Deutsche Welle (dpa)
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von Till C. Waldauer

Nach Belarus hat sich auch die russische Regierung entschlossen, den bundeseigenen deutschen Auslandssender „Deutsche Welle“ (DW) weitreichenden Beschränkungen zu unterwerfen. Unter dem Eindruck der russischen Invasion in der Ukraine hat erst die staatliche Kommunikationsbehörde Roskomnadzor die Website der Deutschen Welle auf dem Gebiet der Russischen Föderation sperren lassen. Am 28. März wurde der Sender vom russischen Justizministerium offiziell als „ausländischer Agent“ eingestuft.

Zuvor hatte die russische Regierung der Deutschen Welle am 3. Februar ein Sendeverbot erteilt. Bei diesem Schritt handelte es sich um eine Reaktion auf das Verbot des deutschsprachigen Programms des russischen Staatssenders RT DE. Die späteren weitergehenden Schritte erfolgten „auf der Grundlage von Dokumenten, die von autorisierten staatlichen Behörden erhalten wurden“, so das Ministerium. Im Detail wurden diese nicht aufgeführt.

Bereits im Vorjahr hatte Belarus den Zugang zu einigen Nachrichtenangeboten der DW online wie über traditionelle Kanäle eingeschränkt. Zur Begründung wurde angeführt, dass das Medium, das pro Woche nach eigenen Angaben multimedial in 32 Sprachen über 289 Millionen Menschen weltweit erreicht, Hyperlinks zu Materialien angeboten habe, die nach belarussischen Gesetzen und darauf gestützten Gerichtsurteilen als „extremistisch“ eingestuft werden.

Deutscher Staatssender als „unabhängiges Medium“ im Ausland

Intendant Peter Limbourg sieht die Vorwürfe in beiden Fällen als komplett unberechtigt. Mit Bezug auf Russland spricht er von einer „Willkür-Entscheidung“ der russischen Behörden, einem „weiteren Schritt, die Pressefreiheit anzugreifen“ und einem „neuen Versuch, die russische Bevölkerung von freien Informationen abzuschneiden“. Folge leisten wollen man den Anordnungen nicht – stattdessen wolle man „noch viel mehr Aufwand in Zensur- und Blockadeumgehung stecken“. Man sei entschlossen, weiterhin „unabhängig und umfassend aus unserem neuen Studio in Lettland und aus Deutschland über Russland und die Region“ zu berichten.

Und was Belarus betrifft, heißt es aus der Leitungsetage: Dass der Sender seine Angebote in dem krisengeschüttelten Land im Frühjahr 2021 erheblich ausgebaut hatte, sollte den „zivilgesellschaftlichen Aufbruch in Belarus medial begleiten“. Die Nachfrage nach „unabhängigen Medienangeboten“ sei groß, weil die Menschen im Land den „staatlich gelenkten“ Medien nicht mehr vertrauten. Und „unabhängig“ ist da unter anderem die DW, weshalb der Sender auch scharf gegen seine Sperrung protestiert, weil „die Menschen dort ein Anrecht auf objektive Informationen über die Situation in ihrem Land haben“.

Objektive Informationen – das bietet die Deutsche Welle, immerhin steht das schon im Gesetz. Dem Paragrafen 5 des Deutsche-Welle-Gesetzes (DWG) zufolge müssen die Sendungen sogar „eine unabhängige Meinungsbildung ermöglichen und dürfen nicht einseitig eine Partei oder sonstige politische Vereinigung, eine Religionsgemeinschaft, einen Berufsstand oder eine Interessengemeinschaft unterstützen“.

Zudem habe man „die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Rundfunkteilnehmer […] zu achten“. Die Produktionen sollen „deutschen und anderen Sichtweisen zu wesentlichen Themen vor allem der Politik, Kultur und Wirtschaft sowohl in Europa wie in anderen Kontinenten ein Forum geben mit dem Ziel, das Verständnis und den Austausch der Kulturen und Völker zu fördern“.

Haushaltsmittel von mehr als 390 Millionen Euro

Sein staatliches Auslandsangebot lässt sich der Bund durchaus auch etwas kosten. Zwar fließen keine Rundfunkbeiträge in den Betrieb der DW, weil Träger der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland der Bund selbst ist.

Stattdessen erhält sie auf der Grundlage ihrer Vier-Jahres-Planung einen Zuschuss über den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der seinerseits im Bundeshaushalt dem Einzelplan der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramts zugeordnet ist. Zusätzliche Einnahmen aus Werbung und Sponsoring darf der Sender lukrieren.

