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Ankara gibt mit der Eröffnung türkischer Schulen eine Antwort auf Deutschlands unzureichende Integrationspolitik. Die Türkei arbeitet an der Transformation der asymmetrischen Beziehung mit Deutschland hin zu einer Beziehung auf Augenhöhe.

Die Türkei betreibt seit langem eine aktive Diasporapolitik und konzentriert sich vorrangig auf die Unterstützung der in Europa lebenden SchülerInnen und StudentInnen mit türkischem Migrationshintergrund - die in der Bildung sozioökonomisch sowie strukturell benachteiligt sind.

In diesem Sinne plant Ankara die Eröffnung von Schulen, welche nicht nur die Bindung der SchülerInnen zur türkischen Kultur und Sprache verstärken, sondern auch die Kompetenzvermittlung sowie die Sozialisation miteinbeziehen sollen.

Gegenwärtig werden in Deutschland mehr als 20 ausländische Schulen betrieben - unter anderem von Griechenland, Japan, Saudi-Arabien und dem Iran. Deutschland selbst ist Betreiber von 140 Auslandsschulen in mehr als 70 Ländern – auch in der Türkei.

2008 hatte der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan erstmalig den Wunsch geäußert, eigene Schulen im Ausland zu gründen, was für große Diskussionen sorgte. In der Türkei gibt es insgesamt drei deutsche Schulen. Sie befinden sich in den Großstädten Istanbul, Ankara und Izmir. Die 1868 für die in Istanbul lebende „Deutsche und Schweizerische Kolonie“ gegründete Schule mit dem Namen „Deutsche Schule Istanbul“ zählt heute zu den renommiertesten Schulen des Landes.

Im Gegenzug sollen bald drei Schulen in Berlin, Frankfurt und Köln errichtet werden. In diesen Städten leben besonders viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.

Die Bildungsministerien, Bildungsberater und Attachés beider Länder versuchen seit Sommer 2018 eine Rechtsgrundlage für diese Schulen zu erarbeiten, um tragfähige Vereinbarungen zu erzielen. Dieser Verhandlungsspielraum entstand aufgrund der bereits bestehenden problematischen Rechtsgrundlage der deutschen Schulen in der Türkei. Das deutsche Bildungsministerium erklärte sich erst vor diesem Hintergrund dazu bereit, Verhandlungen für türkische Schulen in der Bundesrepublik aufzunehmen.

Die geplanten Auslandsschulen der Türkei würden im deutschen Schulsystem als „Ersatzschulen“ kategorisiert werden. Diese sind den öffentlichen Schulen gleichgestellt. Dementsprechend ist eine bilinguale Bildung vorgesehen, wie es auch bei den Deutschen Schulen in der Türkei der Fall ist. Die ausgestellten Zeugnisse würden in beiden Ländern anerkannt sein. Auch der Übergang zwischen den deutschen und türkischen Schulen würde dadurch vereinfacht werden. Diese Schulen sollen offen für alle SchülerInnen sein, egal welcher Herkunft. Langfristig will die Türkei einen internationalen Qualitätsstandard erreichen und prestigeträchtige Schulen hervorbringen.

Da diese Schulen den Status einer Privatschule tragen müssen, laufen die Beratungen über die Auswahl einer geeigneten Stiftung weiter. Das betrifft auch die Schulleitung und Lehrkräfte.

Deutsche Behörden haben hierbei in der Tat eine moderate und rationale Herangehensweise erwiesen. Das gleiche kann man aber nicht von der Politik behaupten. Vor allem türkeistämmige Abgeordnete innerhalb der Linken, die eine gewisse Sympathie für die PKK empfinden und eine Feindschaft gegenüber der türkischen Regierung pflegen, sprechen sich gegen türkische Auslandsschulen in Deutschland aus. Dieser politische Flügel, der alle Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland in Frage stellt, wird von den ein- und weitsichtigen Kreisen nicht mehr ernst genommen. Denn sie bieten langfristig keine nachhaltige Lösung.

Befürchtung der Integrationsbehinderung berechtigt?

In diesen Schulen soll den SchülerInnen das vom deutschen Bundesministerium vorgegebene Curriculum gelehrt werden. Das hindert die Kritiker aber nicht, die Forderung laut werden zu lassen, dass in den türkischen Schulen keine politische oder ideologische Unterweisung stattfinden dürfe.

