Die Linke sucht mit einer neuen Doppelspitze und nachgeschärften Positionen den Weg aus ihrer Krise. Ein Bundesparteitag in Erfurt bestätigte am Wochenende die Vorsitzende Janine Wissler im Amt - trotz Wahlniederlagen und Streits bekommt die 41-Jährige eine zweite Chance. Ihr Co-Parteichef wird der Europapolitiker Martin Schirdewan. Die Delegierten schärften zudem die Linie der Partei gegenüber Russland und verlangten ehrgeizigere Klimaziele. Doch ist der Streit in der Partei damit nicht zu Ende.
Wagenknecht: „Parteitag hat sich ausdrücklich für ein Weiterso entschieden“
Die frühere Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht, die beim Parteitag wegen Krankheit fehlte, äußerte scharfe Kritik. „Nach diesem Parteitag gibt es kaum Hoffnung, dass die Linke ihren Niedergang stoppen kann“, sagte Wagenknecht am Sonntag. Wissler und Schirdewan hätten beide Wahlniederlagen zu verantworten. „Wie eine Partei, die derzeit bei vier Prozent steht, mit dieser Aufstellung wieder nach oben kommen will, ist mir ein Rätsel“, kommentierte Wagenknecht. „Der Parteitag hat sich ausdrücklich für ein Weiterso entschieden, und damit wird es wohl auch bei den nächsten Wahlen weitergehen wie in den letzten Jahren.“
Konsequenzen ließ Wagenknecht offen. Sie kündigte lediglich an: „Wir werden uns verständigen, wie wir darauf reagieren. Eine Überlegung ist, erst einmal auf Basis des ‚Aufrufs für eine populäre Linke"‘ein organisiertes Netzwerk zu schaffen und im Herbst auf einer größeren Konferenz über das ‚Wie weiter‘ zu diskutieren.“ Die Linke hatte bei der Bundestagswahl und bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen sehr schlecht abgeschnitten. Viele Parteivertreter sprechen von einer Existenzkrise.
Dietmar Bartsch: „Solidarität nach innen und Attacke nach außen“
Schirdewan und Wissler gaben sich hingegen optimistisch. „Wir haben verstanden als Linke“, sagte der 46-jährige Berliner Schirdewan nach seiner Wahl. „Wir sind wieder da.“ Stärker als bisher werde sich die Linke um Themen wie explodierende Energie- und Lebensmittelpreise und hohe Mieten kümmern. Wissler sagte über Schirdewan: „Wir kennen und wir mögen uns. Und wir wissen, wo wir hinwollen.“ Auch Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch zog eine positive Bilanz: „Der Parteitag hat eine Tür aufgestoßen.“ Doch solche Treffen allein veränderten nichts, sondern die künftige Arbeit: „Solidarität nach innen und Attacke nach außen, ab Montag.“ Nach sehr langen Debatten stimmten die Delegierten mehrheitlich für eine nachgeschärfte Linie zu Russland und zur Nato. Dabei setzten sich Wissler und der Parteivorstand gegen eine Gruppe um Wagenknecht durch. Diese wollte die Mitverantwortung der Nato im Vorlauf zum Ukraine-Krieg betonen.
Verständnis für russische Interessen vor dem Ukraine-Krieg
Für die Linke war das ein Grundsatzstreit. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar hatten viele in der Partei großes Verständnis für russische Interessen geäußert. Der beschlossene Antrag, für den auch Wissler geworben hatte, verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf. Zugleich kritisiert er die Nato für ein „Denken in geopolitischen Einflusszonen und ein Wettrüsten insbesondere zwischen der Nato, Russland und China“. Das 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr wird verurteilt, Waffenlieferungen an die Ukraine werden abgelehnt.
Schon am Samstag votierte der Parteitag für eine drastische Verschärfung des Klimaziels: Deutschland soll nach dem Willen der Partei bereits 2035 klimaneutral sein, also keine zusätzlichen Treibtreibhausgase in die Atmosphäre blasen. Bisher lautet das Ziel der Bundesregierung 2045. Notwendig sei das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik: jährlich allein 20 Milliarden Euro für die Energiewende.