Dem Haushaltsentwurf des Bundes für 2021 zufolge ist der Bundeszuschuss für das Jahr 2021 auf insgesamt mehr als 390 Millionen Euro angestiegen, nachdem die „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags im November des Vorjahres zusätzliche 25,5 Millionen Euro für die Deutsche Welle vorgesehen hatte. Dazu kommen „zusätzliche projektbezogene Mittel“, die das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Aussicht gestellt haben. Ein wesentlicher Grund für die Ausweitung des Etats sei die erweiterte Präsenz in Weißrussland gewesen. Für 2022 wurden noch keine offiziellen Zahlen genannt. Auch die DW selbst hat noch keine aktualisierte Aufgabenplanung online auf ihre Webseite gestellt – die aktuell dort auffindbare bezieht sich auf die Jahre 2018 bis 2021.

Die DW verzeichnet eigenen Angaben zufolge „seit Monaten sehr hohe Nutzungszahlen“. Der monatliche Zugriff auf die digitalen Angebote bleibe „konstant über der Milliardenmarke, die wöchentlichen Nutzerkontakte liegen bei 289 Millionen“. Demzufolge erscheint das Sendernetzwerk durchaus als ein Pfund, mit dem man wuchern könne.

Gesetz spricht von Sensibilitäten gegenüber diplomatischen Beziehungen

Und schon die gesetzliche Grundlage schreibt immerhin vor, dass die Berichterstattung „umfassend, wahrheitsgetreu und sachlich“ sein sowie in dem Bewusstsein erfolgen soll, „dass die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten berühren“. Entsprechend seien Herkunft und Inhalt der Nachrichten „mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen“ und Kommentare „deutlich von Nachrichten zu trennen und unter Nennung des Verfassers als solche zu kennzeichnen“.

Im Jahr 1953 gegründet, hat sie sich von den 1990er Jahren an zunehmend von der Beschränkung auf Kurz- und Mittelwelle befreit und sich über den Satellitenbetrieb zum heutigen trimedialen Angebot aus Fernsehen, Radio und Internet gewandelt.

Was die selbstgesteckte Aufgabe anbelangt, üben deutsche Politiker, aber auch die Strategiebeauftragte Nadja Scholz deutlich weniger diplomatische Zurückhaltung, als es die Formulierungen des DWG möglicherweise erahnen ließen.

Hohes moralisches Sendungsbewusstsein – aber dünnhäutig gegenüber Kritik

Die Bundesregierung selbst hat bereits über die russische Einstufung der Deutschen Welle als ausländischer Agent „aufs Schärfste“ verurteilt und einen „offenen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland“ beklagt. Die DW selbst zitiert einen Regierungssprecher, der in der Einstufung einen „weiteren Versuch“ der russischen Regierung zu erblicken meint, „mit allen repressiven Mitteln eine unabhängige Berichterstattung über den grausamen russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu verhindern“.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann sieht es als Auftrag der DW, „Pressefreiheit in die Welt“ zu bringen, „damit Despoten die Freiheit genommen wird, alles zu tun“. Ihr SPD-Kollege Martin Rabanus sieht die DW „Fakten statt Fake-News“ verbreiten und damit wie manch anderer Redner auch als Gegenentwurf beispielsweise zum russischen Sender RT, den man zum Inbegriff eines „Propaganda“-Kanals erklärt.

Ach Nadja Scholz als Repräsentantin des Senders selbst erklärt offen, dass sie es als Aufgabe des DW-Angebots sieht, „gegen Propaganda, gegen bestimmte Narrative anzugehen“. Je nach Weltlage sei man auch bereit und in der Lage, Schwerpunkte zu verändern. Da man 95 Prozent seiner Nutzer in den nicht-deutschen Angeboten erreiche, so Intendant Peter Limbourg, habe man sich „klar entschieden, in Richtung internationales Angebot zu gehen“.

Dass im Frühjahr 2020 ein Skandal rund um Mobbing, Rassismus, Sexismus und diverse Übergriffe am Arbeitsplatz in einigen Büros der DW den Sender in die Schlagzeilen brachte, sollte dem selbstgewählten moralischen Anspruch nicht Abbruch tun. Im Gegenteil: Intendant Limbourg nahm für sich in Anspruch, dass der Sender diese Debatte von sich aus angestoßen habe.