Auffällig ist, dass derartige Bemerkungen, Warnungen und Debatten ausbleiben, wenn es um Schulen anderer Länder geht. Sind da vielleicht Interessensunterschiede im Spiel?

Die saudische „König Fahd-Akademie“, die zwischen 1994 und 2017 in Bonn/Berlin betrieben worden war, erfuhr trotz der bekannten Verbreitung der Wahhabismus-Ideologie kaum Widerstand. Warnungen vor „Radikalisierung und Terror“ waren schon länger bekannt. Die Schule konnte aber nur durch die Entscheidung von Muhammed bin Salman im Jahr 2017 geschlossen werden.

Der Hauptvorwurf, der in den öffentlichen Debatten gegen türkische Schulen vorgebracht wird, lautet „Integrationsbehinderung“. Dabei ist jedoch vor allem der Integrationserfolg des deutschen Bildungssystems äußerst fragwürdig. Wissenschaftliche Arbeiten geben hier klare Hinweise darauf, dass SchülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem benachteiligt werden, Schulen vom niedrigsten Niveau besuchen und häufiger Diskriminierungen ausgesetzt sind. In dieser Hinsicht könnten die türkischen Schulen für das deutsche Bildungssystem, das bei der erfolgreichen Integration türkischer SchülerInnen leider zu kurz kommt, als eine alternative Auswahlmöglichkeit gesehen werden.

Wenn SchülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund in einem Umfeld unterrichtet werden, in dem sie mit ihrer Identität und Sprache willkommen sind, wird dieser Umstand dazu beitragen, dass SchülerInnen als selbstbewusste Individuen in der Gesellschaft heranwachsen - und neben der deutschen Sprache auch die türkische Sprache kommunikationssicher beherrschen.

Aktuell haben wir es mit einer konfusen Generation zu tun, die kontinuierlich das Gefühl der Diskriminierung erlebt und große Schwierigkeiten hat, eine eigene und hybride Identität aufzubauen. Diese Schulen sollen dabei helfen, sich individuell zu entfalten und eine eigene Identität zwischen beiden Kulturen zu entwickeln.

Die aktuellen Entwicklungen und Herangehensweisen des deutschen Staates lassen darauf hindeuten, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht als vollwertige Bürger oder freie Individuen wahrgenommen werden. Trotz der vielen Bemühungen und Aufrufe von gesellschaftlicher und politischer Seite werden Deutsche mit Migrationshintergrund nicht mit Deutschland assoziiert, sondern mit dem Herkunftsland der Eltern oder Großeltern. Deutsche Staatsbürger mit türkischem Migrationshintergrund erleben eine zunehmende Abweisung ihrer individuellen Identität. Sie werden als Teil einer anderen Gesellschaft gesehen, in der sie aber weder geboren, noch aufgewachsen sind. Es besteht der Verdacht bzw. die Vermutung unter den Deutschtürken und auch Muslimen, dass sich der deutsche Staat zu sehr in das gesellschaftspolitische Handlungsfeld einmischt. Der Staat möchte Migranten türkischer und muslimischer Herkunft als einheitliche Stimme, als eine Struktur, die möglichst homogen organisiert ist, vorfinden – die zudem nach eigenem Maßstab vertretbar, verhandelbar und in gewisser Weise kalkulierbar ist. Aber selbst diese Art von Organisation ist erst dann erwünscht, wenn sie vom Staat initiiert ist bzw. in ihrer Form den Erwartungen des Staats entspricht. In diesem Sinne weisen die Deutsche Islamkonferenz, welche vom Innenministerium ins Leben gerufen wurde und die Reaktionen über die Eröffnung türkischer Schulen einen Widerspruch in sich auf.

Die Türkei möchte mit der Eröffnung türkischer Schulen eine Auswahlmöglichkeit in der Bildung anbieten, die sich nicht nur an Türkeistämmige richtet. Summa summarum gibt Ankara mit dem Plan zur Eröffnung türkischer Schulen eine Antwort auf Deutschlands unzureichende und oft kritisierte Integrationspolitik. Die Türkei arbeitet an der Transformation der asymmetrischen Beziehung mit Deutschland hin zu einer Beziehung auf Augenhöhe.

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