der BRICS-Gruppe
Mit der Erweiterung durch neue Mitglieder repräsentiert BRICS nun rund 45 % der Weltbevölkerung und einen erheblichen Anteil der globalen Wirtschaft. Die BRICS-Staaten erwirtschaften gemeinsam ein Bruttoinlandsprodukt von 28,5 Billionen Dollar, was 36 % der Weltwirtschaft entspricht und damit den Anteil der G7 von 29,3 % übertrifft. BRICS ist für etwa 25 % des globalen Exports verantwortlich und hat Zugang zu bedeutenden strategischen Ressourcen. Durch einen Anteil von 45 % an der globalen Rohölproduktion nehmen die BRICS-Staaten eine Schlüsselrolle auf den Energiemärkten ein. Zusätzlich besitzen sie 21,4 % der weltweiten Goldreserven, was ihnen eine wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit vom westlich dominierten Finanzsystem verleiht.
Die wirtschaftliche Resilienz der BRICS-Staaten beschränkt sich jedoch nicht nur auf natürliche Ressourcen. Die 2014 gegründete New Development Bank (NDB) mit einem Kapital von 100 Milliarden Dollar unterstützt Infrastrukturprojekte in BRICS-Ländern und zeigt auf, dass wirtschaftliche Entwicklung auch unabhängig von westlichen Finanzinstituten möglich ist. Seit 2016 hat die NDB in 138 Projekte investiert und bietet somit eine unabhängige wirtschaftliche Entwicklungsbasis. Durch den steigenden Einsatz lokaler Währungen in ihren Handelsbeziehungen, der mittlerweile 65 % erreicht hat, bietet BRICS ein alternatives Modell zur Reduzierung der Abhängigkeit vom US-Dollar und stärkt die Stabilität des globalen Finanzsystems.
Türkiye und BRICS: strategische Perspektive
Der Wunsch von Türkiye, BRICS beizutreten, ist vor allem durch ökonomische Beweggründe geprägt. Während sich das Zentrum der globalen Wirtschaft allmählich außerhalb des Westens verlagert, orientieren sich auch die türkischen Handelsbeziehungen in diese Richtung. Im Jahr 2023 entfielen etwa 60 % des türkischen Handelsvolumens auf die BRICS-Staaten, was die Handelsbeziehungen mit der EU als wichtigstem Wirtschaftspartner übertraf. Insbesondere Russland und China nehmen 87 % des türkischen BRICS-Handels ein. Die Handelsbeziehungen sind jedoch asymmetrisch: Die Exporte von Türkiye in diese Länder machen nur 15,7 % seiner Importe aus. Türkiye strebt eine intensivere Zusammenarbeit mit China und Russland an, um in Bereichen wie Handel, Investitionen, Finanzen, Landwirtschaft, Tourismus und Bildung konkrete Ergebnisse zu erzielen.
Mit der Aufnahme neuer Mitglieder wird die BRICS+-Gruppe global repräsentativer. Gleichzeitig könnte die zunehmende Anzahl an Mitgliedern jedoch auch zu stärkeren internen Spannungen führen. Dennoch bleibt BRICS für Schwellenländer ein bedeutender Schritt in Richtung einer multipolaren Weltordnung, die sich von westlicher Hegemonie distanziert und auf Gleichheit und Kooperation setzt. Für Türkiye bedeutet BRICS keine bloße Alternative, sondern eine strategische Vertiefung seiner Außenpolitik, um geopolitische Balance und strategische Reichweite zu stärken. BRICS wird damit zu einem ergänzenden Schritt, der der türkischen Außenpolitik eine neue Dimension verleiht und das Streben nach einem ausgewogenen geopolitischen Einfluss unterstreicht.