Dünnhäutig reagierte der Sender gleichzeitig auf Kritik, wie sie etwa 2019 der türkische Think-Tank SETA vorbrachte, der in einer umfassenden Analyse Anhaltspunkte dahingehend aufgeführt hatte, dass die Tendenz der Berichterstattung im Sender mit Blick auf die Türkei einseitig und unausgewogen sei. Der Sender, der von sich selbst behauptet, weltweit die Pressefreiheit zu stärken, forderte in einem Brief die türkische Regierung dazu auf, die Wissenschaftsfreiheit zu Lasten von SETA zu beschränken. Die Regierung in Ankara kam diesem Wunsch jedoch nicht nach.

Im Jahr 2008 hatte Sabine Pamperrien von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dem chinesischsprachigen Programm der Deutschen Welle demgegenüber vorgeworfen, dieses wirke wie ein „Vervielfältiger der Propaganda der chinesischen Führung“.

Deutsches Narrativ für ein weltweites Publikum

Zumindest diesen Vorwurf kann man heute gegenüber der DW nicht mehr in dieser Form aufrechterhalten. Der chinesischsprachige Auftritt spricht mittlerweile tatsächlich Themen wie Personenkult um Machthaber Xi Jinping, Korruptionsvorwürfe und die Unterdrückung der Uiguren an – wenn auch deutlich vorsichtig als dies beispielsweise Dissidentenmedien tun.

Sogar der persischsprachige Auftritt kritisiert Zustände im Iran, wobei sich dennoch die Frage stellt, inwieweit sich ein regierungskritisches Publikum, das sich abseits der Regierungsmedien informieren will, deshalb auch für die Befindlichkeiten der dortigen „Regenbogengesellschaft“ interessiert oder es für berichtenswert hält, wenn Menschen den Islam verlassen.

Am Ende bleibt der Eindruck haften, dass DW einem internationalen Publikum die Sichtweise und die Befindlichkeiten des mehrheitsdeutschen, linksliberalen Medienmainstreams als ähnlich maßgebend und alternativlos präsentieren will, wie dies in deutschsprachigen Publikationen für Deutsche in Deutschland auch der Fall ist.

Das Eindruck, der dort kultiviert wird, ist jener, wonach die postnationale liberale Demokratie in der Mitte Europas, die ihre Vergangenheit so vorbildlich aufgearbeitet habe, und mit ihr die „europäischen Werte“ nun allenthalben von Populisten, Autokraten und Klimasündern bedroht seien, derer man sich erwehren müsse. Und dies soll offenbar in bis dato 32 Sprachen auch einem internationalen Publikum nahegebracht werden.

Wenn Deutsche Türken in der Türkei ihr Land erklären

Von der Existenz von Einwanderercommunitys im eigenen Land, die das Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern anders erleben oder in Erinnerung haben als sie es in deutschen Mehrheitsmedien dargestellt bekommen, lässt man sich auch bei DW nicht beirren. Sind es in Deutschland selbst Medien wie die „Tagesschau“ oder der „Spiegel“, die türkischen Einwanderern die Türkei erklären wollen, soll DW dies nun auch bei jenen in der Türkei selbst tun.

So ist beispielsweise ein wesentlicher Teil der türkischen „Zivilgesellschaft“ aus Sicht der DW offenbar das Umfeld der Partei HDP. Während diese Partei in der Türkei als außerhalb des Verfassungsbogens stehend betrachtet wird und für die verfassungstreuen Kräfte als ebenso wenig koalitionsfähig gilt wie in Deutschland die AfD, spart der deutsche Auslandssender Anmut nicht noch Mühe, um die Verbindungen der HDP zur terroristischen PKK kleinzureden und zu relativieren.

So wird dem rechtskräftig wegen Terrorunterstützung verurteilten HDP-Führer Demirtas ein Interview gewährt, das vollständig ohne kritische Fragen über die Terrornähe der Partei auskommt und ihm stattdessen Raum für unzutreffende Behauptungen über das politische System der Türkei gibt.

Demgegenüber kommen nicht zuletzt auch im türkischsprachigen DW-Programm in der Türkei selbst als marginalisiert geltende Persönlichkeiten ausführlich zu Wort, die Verschwörungstheorien offenbaren - etwa jene, dass die türkische Regierung mit einer vermeintlichen „Idealisten-Mafia“ verbunden sei, auf die sie sich im Fall einer politischen Eskalation stützen wolle. Die Meinung der Mehrheit der türkischen Bevölkerung in der Türkei selbst wie auch in der Diaspora, die kein Verständnis für Terroristen oder Putschisten aufzubringen vermag, kommt hingegen höchst selten zu Wort.

Zu den „bestimmten Narrativen“, gegen die man „angehen“ wolle, gehören aufseiten der DW augenscheinlich nicht jene der separatistischen und PKK-nahen HDP. Propaganda machen eben immer nur die anderen.

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TRT Deutsch