26.08.2024, Thüringen, Erfurt: Björn Höcke (l-r, AfD), Mario Voigt (CDU) und Bodo Ramelow (Die Linke) stehen als Spitzenkandidaten der Parteien in einem Studio des MDR Landesfunkhaus Thüringen vor Beginn der Sendung «Fakt ist!». / Photo: DPA (dpa)
Folgen

Von Selim Çalık

Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen zeigen eine klare Zersplitterung des politischen Spektrums. Mit 32,8 Prozent der Stimmen in Thüringen und 30,6 Prozent in Sachsen hat sich die AfD als politische Kraft fest etabliert, insbesondere im Osten Deutschlands. Gleichzeitig konnte das BSW unter Sahra Wagenknecht überraschende Erfolge erzielen und sich mit 13,1 Prozent in Thüringen und 11,8 Prozent in Sachsen als neue linkspopulistische Kraft positionieren. Diese Entwicklungen verdeutlichen den zunehmenden Rückzug der Wähler vom politischen Zentrum aus hin zu den Extremen.

Der kontinuierliche Verlust der Mitte bringt für die CDU, die traditionell als zentrale konservative Kraft gilt, erhebliche strategische Dilemmata mit sich. Das Konzept der Brandmauer, das seit Jahren eine klare Abgrenzung zur AfD markiert, gerät zunehmend unter Druck. In einem fragmentierten politischen Umfeld wird es für die CDU immer schwieriger, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden, ohne die AfD oder andere ideologisch entfernte Parteien wie das BSW in Erwägung zu ziehen.

DIE BRANDMAUER: PRINZIP ODER PRAGMATISCHE BELASTUNG?

Die Brandmauer gegen die AfD war lange ein fester Bestandteil der politischen Strategie der CDU, um die Abgrenzung von extremen Positionen zu wahren und eine Normalisierung der AfD in der politischen Arena zu verhindern. Angesichts der aktuellen Wahlergebnisse stellt sich jedoch die Frage, ob die CDU dieses Prinzip noch aufrechterhalten kann, ohne die eigene politische Handlungsfähigkeit zu gefährden.

In Thüringen, wo die AfD stärkste Kraft wurde, und in Sachsen, wo sie den zweiten Platz errang, fehlt es ohne die AfD an einfachen Mehrheiten. Die CDU sieht sich gezwungen, mit dem BSW, einer Partei, die in wesentlichen Politikfeldern wie Migration, Wirtschaft und Außenpolitik diametral entgegengesetzte Positionen vertritt, über mögliche Koalitionen zu verhandeln. Diese ideologische Kluft erhöht den Druck auf die CDU, die Brandmauer zu überdenken, da die Alternative – eine Koalition mit dem BSW – ebenfalls mit erheblichen politischen Risiken verbunden ist.

CDU-BSW-KOALITION: EINE FRAGWÜRDIGE ALLIANZ

Eine Koalition zwischen der CDU und dem BSW erscheint strategisch notwendig, aber politisch fragil. Beide Parteien stehen in fundamentalen Fragen wie Migrationspolitik und Wirtschaftspolitik im Widerspruch. Während die CDU eine migrationskritische, marktliberale Ausrichtung verfolgt, setzt sich das BSW für eine sozialstaatlich orientierte Politik und einen kritischen außenpolitischen Kurs ein, der besonders die deutsche Unterstützung für die Ukraine infrage stellt.

Die Erfolgschancen einer solchen Koalition hängen stark davon ab, ob es den Parteien gelingt, ihre Differenzen zu überwinden und in Schlüsselbereichen wie Migration und Wirtschaft Kompromisse zu finden. Die Spannungen innerhalb einer solchen Allianz könnten jedoch zu dauerhaften Blockaden führen, wie bereits in der Ampel-Koalition auf Bundesebene zu beobachten war, wo unterschiedliche ideologische Ausrichtungen zu erheblichen Regierungsschwierigkeiten führten. Eine instabile CDU-BSW-Koalition könnte den Handlungsspielraum der Regierung erheblich einschränken und somit die politische Stabilität in den betroffenen Bundesländern gefährden.

