Nach den diversen Versprechern, der deutlich sichtbaren Abnahme der motorischen Fähigkeiten und zunehmenden Anzeichen dementem Verhaltens des greisen, 81-jährigen US-Präsidenten Joe Biden ist Kamala Harris im August 2024 zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gekürt worden.
Diese Entscheidung wurde in der breiten deutschen Öffentlichkeit mit Erleichterung aufgenommen. Für Deutschland wäre es ein Schreckensszenario, wenn der republikanische Kandidat Donald Trump, auf dem im Juli 2024 ein Attentat verübt wurde, ein zweites Mal zum US-Präsidenten gekürt würde. Diese Vorstellung beunruhigt schon seit Längerem – sowohl die Öffentlichkeit und Politik als auch die Industrie und Unternehmenswelt in Deutschland.
Deutsche unterstützen Kamala Harris
Ginge es nach den Mainstream-Medien und den Menschen in Deutschland, sind die Sympathien klar verteilt: So wie der Großteil der deutschen Medien wünscht sich auch die Mehrheit der Deutschen einen Sieg der demokratischen Präsidentschaftsbewerberin mit indischen Wurzeln. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos hoffen aktuell etwa zwei Drittel (67 Prozent) der Deutschen, dass sich Harris am Ende gegen Trump durchsetzt.
Der republikanische Präsidentschaftskandidat kommt demnach auf nur zwölf Prozent. Schon im August bekundete die Mehrheit der Deutschen ihre offene Sympathie für die demokratische Präsidentschaftsanwärterin. Laut des ARD-Deutschlandtrends sprachen sich damals 77 Prozent der Befragten in Deutschland für die 60-Jährige aus. Trump kam nur auf zehn Prozent der Stimmen. Bei einem Wahlsieg Trumps befürchten 81 Prozent der Deutschen Schwierigkeiten für ihr Land.
Abneigung gegenüber Trump in Deutschland und Europa unverkennbar
Die deutschen Parteien der politischen Mitte (CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne) stufen mit einigen Ausnahmen Trump als Risiko ein, da Trump als potenzielle Gefahr für das globale-transatlantische System gesehen wird. Harris dagegen stünde für transatlantische Kontinuität, womit sich Deutschland besser anfreunden kann.
Experten sprechen offen aus, dass Trump den deutschen Interessen schade. Viele deutsche Politiker erinnern sich noch mit Schrecken an Trumps erste Präsidentschaft. Schon damals, also vor acht Jahren, als der Republikaner sich auch damals schon mit einer demokratischen Kandidatin maß, wurde die deutsche Politik von Trumps Wahlsieg überrascht.
Medien und Politik hatten 2016 die Öffentlichkeit auf einen Sieg von Hillary Clinton eingeschworen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2016 noch als Außenminister amtierte, bezeichnete Trump im US-Wahlkampf als einen „Hassprediger“.
Erst beim G7-Gipfel in Italien im Juni dieses Jahres machte Bundeskanzler Olaf Scholz seine Anti-Trump-Haltung deutlich, als er offen für die Demokraten Partei ergriff. Diese eindeutige Parteinahme kann in der Diplomatie und den internationalen Beziehungen jedoch als politischer Fauxpas betrachtet werden. Andere Staaten wie Türkiye haben sich in dieser Hinsicht neutral, also diplomatischer und ausgewogener, verhalten.
Beziehungspflege im Interesse Deutschlands
Schon die Beziehung zwischen Angela Merkel und Trump galt als kühl und angespannt. John Bolton, Ex-Berater von Donald Trump, sprach gar über eine tiefe Abneigung des US-Präsidenten gegenüber der Bundeskanzlerin.
Die Ära Biden bedeutete dagegen eine Wiederannäherung in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Ferner stabilisierte sich unter der Amtszeit von Biden die transatlantische Bindung. Allerdings wuchs auch die sicherheitspolitische Abhängigkeit Deutschlands von den USA, nicht zuletzt durch den Konflikt in der Ukraine, also durch die „Zeitenwende“, die durch diesen Krieg verursacht wurde.
Es läge im nationalen Interesse Deutschlands, wenn die deutsche Politik jetzt anders mit Trump umginge. Die hiesige Politik und Diplomatie waren traditionell bekannt dafür, in den internationalen Beziehungen stets auf alle Szenarien vorbereitet zu sein. Bei der ersten Amtszeit von Trump 2016, aber auch bei dem plötzlichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2021 haben deutsche Stellen allerdings regelrecht geschlafen. Was die Sache verschlimmert, ist, dass deutsche Nachrichtendienste immer noch vermehrt auf Unterstützung ausländischer Partner angewiesen sind.
Sicherheitspolitisch abhängig
Wenn die USA in Zukunft andere Prioritäten setzen, was wahrscheinlich ist, wird sich Deutschland neben seinen europäischen Partnern um seine eigene Verteidigung kümmern und auch die Hauptlast der Unterstützung der Ukraine von den USA übernehmen müssen. Und das in einer Zeit, wo die Deutschen müde geworden sind, die Ukraine/r – auch in Deutschland – zu unterstützen.
