Als im Februar der Südosten von Türkiye von zwei verheerenden Erdbeben erschüttert wurde, sagten türkische sowie ausländische Analysten voraus, dass die Katastrophe die Chancen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf eine Wiederwahl am 14. Mai beeinträchtigen würde.
Doch die Wahlergebnisse haben sie eines Besseren belehrt. Erdoğan und seine Volksallianz gewannen in vielen der vom Beben betroffenen Provinzen, einschließlich im Epizentrum in Kahramanmaraş. Auch in anderen schwer getroffenen Provinzen wie Malatya, Gaziantep, Osmaniye, Kilis und Hatay konnte Erdoğan einen deutlichen Sieg einfahren.
In acht von elf Erdbeben-Provinzen lagen Erdoğan und seine AK-Partei sowohl bei der Präsidentschafts- als auch bei der Parlamentswahl vorn. Kemal Kılıçdaroğlu, Präsidentschaftskandidat der Allianz der Nation und Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei (CHP), konnte lediglich in Adana und Diyarbakır seinen Vorsprung behaupten.
In Hatay hatte Kılıçdaroğlu bei der Präsidentschaftswahl einen knappen Vorsprung, während die AK-Partei bei der Parlamentswahl mit 34 Prozent gegenüber 28 Prozent für Kılıçdaroğlus Partei deutlich mehr Stimmen erhielt.
Präsident Erdoğan hat zahlreiche erdbebengeschädigte Städte besucht und dort rasch große Bauprojekte auf den Weg gebracht. Geplant ist der Bau von 650.000 Wohnhäusern, darunter 143.000 Dorfhäuser in ländlichen Gebieten.
Die Regierung versprach, innerhalb eines Jahres mindestens 319.000 Wohnhäuser an die Menschen zu übergeben. Zudem wurden bereits Tausende Containerwohnungen in der Krisenregion aufgestellt.
In diesem Sinne scheinen die zunehmenden Bemühungen Ankaras, die Lebensbedingungen der Erdbebenopfer zu verbessern, Früchte zu tragen. Die Wahlergebnisse der Volksallianz und AK-Partei in den am stärksten zerstörten Provinzen ist ein Beweis dafür.
Kahramanmaraş
Diese Provinz am Mittelmeer mit mehr als einer Million Einwohnern war das Epizentrum der verheerenden Erdbeben der Stärke 7,7 und 7,6 vom 6. Februar.
Fast 72 Prozent der Einwohner stimmten bei der Präsidentschaftswahl für Erdoğan, während Kılıçdaroğlu nur 22 Prozent der Stimmen erhielt. Erdoğans Stimmenanteil in Kahramanmaraş ist fast genauso hoch wie in seiner Heimatstadt Rize, wo er mit 72,79 Prozent landesweit die meisten Stimmen erhielt.
Sehr gute Ergebnisse bekam auch die AK-Partei. Bei der Parlamentswahl erhielt sie rund 48 Prozent der Stimmen – die CHP nur 16 Prozent. Die mit der AK-Partei verbündete Partei der Nationalen Bewegung (MHP) erhielt 16 Prozent. Damit erreichte sie in der Region den gleichen Stimmenanteil wie die CHP.
Erdoğan hatte Kahramanmaraş vor der Wahl mehrmals besucht und in vielen Reden betont, dass die Menschen dort, die ihre Angehörigen und ihr Zuhause verloren haben, nicht allein seien. Im März nahm Erdoğan persönlich am ersten Spatenstich für 7.353 Wohnhäuser und 620 Dorfhäuser teil.
Adıyaman
Die südöstliche Provinz ist seit langem eine Hochburg der AK-Partei. Wie Kahramanmaraş wurde auch Adıyaman von den Erdbeben schwer getroffen. Dennoch hat Adıyaman bei der Präsidentschaftswahl mit 66 Prozent weiterhin mehrheitlich für Erdoğan gestimmt. Kılıçdaroğlu konnte nur 31 Prozent erreichen.
Ähnlich sah es auch bei der Parlamentswahl aus. Die AK-Partei bekam 52 Prozent der Stimmen, die CHP lediglich 19 Prozent.
Auch in Adıyaman wurden große Bauprojekte gestartet. „Die Zahl der Häuser, die wir in Adıyaman bauen werden, wird etwa 50.000 betragen. Und die Zahl der Dorfhäuser wird 23.640 erreichen“, sagte Erdoğan im März bei einer Rede in der Provinz anlässlich des ersten Spatenstichs für 4.431 Wohnhäuser.
Malatya
Auch Malatya bleibt eine Hochburg der AK-Partei. Daran hat sich auch am 14. Mai nichts geändert. 69,39 Prozent der Einwohner stimmten bei der Präsidentschaftswahl für Erdoğan, während Kılıçdaroğlu 27,02 Prozent erhielt. Bei der Parlamentswahl wählte die Provinz mit großem Vorsprung die AK-Partei vor der CHP.
Mitte April hatte Erdoğan an der Eröffnung eines großen Wohnungsbauprojekts in Malatya teilgenommen. Die Regierung plant dort den Bau von 70.000 Wohn- und 25.300 Dorfhäusern für Erdbebenopfer.
Hatay
Die Grenzprovinz, in der sich der wichtige Mittelmeerhafen Iskenderun befindet, wurde ebenfalls von den Erdbeben erschüttert. Zahlreiche Häuser und historische Bauten im Provinzzentrum Antakya (Antiochia) wurden dabei zerstört.
Das Rennen um die Präsidentschaft in Hatay verlief mit einem knappen Abstand – sowohl Erdoğan als auch Kılıçdaroğlu erhielten 48 Prozent. Letzterer konnte einen geringen Vorsprung vorweisen.
Bei der Parlamentswahl erhielt die AK-Partei 34 Prozent – die CHP 28 Prozent.
Andere Erdbebengebiete
Neben diesen vier Provinzen, die am stärksten von den Erdbeben getroffen wurden, erhielt Erdoğan auch in Gaziantep (60 % : 35 %), Şanlıurfa (62 % : 32 %), Osmaniye (62 % : 31 %), Kilis (66 % : 27 %) und Elazığ (67 % : 28 %) einen großen Anteil der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl. Dies beweist seine anhaltende Popularität in den traditionellen Hochburgen der AK-Partei. In all diesen fünf Provinzen gewann die AK-Partei die Parlamentswahl mit großem Vorsprung.
In Adana und Diyarbakır erhielt Kılıçdaroğlu die meisten Stimmen bei der Präsidentschaftswahl. Bei der Parlamentswahl lag die AK-Partei jedoch vor der CHP.