Die Debatte am 27. Juni zwischen dem Republikaner Trump und dem Demokraten Biden war noch sehr früh im Wahlzyklus, denn die nächste amerikanische Präsidentschaftswahl wird erst am 5. November stattfinden. Bis dahin lieferten sich Trump und Biden ein sehr enges Rennen in den Umfragen, wobei umfragetechnisch der Vorteil eindeutig bei Trump lag. Die strafrechtliche Verurteilung von Trump in erster Instanz im sogenannten „Schweigegeldprozess“ konnte Biden nicht wirklich einen Vorteil verschaffen. Die umstrittene Grundsatzentscheidung des US-Verfassungsgerichtshofes über präsidentielle Immunität bei Amtshandlungen impliziert, dass bei anderen angestrengten Prozessen gegen Trump diese erst einmal in eine Warteschleife kommen, da sie nun neu bewertet werden müssen. Auswirkungen auf den Schweigegeldprozess sind ebenfalls nicht auszuschließen, das Strafmaß gegen Trump wird der zuständige Richter Juan Merchan frühestens am 18. September verkünden, wobei Trump bereits ankündigte, dagegen in Berufung zu gehen. Hatten also die Demokraten jemals die Strategie, Trump mit Prozessen bei seinen Wiederwahlmöglichkeiten im November einzuschränken, so ist diese politische Strategie nicht aufgegangen.
TV-Duell führt zur Harris-Kandidatur
Bei der TV-Debatte am 27. Juni bot Biden eine schwache Darbietung, wirkte über Strecken wie ein deutlich gealterter Mann, dem das Diskutieren Mühe bereitete. Biden stürzte in den Umfragen ab, der innerparteiliche Druck auf ihn stieg, aus dem Rennen auszusteigen. Schließlich gab Biden Ende Juli bekannt, nicht mehr für das Präsidentenamt zu kandidieren. Damit wurden die Karten neu gemischt, die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris konnte ins Rennen gehen. Ihre offizielle Nominierung auf dem demokratischen Parteikongress in Chicago (19.-22. August) ist nur noch Formsache, bietet jedoch Möglichkeiten einer guten medialen Inszenierung. Hätte diese erste TV-Diskussion zwischen Trump und Biden später stattgefunden, so hätten die Demokraten ihren präsidentiellen Spitzenkandidaten nicht mehr austauschen können, wären gleichermaßen gefangen gewesen mit Biden und höchstwahrscheinlich auf eine Wahlniederlage bei der Präsidentschaftswahl zugesteuert. Die TV-Debatte gab den Demokraten nochmals Zeit, neue Strategien mit Kamala Harris zu entwickeln.
Trump und Amerikas Demokratie
Trump fügt sich nicht in übliche Schemata des Konservatismus der US-Republikaner. Vielfach erfüllt Trump Kriterien eines Rechtspopulismus. Dies zeigt sich auch in seiner außenpolitischen Ausrichtung. Er machte immer wieder Sympathiebekundungen für den britischen Brexit-Architekten Nigel Farage oder den deutlich rechts stehenden nationalkonservativen Langzeitregierungschef von Ungarn, Viktor Orbán. Auch in Bezug auf Russland und dem Ukraine-Krieg ist eine andere Herangehensweise der USA unter Trump zu erwarten. Der Republikaner betonte oftmals seine Intention, dass er rasch Frieden in der Region herstellen möchte. Trumps NATO-Politik würde sich ebenfalls gegenüber Bidens Allianzpolitik zumindest teilweise unterscheiden. Konkrete Prognosen aufzustellen, das ist zu diesem Zeitpunkt aber schwierig.
