Polizisten im hessischen Kelsterbach stehen in der Kritik, weil sie am 20. September einen Apotheker verprügelt haben sollen. Die Darstellung des Apothekers und der Polizeibeamten unterscheidet sich drastisch – weshalb nun die Staatsanwaltschaft Darmstadt und das Polizeipräsidium Südhessen ermitteln.
Die Beamten hatten den Parkplatz vor einer Apotheke für eine Verkehrskontrolle genutzt und Plätze für die Kunden der Apotheke dadurch blockiert, wie die „Frankfurter Neue Presse“ berichtet. Apotheken-Inhaber Dr. Okan Osman-Oglou soll die Polizisten daher gebeten haben, den Parkplatz wieder freizugeben. Die Beamten sollen danach gewalttätig geworden sein.
Augenzeuge belastet Polizisten
Ein von den Polizisten kontrollierter Autofahrer hat seine Sicht auf den Vorfall erzählt. Wie „Apotheke adhoc“ berichtet, habe er beobachten können, wie der Inhaber auf den Polizisten zuging „und in keinerlei provokanter Art ihn fragte oder bat, zukünftig nicht mehr die Kundenparkplätze mit dem Polizeidienstwagen zu blockieren, das wären seine Plätze und er sei der Apotheker.“
Auf die Bitte des Apothekers sei einer der Polizisten plötzlich laut geworden und habe gefragt, ob Osman-Oglou ihn beleidigen oder provozieren wolle. Dann sei es zunächst zwischen dem Apotheker und einem der Polizisten zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, der andere Beamte habe nicht eingegriffen.
Der Bitte von Osman-Oglou, die Angelegenheit nicht vor seiner Apotheke, sondern in der Polizeiwache zu klären, seien die Beamten nicht nachgekommen. Sie hätten ihn festgehalten und mit „zunehmender Aggression“ auf ihn eingeprügelt. Schließlich hätten sie ihn mit einer Art Schlagstock in die Kniekehlen geschlagen, habe der Zeuge erzählt. „Irgendwann haben dutzende Menschen die Polizisten angebrüllt, was sie denn da machen. Da haben sie aufgehört“, so Osman-Oglou gegenüber „Apotheke adhoc“. Er stellte inzwischen eine Anzeige gegen die Polizisten wegen Körperverletzung.
Gegensätzliche Darstellung der Polizeibeamten
Das Polizeipräsidium Südhessen stellt den Vorfall jedoch anders dar. Der 35-jährige Apotheker sei einer Pressemitteilung der Polizei zufolge nach Widerstand festgenommen worden. Er soll, während die Polizisten einen Verkehrsteilnehmer auf dem Parkplatz kontrollierten, „mit erhobenen Armen, laut brüllend“ auf die Streife zugekommen sein und sie aufgefordert haben, zu gehen.
Die beiden Beamten hätten sich dann entschlossen, den Apotheker zu überprüfen. Der soll sich allerdings gewehrt und einen der Polizisten im Gesicht verletzt haben. Später wurde der Apotheker festgenommen und Strafanzeige erstattet.
Osman-Oglou widerspricht dieser Darstellung scharf: „Das ist vollkommener Unfug! Mein Anwalt meinte sofort, dass es in solchen Fällen eine typische Masche sei, solche Anschuldigungen in den Raum zu stellen“, zitiert ihn „Apotheke adhoc“.
Polizeigewalt: Strukturelle Probleme
Fälle von Polizeigewalt in Deutschland sorgen immer wieder für Empörung in der Öffentlichkeit. Wie aus einer Studie der Ruhruniversität Bochum hervorgeht, führen insbesondere strukturelle Probleme dazu, dass solche Taten nur in den allerwenigsten Fällen geahndet werden. Das sei seit Jahren bekannt, stellt der Kriminologe Dr. Tobias Singelstein in der Studie fest: Der Korpsgeist in der Polizei führe oft dazu, dass Beamten sich gegenseitig decken.
Eine unabhängige Kontrollinstanz, wie es sie in anderen Ländern gibt, fehlt in Deutschland – im Zweifelsfall ermitteln Polizisten also gegen ihre eigenen Kollegen. Und nicht zuletzt haben Opfer von Polizeigewalt vor Gericht schlechte Karten: Steht es Aussage gegen Aussage, wiegt die des Polizeibeamten schwerer.
Die Folge: In Deutschland gibt es jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte. Staatsanwaltlich bearbeitet werden davon im Schnitt rund 2000 im Jahr – und noch viel weniger werden strafrechtlich geahndet. Rund 2 Prozent der Fälle kommen vor Gericht, weniger als 1 Prozent endet mit einer Verurteilung, wie der RBB berichtet.
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