26.09.2021, Berlin: Anhänger der SPD reagieren im Willy-Brandt-Haus auf die ersten Ergebnisse der Bundestagswahl. (dpa)
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Die Bundestagswahlen haben eines verdeutlicht: Deutschland möchte wieder durch Parteien der Mitte regiert werden. Es führt kein Weg vorbei an den Liberalen und der Ökopartei. Sowohl in einem Jamaika-Bündnis als auch in der Ampel-Koalition werden Grüne und FDP gebraucht. Das wissen beide Parteien allzu gut: Sie treffen sich für Sondierungsgespräche und veröffentlichen davon dann ein Selfie in den sozialen Medien, das viral geht. Damit verdeutlichen sie zugleich, wer hier neuerdings den Ton angibt. Außerdem wird offensichtlich: Grüne und FDP sind up to date, sie sind hip und modern. Sie verstehen die sozialen Medien zu nutzen. Das kommt gut an bei jungen Menschen. Die Bundestagswahlen haben aber auch gezeigt, dass extreme Parteien jenseits der Mitte deutliche Einbußen verzeichnen mussten.

Vor allem Grüne und FDP kommen bei den Jungwählern gut an

Ginge es nach den jungen Wählerinnen und Wählern, würde die Präferenz für eine Regierung der Mitte noch deutlicher sichtbar werden. Einer Umfrage von „Infratest dimap“ zufolge wählten am Wahltag 23 Prozent der Menschen unter 25 Jahren die Grünen. Das ist ein Zuwachs von 10 Prozent im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2017. Etwas dahinter lag die FDP mit 21 Prozent (+9 Prozent), gefolgt von der SPD mit 15 Prozent (-4 Prozent). Die CDU/CSU schnitt bei den unter 25-Jährigen deutlich schlechter ab und kam auf lediglich zehn Prozent (-14 Prozent). Linke und AfD erhielten von den Jungwählern nur acht (-3 Prozent) beziehungsweise sieben Prozent (-3 Prozent). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die jungen Menschen in Deutschland ein Weiter-so nicht bevorzugen. Sie scheinen der 16-jährigen Herrschaft Angela Merkels und der ihrer Meinung nach verlorenen Jahre der Großen Koalition überdrüssig zu sein. Die Jungen, aufgewachsen in einer digitalen Welt der technologischen und klimatischen Transformation, fordern eine neue Ära des Umbruchs, der Veränderung und Neugestaltung. Dem Wunsch nach Zukunftsorientiertheit scheinen am meisten FDP und Grüne zu entsprechen. Auch die Corona-Krise hat sicher tiefe Spuren bei der jüngeren Generation hinterlassen. Schließungen von Schulen, Universitäten, Sportvereinen, Clubs, Diskotheken und weiteren Freizeitmöglichkeiten, aber auch technische und digitale Defizite im Bildungsbereich haben die Jugendlichen deutlich getroffen. In der Tat war es während der Corona-Pandemie vor allem bei Schülerinnen und Schülern aus sozial schwachen Schichten und prekären Verhältnissen zu Engpässen mit digitalen Lernmaterialien und technischen Endgeräten wie Laptops und Tablets gekommen. Schulen klagten oft über mangelnde Ausstattung, ganz zu schweigen von Lehrerinnen und Lehrern, die teilweise nicht in der Lage waren, mit digitalen Medien umzugehen. Darüber hinaus beanstandeten viele Jugendliche die Kontaktlosigkeit oder Nachteile in der Schulbildung. Grüne und FDP haben nicht nur mit ihren Forderungen nach Modernisierung des Bildungsapparats, Stichwort: Digitalisierung, sondern auch in der Frage der Verteidigung der Freiheitsrechte am meisten Vertrauen unter den Jugendlichen erweckt.

