Im Laufe der Geschichte bot bereits das Osmanische Reich, aus weltanschaulicher Überzeugung heraus, viel an Freiraum für die diversen Ausprägungen und die Vielfalt der Kulturen, Ethnien sowie der abrahamitischen Religion. Auf diese Weise trug es zu einem modernen Staatsverständnis sowie einem dynamischen Prozess der Veränderung in der Zivilgesellschaft bei.
Durch diese religiöse Liberalität und die zeitlose Verbundenheit mit dem universellen Freiheitsgedanken wurde das Osmanische Reich als multiethnisches sowie multireligiöses Staatswesen jahrhundertelang erfolgreich regiert und so faktisch zusammengehalten.
Minderheitenrechte im Osmanischen Reich
Bereits 1453, als der Sultan des Osmanischen Reiches, Fatih Sultan Mehmed, die Hauptstadt des Byzantinisches Reiches - Konstantinopel, also das heutige İstanbul - erobert hatte, gab er den dort lebenden religiösen Minderheiten die staatliche Sicherheit, sich frei bewegen, ihrem Beruf nachgehen und ihre Religion frei ausüben zu können. Drei Tage nach der Eroberung wandte er sich ferner mit einem Brief an die jüdische Minderheit in Anatolien:
„Gott gewährte mir viele Ländereien und befahl mir, die Familie seiner Diener Abrahams und Jakubs zu beschützen, ihnen Nahrung zu geben und sie unter meinen Schutz zu nehmen. Wer von euch möchte kommen und sich mit Gottes Hilfe in İstanbul, der Hauptstadt, niederlassen? Im Schatten von Feigen und Weinbergen in Frieden leben, frei handeln und Eigentum besitzen?“
Schutz für Minderheiten und Restaurierung ihrer Gotteshäuser
Diese liberale Geisteshaltung zeigte das Osmanische Reich auch unmittelbar nach der Eroberung von neuen Territorien. Die Neubürger durften ungehindert ihre Religion ausleben, und die Restaurierung ihrer heiligen Sakralbauten sowie Grabstätten wurde auf Kosten des Reiches durchgeführt. Nachdem Palästina in der Regierungszeit von Sultan Selim I. zum Osmanischen Reich übergetreten war, vollendete Sultan Süleyman der Prächtige dessen Übernahme in den Staatsverband. Er leitete in weiterer Folge zugunsten des Islam die Rekonstruktion der Mauern der Al-Aksa-Moschee zum Schutz der heiligen Stätten, für das Christentum die Renovierung und Restaurierung des Felsendoms und für das Judentum die Restaurierung des Grabes Davids ein.
Mit dem aufkeimenden Antisemitismus im Europa des Mittelalters entwickelte sich das Osmanische Reich zum langersehnten Fluchtort für leidgeplagte und vertriebene Juden. Die 1492 aus Spanien vertriebene jüdische Minderheit wurde auf Einladung des Sultan Bayezid II. im heutigen Thessaloniki (Griechenland) angesiedelt, das damals zum Territorium des Osmanischen Reiches gehörte. Viele Jahrhunderte prägten die Neubürger das Bild der Stadt und wurden von den einheimischen Bürgern als kulturelle Bereicherung wahrgenommen. Erst als die Deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg 1941 in Thessaloniki einmarschierte, wurde dem jüdischen Leben in der Stadt jäh ein Ende gesetzt.
Renaissance des Osmanischen Erbes
Gemäß der offiziellen Staatsdoktrin genossen im Osmanischen Reich die abrahamitischen Religionen und ihre Sakralbauten einen hohen Stellenwert. Erst durch das Aufkommen von nationalistischen Tendenzen zum Ende des 19. Jahrhundert, die in weiterer Folge in den Ersten Weltkrieg mündeten, kam es auch auf dem heutigen Staatsgebiet der Türkei zu einem Bruch mit den traditionellen Idealen und Werten. Ein Paradigmenwechsel respektive eine Renaissance des Osmanischen Erbes wurde erst wieder mit der Regierungsübernahme der AK-Partei im Jahre 2002 eingeleitet.