Die „emotionale Intelligenz“ des Wählens
Trumps ursprüngliche Wahlkampfstrategie war ganz auf Biden ausgerichtet. Mit Kamala Harris und Tim Walz erfanden sich die Demokraten für die kommende Präsidentschaftswahl aber neu, und dies verlangt von Trump eine Repositionierung. Kam die Wahlkampagne von Biden nie wirklich in Fahrt, gelang Harris ein überzeugender Start, der die Wählerbasis der Demokraten gleichermaßen mobilisierte und energetisierte. Wählermobilisierung wird auf beiden Seiten entscheidend sein. Wie Fareed Zakaria auf CNN betonte, sind Wahlpräferenzen nicht nur rationale Entscheidungen, sondern es geht hier auch um Formen von „emotionaler Intelligenz“ und „emotionaler Verbindung“: Können Spitzenkandidaten ihre potenziellen Wähler auch in einer Sprache adressieren, die deren Lebenswelten gut abbildet? Die Wahl des demokratischen Gouverneurs von Minnesota, Tim Walz für das Ticket des demokratischen Vizepräsidenten folgt dieser Logik. Die „Chemie“ zwischen Harris und Walz ist gut, womit sie sich bei gemeinsamen Auftritten gut ergänzen. Ferner ist Walz ein Meister der „einfachen Sprache“, dessen Leben über weite Strecken dem Leben eines „durchschnittlichen“ Amerikaners entspricht. Walz hat Humor, so wie er bei einer Rede in die Menge rief: „Thank you for bringing back the joy“ („Danke dafür, dass ihr die Freude zurückgebracht habt“).
Versuchtes Attentat bringt Trump Vorteile
Bisher verzichtete Harris über weite Strecken auf Interviews und Pressekonferenzen, setzte mehr auf konsistentes Messaging im öffentlichen Raum. Ihr besonderes Alleinstellungsmerkmal ist, dass sie im Falle eines Wahlsieges die erste Frau wäre, die das amerikanische Präsidentenamt übernimmt. Die erste weibliche Vizepräsidentin der USA ist sie bereits. Kamala Harris kann auf eine multi-ethnische Herkunft verweisen. Ihre Mutter stammt aus Indien, ihr Vater aus Jamaika. Die USA sind eine Gesellschaft geprägt durch Migration. Familienbiographisch sollte Migration für Harris tendenziell positiv besetzt sein. Gleichzeitig muss Harris versuchen, durchaus verschiedene Wählergruppen in den USA anzusprechen und hier breitere Wählerallianzen aufbauen. Genau in diesem Sinne wirft Ronald Brownstein im „The Atlantic“ die Frage auf, ob es Harris gelingen wird, wiederum eine „Obama-Koalition“ zustande zu bringen. Es ist das Grundverständnis, gesellschaftliche Diversität in einer pluralistischen politischen Bewegung abzubilden. Mit Tim Walz, einem „weißen“, nicht mehr ganz so jungen Mann aus dem mittleren Westen der USA, entschied sich Harris für einen Vizepräsidenten, der sie komplementär ergänzt. Donald Trump hat dagegen mit dem versuchten Attentat gegen ihn ebenfalls ein gewisses Momentum auf seiner Seite. Mit der schnellen Reaktion direkt nach dem bewaffneten Angriff gegen seine Person konnte er sich als „starker Mann“ vor den Amerikanern und der ganzen Welt präsentieren. Für das Amt des Vizepräsidenten wählte Trump als Kandidaten JD Vance, der mehr wie ein politischer „Klon“ von Trump wirkt, nur eben jünger.
Präsidentschaftswahl noch offen
In der Mehrzahl der nationalen Umfragen führt derzeit Harris vor Trump. In einzelnen Umfragen in Wechselwählerstaaten wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin liegt Harris ebenfalls vorn. Unzufriedene Wähler, die gleichermaßen Biden und Trump ablehnten (sogenannte „Double Haters“), scheint Harris besser ansprechen zu können. Da Harris keine amtierende Präsidentin ist, kann sie sich voll auf ihren Wahlkampf konzentrieren und vielleicht das politische Kunststück vollbringen, sich in der Gestalt einer „Oppositionspolitikerin“ zumindest teilweise neu zu erfinden. Wie der aktuelle analytische „Cook Report“ aufzeigt, ist der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl diesen November noch offen. Die Wahlen werden auf jeden Fall ein Kopf-an-Kopf-Rennen sein. Die allgemeine Erwartung ist ein äußerst knapper Ausgang.