von Ali Özkök
Am 19. Mai war eine groß angelegte Durchsuchungsaktion der Berliner Polizei, bei der etwa 250 Beamte gegen mutmaßliche Konsumenten und Verbreiter von Kinderpornografie im Einsatz waren, Thema des Tages in der Bundeshauptstadt.
Anja Dierschke von der Pressestelle der Berliner Polizei hat TRT Deutsch Fragen zur Strategie der Behörde im Kampf gegen Kindesmissbrauch beantwortet.
Die jüngste Großrazzia gegen Kinderpornografie in Berlin hat auch überregional großes Aufsehen erregt. Wie weit ist man mit der Auswertung und welche Erkenntnisse hat man bislang schon daraus gewonnen?
Da es sich bei den in Berlin am 19. Mai 2021 durchgeführten Durchsuchungen nicht um solche aus einem Verfahrenskomplex, sondern um Durchsuchungsbeschlüsse aus unterschiedlichsten Ermittlungsverfahren aus dem Bereich „Besitz/Verbreitung von Kinder-/Jugendpornografie“ sowie des Cybergroomings handelte und die Auswertungen der sichergestellten Datenträger noch einige Zeit andauern wird, konnten bis jetzt noch keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden.
Das Spektrum der Tatverdächtigen reicht offenbar von jugendlich bis ins Rentenalter. Auch seien, wie es bislang hieß, mehrere soziale Schichten betroffen. Gibt es bestimmte Merkmale oder Eigenschaften, die sich durch alle oder fast alle Kreise von Verdächtigen hindurchziehen?
Außer der Tatsache, dass immer noch der größte Teil der bekannt gewordenen Tatverdächtigen männlich ist, gibt es keine belastbaren Merkmale, die von außen auf eine pädosexuelle Ausrichtung eines Menschen schließen lassen könnten oder sogar Hinweise darauf geben, dass jemand Kinder sexuell missbrauchen oder Kinderpornografie tauschen könnte.
Die zunehmende Zahl an Einsätzen und Anzeigen gegen organisierte Zusammenhänge im Bereich der Kinderpornografie schockiert die Bevölkerung. Ist das Phänomen aber gegenüber früheren Zeiten tatsächlich größer geworden – oder haben Internet und verbesserte Online-Fahndungstools es nur sichtbarer gemacht?
Die Verbreitung und der Besitz von Kinder-/Jugendpornografie dürfte aufgrund des Ausbaus des Internets, der Verbreitung von Smartphones, der vermeintlichen Anonymität und der ständig wachsenden Übertragungsgeschwindigkeit tatsächlich angestiegen sein. Noch vor den Zeiten des Internets war es erheblich schwieriger, „Gleichgesinnte“ zum Tausch von kinderpornografischen Super-8 Filmen und Videokassetten zu finden oder diese „unter dem Ladentisch“ zu kaufen. Auch in Bezug auf den sexuellen Missbrauch von Kindern dürfte das Internet den Kontakt und den Austausch mit „Gleichgesinnten“ erleichtert haben.
Die wachsende Technologie und die Verbreitung der Smartphones unter Kindern und Jugendlichen lässt diese im Gegensatz zu Vor-Internetzeiten verstärkt zu Tätern und Täterinnen von Verbreitungshandlungen werden, da inkriminierte Dateien mit einem Klick in Messenger-Gruppen eingestellt werden können. Dabei fragt der Straftatbestand nicht nach der Motivation der Täter.
Über die vielen Chatprogramme ist es außerdem leichter geworden, Kinder und Jugendliche anzusprechen, gegebenenfalls sich selbst fälschlicherweise als Gleichaltriger auszugeben und zum Übersenden von inkriminierten Aufnahmen oder zu persönlichen Treffen zu bewegen (Cybergrooming).
Neben einem Anstieg der Straftaten durch die „verbesserten Tatmöglichkeiten“ des Internets haben zusätzlich aber auch die verbesserten Online-Fahndungstools zu einem Anstieg der Vorgangszahlen im Bereich der Kinderpornografie geführt. Insbesondere die Verpflichtung in den USA für Betreiber von Internetdiensten, kinderpornografische Inhalte zu melden, hat zu einem enormen Anstieg der Fallzahlen geführt. Eine vergleichbare Meldeverpflichtung durch deutsche Provider ist im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes für kommendes Jahr avisiert.
Wo sehen Sie taugliche Wege, um bei der Prävention anzusetzen?
Die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen und vor allem auch der Eltern muss dringend verstärkt werden. Eltern ist häufig nicht bewusst, welche Möglichkeiten sie ihrem Kind mit einem Smartphone einräumen und wie leicht es im Internet für andere ist, die Kontakt- und Kommunikationsfreudigkeit von Kindern und Jugendlichen auszunutzen. Auf jeden Fall ist die Nutzung von Internetdiensten altersabhängig durch die Eltern zu begleiten. Mit dem Kauf eines Gerätes und dem Abschluss eines Internetvertrages für das Kind ist es auf keinen Fall getan.
Im Rahmen der Prävention sollte der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, dass der Besitz und die Verbreitung von kinder- und jugendpornografischen Inhalten in jedem Fall strafbar ist – egal, aus welchen Gründen die Übersendung erfolgte.
Gibt es Bereiche im Umfeld des sexuellen Missbrauchs von Kindern, wo zu wenig hingeschaut wird?
Dass es Bereiche gibt, in denen zu wenig hingeguckt wird, kann hier nicht bestätigt werden. Vielmehr spielt die Tatsache, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern ein Delikt ist, das in der Regel im sozialen Nahfeld stattfindet, eine große Rolle. Täter/Täterin nutzen die psychische und auch physische Abhängigkeit der betroffenen Kinder aus, weshalb Tathandlungen häufig erst sehr spät, wenn überhaupt, bekannt werden. Die Kinder sagen häufig nichts, denn kein Kind will, dass beispielsweise der Vater oder die Mutter festgenommen wird. Hinzu kommt, dass die betroffenen Kinder sich oft eine Mitschuld geben, da der sexuelle Missbrauch im sozialen Nahfeld sich häufig über Jahre hinzieht, vorsichtig beginnt und in der Regel ohne physische Gewalt durchgesetzt wird.
In vielen Institutionen wie Schulen, Sportvereinen etc. wurden in den letzten Jahren vermehrt Konzepte entwickelt, um auch schon auf niedrigschwellig übergriffiges Verhalten zu reagieren oder die Beschäftigung vorbelasteter Personen zu verhindern.
Vielen Dank für das Gespräch!