Der Schengenraum gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften in Europa: ein Zusammenschluss von Staaten, die an ihren Binnengrenzen freies Reisen ohne Passkontrollen und einen unbürokratischen Gütertransport vereinbart haben. Das Gründerabkommen unterzeichneten im Juni 1985 – also vor fast 40 Jahren – Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten in dem Luxemburger Grenzort Schengen.
Wer gehört dazu?
Heute sind 29 Länder Teil des Schengenraums. Dazu gehören 25 EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Zuletzt traten Bulgarien und Rumänien bei, wo bisher nur die Kontrollen an Luft- und Seebinnengrenzen aufgehoben wurden, nicht aber an den Landgrenzen.
Wann sind Kontrollen erlaubt?
Im Fall „außergewöhnlicher Umstände“ kann ein Mitgliedsland laut Schengen-Kodex wieder kontrollieren, allerdings nur „vorübergehend“ und „als letztes Mittel“. Durch hohe Migrationszahlen, Terroranschläge und die Corona-Pandemie ist die Ausnahme jedoch zur Regel geworden. In mehr als 440 Fällen wichen die Mitgliedsländer seit 2006 von dem Grundprinzip der unbegrenzten Reisefreiheit ab, wie eine Aufstellung der EU-Kommission zeigt. Die Kommission kann die Länder ermahnen, hat aber kein Vetorecht.
Wo wird derzeit kontrolliert?
Aktuell haben acht Länder Kontrollen in Brüssel angemeldet – darunter Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Dänemark und Schweden. Österreich begründet dies mit der „irregulären Migration“ und Italien mit dem „Risiko terroristischer Aktivitäten“.
Deutschland führte 2015 wegen der Migrationslage Kontrollen zu Österreich ein. Seit Oktober 2023 gibt es solche Kontrollen auch zu Polen, Tschechien und der Schweiz sowie derzeit im Nachgang von Olympia noch zu Frankreich. Ab Montag weitet die Bundesregierung die Kontrollen auf alle Landgrenzen aus, also auch zu Belgien, Dänemark, Luxemburg und den Niederlanden.
Wie rechtfertigt Deutschland die neuen Kontrollen?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verweist in einem Schreiben an die EU-Kommission auf die Migrations- und Sicherheitslage. Die Ressourcen von Bund und Ländern zur Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten seien „nahezu erschöpft“, schreibt Faeser. Neben Gefahren durch den „Terrorismus“ hätten zudem „zuletzt Vorfälle von Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete zu einer massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls und des inneren Friedens geführt“.
Wie reagieren die EU-Partner?
Ungarn und Italien fühlen sich in ihrer harten Migrationspolitik bestätigt, andere kritisieren das deutsche Vorgehen scharf, etwa Polen und Griechenland. Polens Regierungschef Donald Tusk hat „dringende Konsultationen“ mit anderen deutschen Nachbarn angekündigt. Gegen irreguläre Migration seien nicht Kontrollen an den EU-Binnengrenzen nötig, sondern ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen, so Tusk.
Letzteres sieht die im Mai besiegelte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS) vor, die allerdings erst Mitte 2026 wirksam wird. Faeser hatte bereits im Frühjahr angekündigt, sie wolle die bestehenden Kontrollen so lange fortsetzen, „bis das neue EU-Asylsystem mit dem starken Außengrenzschutz greift“.
Wie lange dürften die deutschen Grenzkontrollen dauern?
Die neuen Kontrollen sind vorerst auf sechs Monate befristet, bis zum 15. März 2025. Sie können in begründeten Fällen auf bis zu zwei Jahre verlängert werden. Nach dem im Mai reformierten Schengen-Kodex ist es möglich, sie „in schwerwiegenden Ausnahmesituationen im Hinblick auf eine anhaltende Bedrohung“ um bis zu ein weiteres Jahr zu verlängern, also auf insgesamt drei Jahre. Die Praxis zeigt jedoch, dass Länder mit Unterbrechungen immer neue Kontrollen anmelden.