Selten war ein Parteitag einer Regierungspartei und sogar Kanzlerpartei so spannend. Die ÖVP kommt am 14. Mai zusammen, um sich, so erscheint es im Vorfeld, neu zu positionieren. Was nicht weiter verwunderlich ist, dümpelt doch die Partei in Umfragen bei 20 Prozent hinter der SPÖ mit 28 Prozent. Ein satter Abstieg also, wenn man die 37,5 Prozent bedenkt, die 2019 die Partei abermals in den Kanzlersessel katapultiert hatten.
Der Umbau hat bereits begonnen
Wie im Vorfeld bekannt wurde, wird „Die neue Volkspartei“, die dereinst unter Sebastian Kurz das „neue“Attribut und statt der Parteifarbe Schwarz Türkis bekommen hatte, in „Die Volkspartei“ umbenannt werden. Das Türkis will man beibehalten. Vorläufig zumindest.
Zu den Äußerlichkeiten gesellen sich Gerüchte über Personalrochaden. Zwei Rücktritte sind bereits vollzogen worden. Elisabeth Köstinger, Ministerin für Landwirtschaft und Tourismus, hat am Montag, 9. Mai ihren Rückzug aus der Politik bekanntgegeben. Wir erinnern uns an ihre Aktion sichere Almen sowie ihr vehementes Eintreten gegen das Verbot von Vollspaltböden in der Schweinezucht. Mit Köstinger ist eine Vertraute von Sebastian Kurz nicht mehr Teil der Regierung.
Gleich tat es ihr Wirtschaftsministerin Margarete „Wünschelruten-Maggie“ Schramböck. Schramböck zeichnete sich besonders in ihrer Funktion als Ministerin für Digitalisierung aus, in der sie beispielsweise das Online-Shopping-Portal „Kaufhaus Österreich“ zur Lachnummer verkommen ließ. Auch ihre Präsentation des „Digitalen Aktionsplan“ auf einem A3-Zettel war dazu geeignet, ihre fachliche Kompetenz zumindest in Zweifel zu ziehen.
Gerüchte besagen, dass auch die relativ neu im Amt der Generalsekretärin befindliche Laura Sachslehner ihren Hut nehmen soll.
Auftritt Sebastian Kurz
Der einstige Kanzler, Heiland und Prediger vom „Licht am Ende Tunnels“ Sebastian Kurz wird jedenfalls am Parteitag erscheinen.
Am vergangenen Sonntag, in Österreich Muttertag, erschien ein umfangreiches Interview in der Kronenzeitung. Der Altkanzler ließ uns darin wissen, dass er keinerlei Absichten hege, in die Politik zurückkehren und den Parteitag eher als social event betrachte, bei dem er Kanzler Nehammer unterstützen wolle und Freunde wie Weggefährten treffen könne.
Wie weit seinen Worten angesichts der durchaus desaströsen Umfragewerte zu trauen ist, wird die Zukunft weisen. Sonderliches Vertrauen in Absichtserklärungen von ÖVP-Mitgliedern kann man ohnehin nicht haben. Denn noch im Oktober 2021 erklärten sämtliche Minister und Staatssekretäre aus der türkisen Riege zwar nicht mit mit Brief und Siegel, aber immerhin mit ihrer eigenhändigen Unterschrift: „Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben.“
Der neue Parteichef wird offiziell
Bundeskanzler Karl Nehammer soll am Parteitag endlich auch offiziell durch interne Wahl das werden, was er formal seit dem 3. Dezember 2021 ist: geschäftsführender Bundesparteivorsitzender. Umfragen zufolge will man Kurz nicht mehr zurück, sondern vertraut dem ehemaligen Innenminister, in dessen Amtszeit allerdings das Attentat in Wien am 2. November 2020 sowie die nachträglich als rechtswidrig anerkannte Abschiebung der zwölfjährigen Tina fällt.
Knapp die Hälfte der ÖVP-Wählerschaft sprach in der jüngsten Umfrage Nehammer das Vertrauen für den ÖVP-Parteivorsitz aus, nur noch 27 Prozent konnten sich für Sebastian Kurz erwärmen. Möglich allerdings, dass sich dies nach dem Parteitag ändern könnte. Wenn der geneigte Türkise wieder das Schimmern seines Antlitzes erblicken darf, ist es womöglich vorbei mit „aus den Augen, aus dem Sinn“.
Aktuell hält die derzeitige Türkis-Grün-Regierung bei ganzen 13 Rochaden auf Minister- bzw. Kanzlerebene. Während zumindest die Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ ob dieses erstaunlichen Maßes an Instabilität erneut auf Neuwahl pochen, ist für NEOS eine „größere Regierungsumbildung“ ausreichend.
In ihrer Abschiedsrede hat Elisabeth Köstinger betont, dass die Politik ab jenem Zeitpunkt uninteressant geworden wäre, als sich Sebastian Kurz zurückgezogen hatte. Nur für Karl Nehammer wäre sie noch geblieben und um noch ein paar wichtige Projekte zu Ende bringen zu können.
Das Damoklesschwert der möglichen Anklagen
Aktuell ermittelt die Justiz gegen 18 ehemalige oder noch amtierende ÖVP-Politiker oder dieser Partei nahestehende Personen. Eine davon ist Sebastian Kurz selbst. Ob sein Auftritt beim Parteitag wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, wird man erst nachträglich beurteilen können.
Auch wird erst die Zeit weisen, ob sich Nehammer vom Altkanzler vollständig emanzipieren und die Volkspartei wieder in eine Regierung führen kann. Der erste Schritt zur Emanzipation ist jedenfalls mit den Rücktritten der Kurz-Vertrauten Köstinger und Schramböck absolviert worden.
Der nächste reguläre Wahltermin steht 2024 an. Wir dürfen davon ausgehen, dass weder ÖVP noch Grüne angesichts aktueller Umfragewerte ein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben. Es wird von Karl Nehammer abhängen, die Volkspartei (wieder einmal) neu zu positionieren. Und von der Justiz. Je rascher sie entweder Anklagen erheben wird oder die Vorwürfe aus der Welt schaffen kann, desto eher kann sich die Politiklandschaft in Österreich erholen.