Die Wechselbereitschaft von Beschäftigten in Deutschland hat einer Umfrage zufolge in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. 63 Prozent waren zuletzt an einem Wechsel interessiert. Das geht aus einer Umfrage hervor, die die Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) am Freitag veröffentlichte. Zwar schauen sich nur sechs Prozent der Befragten aktiv und 20 Prozent gelegentlich nach einem neuen Job um. 37 Prozent wären jedoch nicht abgeneigt, sollte sich eine Gelegenheit ergeben.
37 Prozent beschäftigten sich gar nicht mit einem Wechsel. Das sind so wenige wie nie seit Beginn der Erhebung 2015. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren war ein Jobwechsel für mehr als die Hälfte kein Thema. 2017 lag der Anteil sogar bei 82 Prozent. EY führt die Umfrage alle zwei Jahre durch.
Laut Arbeitsmarktexperte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) müssen derartige Absichtserklärungen in Umfragen allerdings mit Vorsicht betrachtet werden: „Bis zu einem Jobwechsel muss noch ein bisschen was überwunden werden.“ Zuerst müsse man sich überhaupt bewerben. „Und dann stellt sich die Frage: Springt man auch wirklich? Oder schaut man sich nur um und wechselt erst dann, wenn es wirklich eine ganz brillante Stelle ist.“
Das spiegelt sich auch in einer weiteren Zahl der Umfrage wider: Nur 19 Prozent der Befragten sehen sich in fünf Jahren tatsächlich bei einem neuen Arbeitgeber. 59 Prozent gehen hingegen davon aus, dass sie bis dahin noch beim selben Unternehmen arbeiten werden - entweder auf derselben oder einer besseren Position.
Mehr Bewegung auf Arbeitsmarkt
Weber zufolge gab es in der Corona- und Energiekrisen wenige Wechsel, aber der Trend dreht sich: „Das IAB-Linkedin-Branchenwechsel-Radar zeigt, dass Bewerbungen über verschiedene Branchen derzeit anziehen. Der Arbeitsmarkt kommt wieder stärker in Bewegung.“ Es handle sich bislang aber eher um eine Erholung nach den Krisen, in denen viele Arbeitnehmer auf Sicherheit gesetzt hätten.
Warum sich so viele Beschäftigte für einen Jobwechsel interessieren, wurde in der EY-Erhebung nicht abgefragt. Allerdings haben demzufolge drei von vier Arbeitnehmern in der Vergangenheit bereits einmal den Job gewechselt. Als häufigste Gründe nannten sie ein zu niedriges Gehalt (34 Prozent), das Führungsverhalten der Vorgesetzten (29 Prozent) sowie eine schlechte Unternehmenskultur (23 Prozent). In diesen Punkten zeigen sich auch deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Vor allem die Bezahlung und das Führungsverhalten der Chefetage nehmen für Jüngere eine größere Rolle ein.
So gaben 32,4 Prozent der Befragten zwischen 21 und 35 Jahren an, in ihrem relativ kurzen Berufsleben schon einmal aus Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Vorgesetzten gekündigt zu haben. Bei den 51- bis 65-Jährigen waren es mit 27,8 Prozent weniger - und das, obwohl diese Gruppe schon deutlich länger beruflich tätig ist. Das Gehalt spielte bei 41,4 Prozent der jungen Arbeitnehmer beim Jobwechsel eine Rolle. Bei den Beschäftigten mittleren Alters nannten es 37 Prozent, in der Gruppe der ältesten Arbeitnehmer nur 26 Prozent.
IAB-Forscher Weber hält dies aber nicht für eine Eigenart der jungen Generation. „Als die Über-50-Jährigen jung und in einem Alter waren, wo man flexibel ist und auch öfter mal etwas Neues macht, stand der Arbeitsmarkt in Deutschland richtig schlecht da.“ In diesem Umfeld habe man nicht auf Verbesserungen spekuliert, sondern sei froh gewesen, wenn man seinen Job behalten habe. Mittlerweile gebe es aber die größte Arbeitskräfteknappheit seit dem Wirtschaftswunder.
„Nun treffen also ein sehr starker Arbeitsmarkt und flexiblere Arbeitsbedingungen nach Corona aufeinander - zum Vorteil derjenigen, die in diesen Arbeitsmarkt hineingeboren wurden“.
Fachkräfte müssen gehalten werden
EY-Arbeitsdirektor Jan-Rainer Hinz zufolge ist das vor allem für die Unternehmen eine schwierige Situation: Talente und Fachkräfte, die offensichtlich immer häufiger zu einem Wechsel bereit seien, müssten gehalten werden. Zugleich müsse man neue Mitarbeiter von den Vorzügen des eigenen Unternehmens überzeugen. Neben der Bezahlung dürften daher auch die Art der Führung, die Firmenkultur und das Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen nicht außer Acht gelassen werden.
Der Arbeitsmarkt hatte sich trotz Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den vergangenen Jahren robust gezeigt. Zuletzt stieg die Arbeitslosenzahl aber wieder - und die Zahl der offenen Stellen sank laut IAB auf hohem Niveau etwas. Dennoch gibt es derzeit kaum eine Branche, die nicht händeringend Personal und Fachkräfte sucht.
Das IAB rechnet damit, dass dem Arbeitsmarkt bis 2035 bis zu sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen - wenn nicht gegengesteuert wird. Der Hauptgrund dafür ist insbesondere, dass die Babyboomer-Generation sich langsam aus dem beruflichen Umfeld zurückzieht. „Um diese Entwicklung aufzuhalten, müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Aktuell sind noch zu viele Potenziale ungenutzt“, sagt Weber. Es gelte etwa, Ältere im Job zu halten, die berufliche Entwicklung von Frauen zu stärken, Zuwanderer anzuziehen und besser zu integrieren sowie die Arbeitslosigkeit abzubauen.