Saudi-Arabien zog seinen Botschafter aus Beirut zurück, verwies den libanesischen Botschafter aus Saudi Arabien und blockierte alle Importe aus dem Libanon. Die unter saudischem Einfluss stehenden Regime in Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait schlossen sich an. Die Emirate verboten ihren Staatsbürgern, in den Libanon zu reisen.
Diplomatische Eskalation
Diese Maßnahmen kamen als Reaktion auf Kommentare des libanesischen Informationsministers George Kordahi. Dieser sagte in einem Interview noch vor seinem Amtsantritt vor einigen Monaten, der von Saudi-Arabien seit 2015 geführte Krieg im Jemen sei sinnlos und solle beendet werden.
Laut UN befindet sich der Jemen in der schlimmsten humanitären Krise. Hunderttausenden Kindern droht der Hungertod. Der Krieg wird zunehmend international scharf kritisiert. Auch enge Verbündete des Regimes, darunter sogar die USA, äußerten Kritik. George Kordahi hat somit nichts Außergewöhnliches gesagt.
Das saudische Regime forderte eine Entschuldigung und den Rücktritt Kordahis sowie der gesamten libanesischen Regierung. Einige libanesische Politiker sowie die Arabische Liga befürworten einen Rücktritt. Doch wie lässt sich die Reaktion Saudi-Arabiens erklären?
Tatsächlich geht es hier nicht um die Kommentare des libanesischen Informationsministers, sondern eher um Saudi-Arabiens schwindende Macht in der Region. Das Regime erlitt mehrere Niederlagen in Jemen. Wie der Jemen zeigt auch der Libanon die Grenzen der saudischen Macht auf.
Der saudische Kampf gegen den Iran und dessen Verbündete in der Region findet auch im Libanon statt. Auch die neueste Eskalation ist eine Reaktion auf die Macht der libanesischen Widerstandsbewegung und politischen Partei Hezbollah, die für das saudische Regime Unsicherheiten auslöst.
Hezbollah erhielt bei den letzten Parlamentswahlen 2018 die größte Anzahl an Stimmen und befindet sich weiterhin in einer Koalition mit der christlichen „Freien Patriotischen Bewegung“ des Staatspräsidenten Michel Aoun. Saudi-Arabien unterstützt hingegen die pro-amerikanischen Gegner dieser Koalition.
Im Gegensatz zu den von den USA und der EU unterstützten Monarchien im Golf ist der Libanon eine parlamentarische Republik mit demokratischen Strukturen. Durch die Forderung, Hezbollahs Rolle im Libanon zu schmälern, versucht Saudi Arabien seine repressive Diktatur auf die Region auszuweiten.
Arabischer Boykott gegen den Libanon
Die Schmutzkampagne gegen George Kordahi und die Versuche, die libanesische Regierung durch den diplomatischen Boykott einzuschüchtern, kommen zu einem prekären Zeitpunkt.
Der Libanon befindet sich weiterhin in einer beispiellosen Krise. Politische Instabilität, wirtschaftlicher Kollaps und Hyperinflation haben den Alltag im Land in den letzten zwei Jahren zunehmend erschwert. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt heute unterhalb der Armutsgrenze.
Aufgrund von US-Sanktionen gegen wirtschaftliche Partner wie Syrien und Iran sowie gegen Parteien im Libanon befindet sich das Land in einer Art Blockade. Seit Monaten sind Strom und Benzin knapp.
Saudi-Arabien und die Emirate gehören zu den wichtigsten Exportpartnern des Libanons. Der Abbruch wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen wird dem Libanon schaden. Doch könnte genau dies das Ziel sein.
Geopolitische Rekonfiguration
Wie die USA und Israel verfolgt auch Saudi-Arabien das Ziel, Hezbollah zu entmachten oder zumindest zu schwächen. Die Bewegung wird von den USA, Israel, arabischen Verbündeten und Deutschland als Terrororganisation eingestuft.
Doch ist Hezbollah nicht nur ein wichtiger politischer Akteur, der weiterhin Unterstützung innerhalb des Landes genießt. In mehreren Gebieten im Libanon stellt Hezbollah soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Dienste bereit und ergänzt somit die Infrastrukturen des schwachen Zentralstaates.
Hezbollah ist aber auch eine regionale militärische Macht, die maßgeblich an der Befreiung des Libanon im Jahr 2000 beteiligt war, nachdem sich der Süden des Landes zwei Jahrzehnte lang unter illegaler israelischer Militärbesatzung befunden hatte. Bis heute stellt die Bewegung eine substantielle Abschreckung und Verteidigung gegen Israel dar.
Die nun offene Kollaboration zwischen dem israelischen Regime und den Golfdiktaturen bringt die gemeinsamen Interessen dieser Regime erneut zum Vorschein. Die Abhängigkeit von den USA und die Fortführung der anti-iranischen Rhetorik sind signifikante Schnittpunkte, die zu einer Rekonfiguration in der Region geführt haben. Tatsächlich unterhalten die Golfregime nunmehr teilweise engere Beziehungen zu Israel als zum arabischen Land Libanon.
Saudischer Einfluss schwindet
Doch waren die Ziele Israels und Saudi-Arabiens im Libanon bislang wenig erfolgreich, trotz wiederholter Eskalationen.
Bereits im November 2017 war es zum diplomatischem Bruch zwischen dem Libanon und dem saudischen Regime gekommen. Damals las der libanesische Premierminister Saad Hariri live im saudischen Staatsfernsehen, sichtbar unter Druck, seine Rücktrittserklärung vor. Der Libanon behauptete, Hariri sei vom saudischen Regime entführt worden. Berichten zufolge soll Hariri in Saudi-Arabien festgehalten und gefoltert worden sein.
Auch Hariri erwies sich für das saudische Regime als ineffektiv
Als letzter saudischer Partner im Libanon fungieren heute die „Lebanese Forces“, eine christliche politische Partei und bewaffnete Miliz, die sich im politischen Spektrum rechts außen befindet, gute Beziehungen zu den USA pflegt und in der Vergangenheit mit dem israelischen Regime kollaboriert hat. Die von dem verurteilten Kriegsverbrecher Samir Geagea geführte Partei ist für mehrere Massaker im Libanon verantwortlich. Geagea selbst hatte Kirchen bombardieren lassen und christliche Rivalen ermordet. Die Partei verfolgt eine Rhetorik der Polarisierung und befürwortet teilweise eine Kantonalisierung des Landes nach religiösen Linien.
Im Oktober kam es zu einem Massaker in Beirut. Bei einem Protest vor dem Justizpalast wurden mehrere Demonstranten erschossen. Unter den Opfern war auch eine Mutter von fünf Kindern, die sich in ihrer Wohnung aufhielt. Auch wenn die Lebanese Forces nicht offiziell die Verantwortung übernahmen, priesen Abgeordnete der Partei die Tat. Mehrere bewaffnete Mitglieder wurden in Zusammenhang mit dem Massaker verhaftet.
Versuche wie dieser, Hezbollah in einen bewaffneten Konflikt im Land zu verwickeln, scheiterten jedoch bislang.
Saudi-Arabiens wachsende Frustration und anhaltende politische Interessen müssen auch in diesem Kontext als Gefahr gesehen werden, vor allem für die Souveränität des Libanon. Während der Libanon mit mehreren Krisen zu kämpfen hat und sowohl innenpolitisch als auch auf internationaler Ebene geschwächt ist, werden die Versuche von außen, das Land weiter zu destabilisieren, wahrscheinlich anhalten. Dies dürfte vor allem für die bereits unter der Wirtschaftskrise leidende Bevölkerung negative Konsequenzen haben.