Während Israels Armee erneut Luftangriffe auf den Libanon, den Gazastreifen sowie Jemen durchführt, wächst die Sorge vor einem umfassenden Krieg im Nahen Osten. Auf die Frage von Reportern, ob dieser noch vermieden werden könne, antwortete US-Präsident Joe Biden: „Das muss er. Er muss wirklich vermieden werden.“ Er wolle mit Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu reden. Dieser ließ seine Armee derweil in der Nacht erneut Gaza sowie den Libanon attackieren.
Während der jüngsten Eskalation wurden in den beiden vergangenen Wochen Medienberichten zufolge Hunderte Menschen durch die israelischen Angriffe im Libanon getötet. In Israel sei im gleichen Zeitraum niemand getötet worden.
Derweil bombardierten nach Angaben der israelischen Armee Dutzende Kampfflugzeuge auch im rund 1.800 Kilometer entfernten Jemen Ziele, unter anderem Kraftwerke und einen Hafen, über den die Huthi iranische Waffen und militärische Vorräte transportiert haben soll. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen. Die Hafenstadt Hudaida wurde laut Augenzeugen von Explosionen erschüttert. Der TV-Sender Al-Masirah meldete vier Tote.
Unterdessen beginnen im Libanon heute dreitägige Trauerfeiern für den am Freitag durch einen gezielten israelischen Luftschlag in einem Vorort Beiruts getöteten Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.
Sorge vor möglicher Bodenoffensive Israels im Libanon
Es wächst die Sorge, dass Israels Armee zu einer Bodenoffensive im Süden des Nachbarlandes übergehen könnte. Nach der Tötung Nasrallahs hatte Israels Armeechef Herzi Halevi am Samstag diese Möglichkeit angedeutet. Er habe Pläne für das Nordkommando der Streitkräfte gebilligt. „Herausfordernde Tage liegen vor uns“, sagte er. Die israelische Armee sei „in höchster Alarmbereitschaft, sowohl in defensiver als auch offensiver Hinsicht, an allen Fronten“. Sie sei gerüstet für das, was als Nächstes komme.
Libanon: Bis zu einer Million Vertriebene möglich
Durch Israels Angriffe könnten im Libanon nach Angaben des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Nadschib Mikati bis zu einer Million Menschen vertrieben werden. Es sei schon jetzt die größte Zahl an Vertriebenen in der Geschichte des Landes, sagte Mikati in Beirut. Im aktuellen Konflikt mit Israel könne es nur eine diplomatische Lösung geben: „Es gibt keine Wahl für uns als Diplomatie.“ Seit Beginn der neuen Konfrontationen wurden im Libanon nach UN-Angaben mehr als 210.000 Menschen vertrieben, unter ihnen etwa 120.000 Menschen allein im Verlauf der vergangenen Woche.
Die Zahl könnte, auch gemessen an Erfahrungen des vergangenen Kriegs mit Israel im Jahr 2006, den Vereinten Nationen zufolge aber noch deutlich höher liegen. 50.000 Syrer und Libanesen sind zudem ins benachbarte Bürgerkriegsland Syrien geflohen.
Experte: Iran steht vor einem Dilemma
Die dramatische Schwächung der Hisbollah bringe die Islamische Republik Iran in eine „sehr schwierige Lage“, zitierte das „Wall Street Journal“ Michael Horowitz, Leiter der Abteilung für Nachrichtendienste bei der Beratungsfirma Le Beck International. Die libanesische Organisation sei „ein wichtiger Teil der iranischen Verteidigungsdoktrin und ihr wichtigstes Abschreckungsinstrument gegen Israel“. Der Iran stehe nun vor dem Dilemma, die Hisbollah möglicherweise verteidigen zu müssen, hieß es.
Israels Luftangriff auf den Jemen erfolgte dem Militär zufolge als Reaktion auf die jüngsten Huthi-Angriffe. Am Samstagabend war unter anderem in der Küstenmetropole Tel Aviv wegen eines Geschosses erneut Raketenalarm ausgelöst worden. Die Huthi erklärte, sie habe den Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv mit einer ballistischen Rakete angegriffen. Diese wurde laut Militär aber noch vor Erreichen des israelischen Hoheitsgebiets abgefangen.
Zuletzt hatte Israels Luftwaffe Jemen Ende Juli angegriffen. Ziel war auch damals der Hafen von Hudaida. Derweil griff die israelische Armee nach eigenen Angaben im Norden Gazas eine frühere Schule an, in der sich angeblich eine Kommandozentrale der Hamas befunden haben soll. Die Armee griff nach eigenen Angaben außerdem weitere Stellungen der Hisbollah in der Bekaa-Ebene im Osten des Libanons an.
Israelische Angriffe auf den Libanon
Nach unterschiedlichen Angaben aus dem Libanon wurden bei den Angriffen Israels seit dem 23. September 700 bis 1000 Menschen getötet und mehr als 6000 verletzt.
Der Konflikt zwischen Israel und dem Libanon hatte sich deutlich zugespitzt, nachdem Hunderte mutmaßlich von Israel präparierte Pager und Funkgeräte im Libanon gleichzeitig explodierten. Bei den zwei Explosionswellen wurden laut libanesischen Angaben mindestens 37 Menschen getötet, darunter auch Kinder. Fast 3000 Personen wurden verletzt.
Israelischer Vernichtungskrieg in Gaza
Israel hatte nach dem Vergeltungsschlag der palästinensischen Widerstandsorganisation Hamas am 7. Oktober einen Vernichtungskrieg in Gaza gestartet. Erklärtes Ziel ist die Zerschlagung der Hamas, doch es wurden bislang Zehntausende Zivilisten getötet.
Humanitäre Hilfslieferungen werden von Israel behindert. Fast zwei Millionen Menschen wurden gezwungen, in den Süden zu flüchten. Doch auch dort sind sie israelischen Angriffen ausgesetzt. Zudem herrscht eine akute Hungerkrise, die Hungertote fordert.
Nach palästinensischen Angaben wurden in Gaza seit dem 7. Oktober mehr als 41.500 Menschen getötet und mehr als doppelt so viele verletzt. Die Zahl könnte weit höher sein, da noch viele Tote unter den Trümmern liegen und nicht geborgen werden können. Beim Großteil der Todesopfer handelt es sich laut örtlichen Berichten um Frauen und Kinder.