Das Angebot wichtiger Arzneimittel besonders für Kinder soll besser gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Darauf zielen Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die der Bundestag am Freitag (14.40 Uhr) beschließen soll. Kommen sollen unter anderem Vorgaben zu Vorräten für mehrere Monatsmengen als Sicherheitspuffer. Außerdem sollen Preisregeln geändert werden, um Lieferungen nach Deutschland für Hersteller lukrativer zu machen. Die Ampel-Koalition hängt auch noch andere Regelungen an das Gesetz an - etwa zu telefonischen Krankschreibungen und zu Drogen-Checks.
Die Arznei-Pläne kamen nach einer Infektwelle in der Adventszeit in Gang, als Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften eskalierten. Generelle Nachschubrisiken gibt es aber schon länger. Auch Mittel für Erwachsene waren davon betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika. Aktuell sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gut 490 Meldungen zu Engpässen erfasst. Ende April stellte das Bundesgesundheitsministerium auch einen Versorgungsmangel bei antibiotikahaltigen Säften für Kinder fest, was vorübergehend flexiblere Reaktionen ermöglicht.
Grundlegende Absicherungen soll nun das Gesetz mit dem Kürzel „ALBVVG“ bringen, also das „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“. Ein Überblick über Kernpunkte:
Sicherheitspuffer: Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat anlegen müssen - und zwar einen so großen, wie es einer durchschnittlichen Liefermenge für sechs Monate entspricht. Zunächst war ein Drei-Monats-Puffer geplant. Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte schon, dass Produktionskapazitäten dafür fehlten. Zudem verursache die Lagerhaltung mehr Kosten - und das verschärfe den Kostendruck als eine Ursache für Ausstiege aus der Produktion.
Mittel für Kinder: Für Kindermedikamente soll es keine Rabattverträge mehr geben, mit denen Preise für die Kassen als Großabnehmer gedrückt werden. Hersteller sollen ihre Abgabepreise auch einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden „Festbetrags“ anheben dürfen - also des maximalen Betrags, den die gesetzlichen Kassen bisher für ein Präparat zahlen. Neue Festbeträge soll es dann für Kindermedikamente nicht mehr geben. Außerdem soll generell eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.
Apotheken und Kassen: Für Apotheken soll ein Austausch zu ähnlichen Präparaten leichter werden. Mit Krankenhausapotheken sollen sie bei Engpässen auch einfacher Medikamente gegenseitig austauschen können. Das Bundesinstitut für Arzneimittel soll mehr Informationen aus dem Markt bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten. Bei Ausschreibungen der Kassen sollen europäische Pharmahersteller mehr zum Zug kommen. Insgesamt rechnen die Kassen mit jährlichen Mehrkosten „mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich“, wie der Spitzenverband warnte. Dem stehe die bloße Erwartungshaltung auf Liefersicherheit gegenüber.
Krankschreibungen: Nach dem Aus einer Corona-Sonderregelung im April sollen Krankschreibungen per Telefon auch ohne Praxisbesuch dauerhaft möglich werden - vorausgesetzt, es geht um Erkrankungen ohne schwere Symptome und man ist bei dem Arzt oder der Ärztin schon aus früheren Behandlungen bekannt. Das soll Praxen und Patienten, besonders Eltern mit Kindern, entlasten. Die genaue Regelung dazu soll der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Kliniken erarbeiten.
Suchtpolitik: Angebote zu Untersuchungen der Inhaltsstoffe von Drogen („Drug-Checking“) sollen bundesweit möglich werden. Dafür soll das Verbot von „Substanzanalysen“ durch Personal in Drogenkonsumräumen im Betäubungsmittelgesetz wegfallen. Die Länder sollen Modellvorhaben erlauben können, „wenn mit der Analyse eine Risikobewertung und gesundheitliche Aufklärung verbunden ist“. Die Grünen-Fachpolitikerin Linda Heitmann sagte, damit könnten Erwachsene Drogen „risikoärmer“ konsumieren. So erreiche man gerade auch Konsumierende in der Club- und Festivalkultur, könne aufklären und Gesundheitsrisiken mindern. „In vielen Bundesländern stehen Träger bereits in den Startlöchern.“
Arznei-Werbung: In Werbespots und Anzeigen für Medikamente soll der bekannte vorgeschriebene Warntext geändert werden und künftig lauten: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke“. Damit solle „gleichstellungspolitischen Aspekten Rechnung getragen werden“, heißt es im Entwurf. Ersetzt werden soll das seit drei Jahrzehnten lautende Satzende „... und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“.