Er soll an der Universität gearbeitet und für den russischen Geheimdienst spioniert haben: An diesem Donnerstag beginnt vor dem Oberlandesgericht (OLG) München der Prozess gegen einen jungen Wissenschaftler, dem Spionage im Bereich der Raketenforschung vorgeworfen wird. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ihn wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt. Der russische Geheimdienst habe über ihn vor allem Informationen über die europäische Trägerrakete Ariane bekommen wollen.
Bis zu seiner Festnahme am 18. Juni 2021 hatte der damals 29 Jahre alte Russe als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen naturwissenschaftlich-technischen Lehrstuhl der Universität Augsburg gearbeitet.
Russischer Auslandsnachrichtendienst nahm im Herbst 2019 Kontakt auf
Laut Bundesanwaltschaft soll der russische Auslandsnachrichtendienst SWR spätestens im Herbst 2019 Kontakt zu dem Angeklagten aufgenommen haben. „Das Aufklärungsinteresse des Nachrichtendienstes lag insbesondere in den verschiedenen Entwicklungsstufen der europäischen Trägerrakete Ariane und der Werkstoffforschung des Angeschuldigten“, teilte die Bundesanwaltschaft zur Anklageerhebung im Januar mit. Ab Ende November 2019 habe es regelmäßige persönliche Treffen zwischen dem Angeschuldigten und einem russischen Führungsoffizier gegeben. Der junge Mann habe dabei Informationen zu Forschungsprojekten aus dem Bereich Luft- und Raumfahrttechnologie weitergegeben, insbesondere von den verschiedenen Ariane-Entwicklungsstufen. Dafür habe er insgesamt 2500 Euro erhalten.
Geldübergabe bei einem der drei Treffen Bei der Festnahme des Mannes im Juni vergangenen Jahres hatte die Bundesanwaltschaft von drei Treffen gesprochen. Zumindest bei zwei dieser Treffen habe der Wissenschaftler gegen Bargeld Informationen „aus dem Herrschaftsgebiet der Universität“ weitergegeben.
Spionagefälle landen eher selten vor Gericht, wie OLG-Sprecher Florian Gliwitzky sagt. Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums wurde in den Jahren 2016 bis 2020 im Freistaat nur ein Angeklagter im Bereich der klassischen Spionage (in Abgrenzung vor allem zur Wirtschaftsspionage) verurteilt - und zwar im Jahr 2018. Auch die Bundesanwaltschaft, die herausgehobene Fälle an Gerichten überall in Deutschland zur Anklage bringt, zählt nur etwas mehr als eine Handvoll Anklagen in den vergangenen Jahren: „Im Jahr 2021 wurden vier Anklagen wegen des Vorwurfs der geheimdienstlichen Agententätigkeit und im Jahr 2020 zwei entsprechende Anklagen durch den Generalbundesanwalt erhoben“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.
Spionagetätigkeiten haben 2020 das Niveau des Kalten Krieges erreicht
Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2020 haben Spionagetätigkeiten in Deutschland mindestens das Niveau des Kalten Krieges erreicht. Die Bundesrepublik sei ein attraktives Ziel insbesondere für Agenten aus Russland, China, dem Iran und der Türkei, sagte Bundesamts-Chef Thomas Haldenwang 2020 im Bundestag.
So hatte die Bundesanwaltschaft 2021 Anklage gegen ein deutsches Ehepaar erhoben, das für den chinesischen Geheimdienst spioniert haben soll. Der Mann, ein Politologe, soll dem Geheimdienst im Vorfeld oder Nachgang von Staatsbesuchen oder Konferenzen regelmäßig Informationen übermittelt haben. Ein anderer Mann wurde verdächtigt, Informationen über die Liegenschaften des Deutschen Bundestages an russische Nachrichtendienste übermittelt zu haben.
2020 gab es eine Anklage gegen einen Deutschen, der für den ägyptischen Geheimdienst gearbeitet haben soll sowie eine gegen einen Inder, der dem indischen Auslandsgeheimdienst nach Angaben der Bundesanwaltschaft unter anderem Informationen über die oppositionelle Sikh-Gemeinde in Deutschland beschafft hat.