DIE ZUKUNFT DER BRANDMAUER: POLITISCHE NOTWENDIGKEIT ODER HINDERLICHES RELIKT?

Das Festhalten an der Brandmauer hat für die CDU nicht nur innenpolitische, sondern auch strategische Implikationen. In den letzten Jahren hat sich die AfD in Ostdeutschland zu einer Volkspartei entwickelt. Das Ignorieren oder konsequente Ausschließen der AfD aus Koalitionen könnte langfristig zu einer politischen Blockade führen, insbesondere in Ländern, in denen sie eine signifikante Wählerbasis hat.

Sollte die CDU die Brandmauer weiter aufrechterhalten, müsste sie in Kauf nehmen, schwierige und fragile Koalitionen mit Parteien wie dem BSW oder der SPD einzugehen, deren ideologische Grundlagen kaum mit den eigenen vereinbar sind. Dies könnte zu Regierungsinstabilitäten und dauerhaften Spannungen führen. Auf der anderen Seite würde ein Abrücken von der Brandmauer einen tiefen Bruch mit den bisherigen Prinzipien der CDU bedeuten und das politische Klima in Deutschland drastisch verändern. Die langfristigen Auswirkungen auf die CDU und das Parteiensystem insgesamt wären enorm.

STRATEGISCHE OPTIONEN FÜR DIE CDU

Für die CDU zeichnen sich derzeit drei mögliche Zukunftsszenarien ab:

1. Festhalten an der Brandmauer und Eingehung schwieriger Koalitionen

In diesem Szenario müsste die CDU weiterhin versuchen, fragile Bündnisse mit ideologisch entfernten Parteien wie dem BSW oder der SPD zu schmieden. Dies würde kurzfristige Regierungen ermöglichen, könnte jedoch langfristig zu einem Vertrauensverlust in der Wählerschaft führen, die stabile und konsistente Politik fordert.

2. Aufweichen der Brandmauer und kontrollierte Öffnung gegenüber der AfD

Eine Öffnung gegenüber der AfD, zumindest auf lokaler Ebene, würde es der CDU ermöglichen, in Ostdeutschland regierungsfähige Mehrheiten zu bilden. Allerdings würde dies die CDU ideologisch neu definieren und möglicherweise Teile ihrer Wählerschaft sowie ihre Koalitionspartner auf Bundesebene entfremden.

3. Positionierung als klare Anti-AfD-Kraft

Ein drittes Szenario wäre eine stärkere Betonung der Abgrenzung zur AfD und die Fokussierung auf eine Revitalisierung des politischen Zentrums. Dies könnte jedoch nur erfolgreich sein, wenn es der CDU gelingt, Wähler von den Rändern zurückzugewinnen – eine äußerst schwierige Aufgabe angesichts der derzeitigen politischen Polarisierung.

DIE BRANDMAUER ALS PRÜFSTEIN FÜR DIE POLITISCHE ZUKUNFT

Die Landtagswahlen 2024 haben die Bedeutung der Brandmauer als zentrales politisches Instrument der CDU erneut in den Vordergrund gerückt. Doch die Bedingungen haben sich geändert. Die CDU steht vor einer historischen Entscheidung: Entweder hält sie an der Brandmauer fest und riskiert politische Isolation in den neuen Bundesländern, oder sie geht den schwierigen Weg der Anpassung an die neue politische Realität, was tiefgreifende ideologische und strategische Folgen hätte.

Wie sich die CDU entscheidet, wird nicht nur ihre eigene Zukunft prägen, sondern auch die Richtung der deutschen Politik insgesamt beeinflussen. Klar ist, dass die traditionellen Koalitionsmodelle und strategischen Abgrenzungen unter dem Druck der wachsenden Polarisierung neu bewertet werden müssen.

TRT Deutsch