08.10.2022, Bayern, Tuntenhausen: Ein Ausbilder informiert bei einem Selbsthilfekurs des Medizinischen Katastrophen-Hilfswerks über die Bedienung von Handfeuerlöschern. (dpa)
Folgen

Erdig schmecke es, sehr natürlich, jemand findet es sogar „saugut“. Nicht alle haben sich getraut, einen Schluck des Wassers zu nehmen, das kurz zuvor noch gelblich in einer Glaskaraffe schwappte. Nun ist es durch einen Damenstrumpf geronnen, und durch einen ausgeklügelten Aufbau aus Kies, Quarzsand, Grillkohle und Tuch - und auf den ersten Blick sieht es jetzt klar aus. Erst nach der Kostprobe führt Katastrophenschützer Detlef Hacker vom Medizinischen Katastrophen-Hilfswerk (MHW) die Teilnehmer des Selbsthilfe-Kurses in den Garten - und lüftet das Geheimnis: Das Wasser stammt aus der Regentonne hinter dem Haus, ein paar tote Insekten und undefinierbare Schwebstoffe schwimmen in der trüben Brühe. Kleine Schrecksekunde bei den Teilnehmern - dann Überraschung, wie einfach sich in einem Notfall Trinkwasser gewinnen lässt. Krisenvorbereitung Motivation für Überlebenstraining Die Sorge um einen Blackout hat die meisten motiviert: Rund 80 Menschen lernten am Samstag beim MHW in Tuntenhausen (Oberbayern) Überlebenstechniken: Alternative Trinkwassergewinnung, Bevorratung für Notzeiten und Kochen ohne Strom, aber auch erste Wundversorgung und Brandbekämpfung. „Mich begeistert das total“, sagt Manuela Maria Thaller, die mit ihrem Mann dabei ist. „Wir haben sehr viel gelernt.“ Noch während des Kurses mit dem Shoppen begonnen hat Rolf Müller. Einen Gaskocher und andere Koch-Utensilien hat er in seinen virtuellen Einkaufswagen geladen. „Ich bin Schwabe, ich bin risikoscheu“, witzelt er über seine Anmeldung zum Kurs. Aber ja: Er wolle einfach vorbereitet sein. Die Schulung sei sehr gefragt, das Thema „aktuell wie nie“, sagt der Einsatzleiter und Präsident des MHW, Robert Schmitt. „Wenn große Krisen sind, sind die Kurse mehr als ausgebucht.“ Anlässe waren die Atomkatastrophe von Fukushima, die Flut im Ahrtal und nun der Krieg in der Ukraine. „Wir leben in sehr unruhigen und herausfordernden Zeiten.“ Es nütze nichts, „wenn wir die Sirenen wieder einschalten - wenn wir den Bürgern nicht erklären, was sie dann zu tun haben“. Zivilschutz rückt wieder in den Blickpunkt von Politik Zivilschutz ist wieder im Blickpunkt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte zum Jahrestag der Flutkatastrophe: „Für mich ist klar, wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz.“ Die Ministerin sprach auch von großen Versäumnissen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. „Wir haben uns zu lange sicher gefühlt.“ Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wendet sich auf seiner Homepage an die Menschen: „Sind Sie fit in puncto Notfallvorsorge? Haben Sie einen Vorrat zu Hause, wenn draußen ein Sturm tobt? Sind Ihre wichtigsten Dokumente griffbereit, wenn ein Feuer oder eine Bombenentschärfung Sie aus dem Haus zwingen?“ Es sei wichtig, dass sich Bürgerinnen und Bürger mit dem Thema auseinandersetzten, sagt MHW-Einsatzleiter Schmitt. „Jeder, der vorbereitet ist und vielleicht auch seinem Nachbarn helfen kann, entlastet uns Einsatzkräfte.“ Bundesweit gebe es dennoch kein vergleichbares Kursangebot wie beim MHW. Schmitt rät: Für zwei Wochen Wasser und Lebensmittel daheim, das Auto vollgetankt und ein Radio, das mit Batterien läuft, um Informationen der Behörden zu verfolgen. Denn wenn der Strom weg bleibt, geht nichts mehr: kein fließendes Wasser, keine Toilettenspülung, kein Herd, kein Aufzug, kein Telefon und kein Internet. Nicht nur die Energieknappheit könnte einen Blackout auslösen, sondern auch Naturkatastrophen oder Wetterextreme, Sabotage oder Cyberangriffe. „Man geht unvorbereitet in die kalte Jahreszeit“ Auch die Behörden stünden vor gravierenden Problemen. Das Digitalfunknetz für Einsatzkräfte könnte zusammenbrechen, wie MHW-Sprecher Matthias Fischer sagt. Die Einsatzfahrzeuge seien deshalb wieder mit analogen Funkgeräten ausgerüstet. Wenn auch Kraftstoff fehlt, wird es brisant. „Man geht unvorbereitet in die kalte Jahreszeit“, warnt Fischer. Die kritische Infrastruktur müsste besser unterstützt und etwa nicht nur Kliniken, sondern auch Altenheime, Feuer- und Rettungswachen mit Notstrom abgesichert sein. Im südlichen Bayern bereiten sich Landkreise derzeit gemeinsam vor. „Wir müssen uns auf die kritische Infrastruktur konzentrieren“, sagt auch der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU). Dazu zählten Kliniken, Rettungsdienste, Pflegeheime, digitale Kommunikation, Wasserversorgung, Behörden, Bezahlsysteme und Logistik. „Die Sicherheitslage verschärft sich rasant, wenn die kritische Infrastruktur nicht mehr funktioniert.“ Mancher in dem MHW-Kurs hat schon vorgesorgt: mit Lebensmitteln, Kocher, mancher gar mit eigenem Notstromaggregat - oder mit einem gepackten Rucksack. „Wir haben Notfallrucksäcke zuhause“, sagt die stellvertretende Landesgeschäftsführerin des ASB, Nadine Naujoks, die mit Mann und zwei Kindern da ist. „Es muss gar keine große Naturkatastrophe sein. Es kann ja einfach sein, dass das Nachbarhaus brennt und man deshalb weg muss.“ Für sie und ihre Familie sei der Kurs „ein kleiner Survival-Urlaub“.

dpa