Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer. / Photo: AA (AA)
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Als Kemi Badenoch in ihrer vormaligen Position als britische Staatssekretärin für Wirtschaft und Handel am 14. März dieses Jahres in London erneut eine Überarbeitung des bestehenden Freihandelsabkommens zwischen ihrem Land und der Republik Türkiye ankündigte, wurden zwei Dinge deutlich. Erstens brachte das derzeitige Abkommen, das gleich nach dem Brexit startete, beiden Ländern große Vorteile. Zweitens wurde in den vergangenen drei Jahren aber erkannt, dass es durchaus noch Spielraum für Verbesserungen gibt.

Seit Juli 2024 hat das Vereinigte Königreich eine neue Regierung und natürlich auch einen neuen Staatssekretär für Wirtschaft und Handel: Jonathan Reynolds. Noch nicht einmal 100 Tage im Amt, stellte er fest, dass die bilateralen Gespräche im Herbst 2024 endlich wieder in Fahrt kommen müssen. Mit neuer politischer Kontinuität im Vereinigten Königreich sieht es so aus, dass in Kürze auch Ergebnisse auf dem Tisch liegen werden.

Kurzer Rückblick: Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die nunmehr erneut im Raum stehenden Verhandlungen eine längere Vorlaufzeit hatten als erwartet. Bereits im Juli 2023 hatten beide Regierungen in einer gemeinsamen Erklärung verkündet, das existierende Freihandelsabkommen solle verbessert werden. Ebenso muss im Blickwinkel behalten werden, dass bereits vor dem Brexit und dank der Zollunion der Handel zwischen beiden Staaten bestens florierte. Das derzeitige Abkommen von 2021 stellte sodann sicher, dass präferentielle Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten auch weiterhin bestehen bleiben.

19,5 Milliarden US-Dollar Volumen, aber weit mehr realisierbar

Die Investitionen im letzten Jahr aus Türkiye im Vereinigten Königreich lassen sich auf 4,9 Milliarden US-Dollar beziffern; in umgekehrter Richtung 8,6 Milliarden US-Dollar. Somit belegt das Vereinigte Königreich einen Platz in den Top zehn. Das türkische Exportvolumen ins Vereinigte Königreich beläuft sich auf 12,4 Milliarden US-Dollar. Zwischen 2017 und 2022 verzeichnete man eine jährliche Steigerung des Exportvolumens aus dem Vereinigten Königreich nach Türkiye von fast zehn Prozent. Und neben dem bilateralen Handelsvolumen muss man auch das Thema Direktinvestitionen in beide Richtungen erwähnen: 2021 zum Beispiel verzeichnete man hier eine Steigerung in Höhe von 13,5 Prozent seitens des Vereinigten Königreich in Türkiye und eine Steigerung von erstaunlichen 25,6 Prozent aus Türkiye im Vereinigte Königreich.

Es sind derzeit 3200 britische Unternehmen in Türkiye aktiv; Export-Schwerpunkte seitens dem Vereinigten Königreich sind Energie, Infrastruktur, Gesundheit, Technologie und Verteidigung. Export-Schwerpunkte aus Türkiye ins Vereinigte Königreich sind u.a. Textilien, Automobilsektor, Eisen, Stahl, elektrische und nicht-elektrische Maschinen sowie Gold.

Warum also ein verbessertes Freihandelsabkommen?

Kemi Badenoch fasste es noch im Amt so zusammen (Übersetzung d. Verfassers): „Unser bestehendes Abkommen, das die Grundlage für unsere derzeitigen Handelsbeziehungen bildet, ist veraltet und nicht für das digitale Zeitalter konzipiert. Während das bestehende Abkommen 98,8 Prozent des Wertes der britischen Warenexporte nach Türkiye zollfreien Zugang gewährt – basierend auf den Zahlen für 2021 –, enthält es nur begrenzte Bestimmungen für den florierenden Dienstleistungssektor des Vereinigten Königreichs. Wir beabsichtigen, dies zu ändern, indem wir die Dienstleistungen in den Mittelpunkt eines neuen Abkommens stellen (…) rund 8.000 Unternehmen aus allen Teilen des Vereinigten Königreichs haben 2022 Waren nach Türkiye exportiert. Davon waren 6.800 kleine und mittlere Unternehmen. Die KMU des Vereinigten Königreichs könnten die Hauptnutznießer eines neuen Abkommens mit Türkiye sein, da wir versuchen, den Geschäftsverkehr zu erleichtern und uns auf Handelshemmnisse zu konzentrieren, die sie bisher möglicherweise davon abgehalten haben, in diesen interessanten Markt einzutreten.“

Also Einbahnstraße seitens London? Weit gefehlt! Indem beide Seiten den Dienstleistungssektor mit dem Finanz- und Servicesektor verknüpfen, sich über den Agrarsektor einigen, das Thema Digitalisierung in die Verhandlungen aufnehmen und die enorme positive Rolle von kleinen und mittleren Unternehmen für die Volkswirtschaft anerkennen, wobei Türkiye eine weltweite Vorreiterrolle spielt, sieht es vielversprechend aus. Indem britische und türkische Firmen enger kooperieren, Arbeitsplätze in beiden Staaten sichern und neu schaffen und sich gemeinsam auf die digitale Marktwirtschaft vorbereiten sowie das Thema Klimawandel und nachhaltige Energieerzeugung und Energienutzung in den Vordergrund stellen, werden Export- und Importvolumen in beiderlei Richtungen weiterwachsen. Türkiye hat, seit sich das Land dem Stichwort „Türkiye als Markenzeichen“ unterstellte, weltweit bewiesen, dass ein vormaliges Zuliefererland in den letzten zwanzig Jahren ein global führender Hersteller von Top-Endprodukten geworden ist.

Man denke hier nur an große Haushaltsgeräte, die sogenannten „white goods“, und an die Tatsache, dass, ohne Werbung für eine bestimmte Firma zu machen, ein türkisches Unternehmen, welches seit 1990 im Vereinigten Königreich aktiv ist, dort schon seit vielen Jahren der Marktführer bei Umsätzen ist. Verbesserter Zugang zum britischen Markt und umgekehrt sieht wie eine perfekte Win-win-Situation aus. Und schön zu sehen, dass, egal ob alte oder neue Regierung in London, bilaterale Beziehungen von enormer Bedeutung sind.

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