Wieso die FDP bei den Jüngeren punktete

Im Gespräch mit einem Nachrichtenportal sieht der Politikwissenschaftler Uwe Jun vor allem vier Gründe, warum junge Menschen im Gegensatz zu früheren Jahren die Liberalen wählten: Freiheitsrechte, Digitalisierung, Bildungsgerechtigkeit und die Präsenz sowie Kompetenz in sozialen Medien. Jun weist darauf hin, es sei vor allem die FDP gewesen, die ihre Stimme für individuelle Bürgerrechte erhoben habe, während andere Parteien in der Corona-Krise Lockdowns befürwortet und umgesetzt hätten. Dies habe junge Wählerinnen und Wähler genauso angesprochen wie andere Positionen, zum Beispiel die Liberalisierung der Drogenpolitik, etwa die Legalisierung von Cannabis. Die FDP sei außerdem die Partei gewesen, die das Thema Digitalisierung bereits vor den übrigen Parteien besetzt habe. Die anderen Parteien seien viel zu spät auf diesen Zug aufgesprungen, wodurch sie Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten. Überdies hätten, so Uwe Jun, die Liberalen mit Christian Lindner einen Spitzenkandidaten gehabt, der in den sozialen Medien präsenter gewesen sei als viele andere Politikerinnen und Politiker.

Gründe für die Beliebtheit der Grünen unter Jugendlichen

Wieso die Grünen bei den Jugendlichen hoch im Kurs sind? Dies liegt zunächst einmal an den klassischen Positionen der Partei beim Thema Klima- und Artenschutz. Aber nicht nur Umweltfragen bewegen die jungen Menschen. Die unter 25-jährigen Wählerinnen und Wähler der Grünen sind oft sozial orientiert. Die „Fridays for Future“-Demos werden mit den Grünen assoziiert, obwohl unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Aktionen auch andere Gruppierungen mitmarschieren. Die „Fridays for Future“-Demos sind so etwas wie die Anti-Atom- und Anti-Kriegs-Demos der 80er- und 90er-Jahre. Zudem haben die jungen Unterstützerinnen und Unterstützer der Grünen ein Faible für das Thema Gleichberechtigung. Homosexuelle, Transsexuelle und weitere Diverse können sich in der Partei wiederfinden. Diese „Generation Gender“ fühlt sich bei den Grünen richtig aufgehoben und repräsentiert.

FDP eher bei jungen Männern, Grüne eher bei jungen Frauen beliebt

Ein Unterschied zeigt sich allerdings im Wahlverhalten der Geschlechter. Besonders viele junge Frauen haben die Grünen gewählt. Für die FDP entschieden sich dagegen eher die jungen Männer: So wählten 26 Prozent der jungen Frauen, aber nur 20 Prozent der jungen Männer zwischen 18- und 24 Jahren die Grünen. Für die FDP entschieden sich 27 Prozent der jungen Männer, aber nur 16 Prozent der 18 bis 24-jährigen Frauen. Zudem kann jetzt schon gesagt werden, dass der künftige Bundestag einer der jüngsten sein wird: Insgesamt verjüngt sich das Parlament so sehr, dass knapp 30 Prozent der Abgeordneten 40 Jahre oder jünger sind. Im Vergleich dazu waren im 2017 gewählten Bundestag gerade mal 15 Prozent so jung. Eine Verdopplung. Bei den unter 30-Jährigen sind die Grünen an erster Stelle. Insgesamt 21 Personen unter 30 sitzen demnächst für die Grünen in Berlin. Zum Vergleich: Für die Sozialdemokraten sitzen 18 Abgeordnete unter 30 im Parlament. Die FDP hat fünf und die CDU drei Abgeordnete, die unter 30 Jahre alt sind. Die AfD hat einen Abgeordneten unter 30, und die Linke kann keinen Vertreter dieser Altersklasse vorweisen. FDP und Grüne bieten dem zukünftigen Koalitionspartner, sei es CDU oder SPD, einen Jungbrunnen. Die politische Zukunft Deutschlands ist jung.

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