Die politische Akzeptanz und damit verbunden der hohe Stellenwert der in der Türkei lebenden ethnischen und religiösen Minderheiten veränderte das Bewusstsein gegenüber den Mitbürgern und läutete eine neue Ära des gesellschaftlichen Miteinanders ein. Die Menschen wurden von nun an von staatlichen Institutionen nicht mehr aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens diskriminiert oder drangsaliert und können heute angstfrei und offen ihre Kultur, Sprache sowie ihre Religion ausleben.
Restaurierung von Kirchen und Synagogen auf Staatskosten
Entgegen der landläufigen Meinung in Deutschland wird das ungezwungene Ausleben der Religionsfreiheit in der Türkei staatlich gefördert. So wurden erst in den letzten Jahren, seit dem Jahr 2002, etwa 80 Prozent der heute existierenden alevitischen Gebetshäuser (Cemhäuser) in der Türkei errichtet.
Ferner investiert der türkische Staat in Kooperation mit der privaten Stiftungsvereinigung, die seit dem 29.12.2020 vom assyrischen (christlichen) Vorsitzenden Süleyman Can Ustabaşı geführt wird, Millionen von Euro in die Restaurierung von Kirchen, Synagogen und weiteren heiligen Stätten.
Hier eine kleine Übersicht über bisher restaurierte heilige Stätten:
• Zentrale Synagoge in Edirne (Große Synagoge)
• Kirche Balıkesir Gökçeada Hagia Nikola
• Griechisch-orthodoxe Kirche Balikesir Gökçeada Ayamarina
• Hatay İskenderun: Syrisch-Katholische Kirche
• Hatay İskenderun: Griechisch-Katholische Kirche
• Armenisch-protestantische Kirche von Diyarbakır Sur
• Armenisch-katholische Kirche von Diyarbakır Sur
• Nizip-Fevkani-Kirche in Gaziantep
• Şahinbey-Synagoge in Gaziantep
• Kirche Balıkesir Ayvalık Cunda Taksiyarhis (Ayanikola)
• Kirche Hatay Arsuz Mar John
• Griechisch-Orthodoxe Kirche Hatay Yayladagi
• Antalya Alanya Hıdırellez
• Kloster Çanakkale Gökçeada Kaleköy
• Französische Kirche von Bursa Osmangazi, Santa Maria
• Edirne: Mittelitalienische Kirche
• Fatih Aya Yorgi (Griechisch-Orthodoxe) Kirche in İstanbul
• Adiyaman: Merkez Mor Petrus-Lila Paul Kirche
• Zentrale Synagoge von Kilis
• Fatih-Kastoria-Synagoge in İstanbul
• İstanbul: Fatih Turisina Kloster (und Bibliothek)
• Kirche Beyoğlu Sina Baldukyasko (Terra Santa) in İstanbul
Neugründungen von Kirchen für einheimische Christen
Neben den Restaurierungen der Sakralbauten werden in der Türkei auch Kirchen neu gegründet, deren Geistliche offiziell aus Deutschland in die Türkei entsendet werden. In Antalya, das sich über 10.000 deutsche Dauerresidenten zu einem Zuhause gemacht hatten, ist beispielsweise die St. Nikolaus-Kirche eine beliebte Anlaufstelle. Ferner registriert die hiesige Kirchengemeinde regen Zulauf von deutschen Touristen, die oftmals auf den Spuren des Apostels Paulus wandeln.
Unbedingt zu erwähnen wäre ferner der Neubau einer christlichen Kirche in der Weltmetropole İstanbul. Das Grundstück stellte die von der AK-Partei regierte Stadtverwaltung der christlichen Gemeinde kostenlos zur Verfügung. An der Grundsteinlegung des Neubaus 2019 nahm auch der türkische Präsident Erdoğan persönlich teil und demonstrierte so seine Verbundenheit mit den christlichen Bürgern des Landes.
Papst Franziskus: „Christen und Muslime sind Brüder und Schwestern“
Die Grundwerte der abrahamitischen Religion dienen uns als gemeinsame Basis für das respektvolle Zusammenleben und den Respekt gegenüber Gotteshäusern. In diesem Sinne möchte ich Papst Franziskus zitieren: „Christen und Muslime sollen einander als Brüder und Schwestern anerkennen. Sie haben einen gemeinsamen Gott und stehen unter seinem Schutz. Sie sind Geschöpfe und Gerufene des einen Gottes.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Amen!