Der Wunsch, dass Deutschland und Europa sich mehr um ihre eigene Sicherheit kümmern sollten, ist zwar nicht neu. Denn Trump hatte diese Forderung während seiner Präsidentschaft von 2016 bis 2020 mehrfach betont. Allerdings ist die Situation heute eine andere als vor der ersten Amtszeit Trumps. Die Ordnung der Welt, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, befindet sich gerade in einer Phase der Erneuerung.
Deutschland und Europa sind heute noch verwundbarer als 2016, weil man sicherheitspolitisch noch immer stark von den USA als Führungsmacht der NATO abhängig ist. Auch der Krieg im Nahen Osten könnte für die EU noch Folgen haben. Stichwort: Migration und Flüchtlingsströme.
Dass die USA auch bei einem Wahlsieg Trumps als der wichtigste Verbündete Europas und Deutschlands bestehen bleiben, wird sich nicht ändern. Realistisch betrachtet sind Europa und Deutschland ohne die Vereinigten Staaten nicht sicher. Das gilt heute und auf absehbare Zeit.
Politik bereitet sich auf Trump vor und sucht nach Alternativen
Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass sich deutsche Politiker und die EU, die Trump als „Mini-China“ bezeichnet, schon auf eine mögliche zweite Amtszeit Trumps vorbereiten. Die größte Herausforderung für Deutschland bei diesen Vorbereitungen ist jedoch die Unberechenbarkeit Trumps. Denn niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Punkte von Trumps Agenda in einer möglichen zweiten Amtszeit umgesetzt werden.
Europa und Deutschland werden daher zunächst versuchen, die eigene Beweglichkeit zu stärken, zum Beispiel durch eine Wiederbelebung der Beziehungen zu Türkiye. Die jüngste Annäherung zwischen Deutschland und Türkiye und der Wunsch nach einer Wiederbelebung der strategischen Beziehungen, inklusive der Regierungskonsultationen, können daher sowohl für Türkiye als auch Deutschland eine Kette von Chancen eröffnen.
Trumps Affinität zu populistischen Rechten und globalisierungskritischen Kreisen
Die Fortführung der distanzierten Haltung einer möglichen Trump-Regierung gegenüber Deutschland könnte sich auch bei einem weiteren Punkt erkennbar machen: Trump hatte während seiner ersten Amtszeit versucht, die rechtsextremen Parteien und Gruppierungen innerhalb der EU zu stärken und somit die europäischen Staaten gegeneinander auszuspielen.
Sein ehemaliger Chefberater Steve Bannon („Anti-Soros“) hatte in dieser Frage die Hauptrolle und unternahm wichtige Schritte, um die globalisierungskritischen sowie rechten Kräfte in Europa zu vereinen.
Trump macht zudem keinen Hehl daraus, eine neue internationale Ordnung zu unterstützen, in der das globale, transatlantische System reformiert wird. Sollte Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen und diese Politik fortführen, könnten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA weiter merklich abkühlen.
Es gibt derzeit zwei Parteien in Deutschland, die mit Trump durchaus gut kooperieren könnten: die AfD und das BSW. Da aber eine Regierung in Deutschland mit Beteiligung dieser Parteien derzeit unwahrscheinlich ist, wäre es angebracht, dass beide Seiten nach Möglichkeiten suchten, ein einigermaßen konstruktives Verhältnis zueinander zu pflegen.
Stolperstein Wirtschafts- und Handelsbeziehungen
Zudem könnte die Fortsetzung der protektionistischen Handelspolitik einer möglichen Trump-Regierung zu neuen Spannungen in den Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA führen. Die Androhung von Zöllen, besonders im Automobilsektor, könnte wieder aufleben und einen Handelskrieg zwischen den beiden Ländern anheizen.
Zusätzliche US-Zölle gegenüber Europa würden sich negativ auf die deutsche Industrie auswirken. Laut dem Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) könnten neue Zölle die deutschen Autoexporte weltweit im schlimmsten Fall um 32 Prozent reduzieren. Darüber hinaus prognostiziert das gleiche Negativszenario, dass die deutsche Wirtschaft in den Jahren 2027 und 2028 um 1,5 Prozent schrumpfen würde.
Ein „Schock 2.0“?
Trump hatte bei einer Wahlkampfrede in den vergangenen Wochen angekündigt, internationale Unternehmen, besonders deutsche Automobilhersteller, mit steuerlichen Anreizen in die USA locken zu wollen. Trumps Aussage ist aber vor allem an die Bedingung geknüpft, dass die Unternehmen in den USA produzieren und US-Amerikaner beschäftigen.
Das wäre ein weiterer, herber Schlag für den derzeit angeschlagenen deutschen Arbeits- und Automobilmarkt. Sowohl für die Produktion als auch für Absatz und Beschäftigung in Deutschland würde sich diese Politik negativ auswirken. Der Exportweltmeister würde noch tiefer in die Rezession treiben. Ab dem 6. November wird sich zeigen, ob die Menschen wie schon 2016 mit einem tiefen Schock aufwachen.