Der indische Premierminister Narendra Modi (l), und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schütteln sich die Hände während der Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen in Neu Delhi. / Photo: DPA (dpa)
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Bundeskanzler Olaf Scholz unterstrich bei seinem Besuch in Indien die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit und betonte die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen in einer zunehmend herausfordernden globalen Wirtschaft. Im Austausch mit Premierminister Narendra Modi in Neu-Delhi stellte Scholz fest: „Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, nicht weniger.“ Diese Aussage gewinnt besondere Bedeutung angesichts der globalen Herausforderungen, vor denen sowohl Deutschland als auch Indien stehen. Angesichts steigender geopolitischer Spannungen und der zunehmenden Polarisierung auf internationaler Ebene sind starke, vertrauenswürdige Partnerschaften entscheidend.

Im Rahmen der siebten bilateralen Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Indien wurden daher insgesamt 27 Abkommen unterzeichnet, die den Ausbau der Kooperation in Schlüsselbereichen wie erneuerbare Energien, Forschung, Verteidigung und Fachkräftemigration fördern sollen. Diese Abkommen symbolisieren die Bereitschaft beider Länder, sich als Partner für eine nachhaltige Zukunft zu positionieren und gleichzeitig die wirtschaftlichen und strategischen Interessen zu stärken.

Indien als Partner in Zeiten wachsender Spannungen mit China

Deutschlands Beziehung zu China gestaltet sich seit einiger Zeit politisch und wirtschaftlich angespannt. Grund dafür ist, dass China von Deutschland und dem Westen zunehmend als Gegenpol wahrgenommen wird, was für Deutschland immer größere Herausforderungen mit sich bringt. Indien hingegen tritt nicht als explizit westkritisch auf, sondern strebt nach einer eigenständigen Positionierung. Deutschland benötigt jedoch starke strategische Partner, um im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb bestehen zu können und bestehende Partnerschaften zu stärken. Besonders in den Bereichen Industrie, Automobil und Innovation steht Deutschland in direkter Konkurrenz zu China, weshalb die Zusammenarbeit mit Indien eine strategische Relevanz besitzt.

Ein wesentlicher Aspekt in der deutsch-indischen Partnerschaft ist das Thema Arbeitskräfte. Deutschland sieht sich einem zunehmenden Mangel an qualifizierten Fachkräften gegenüber, was insbesondere in Sektoren wie der IT- und Elektronikbranche problematisch ist. Indien, mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden das bevölkerungsreichste Land der Welt, verfügt über eine erhebliche Anzahl an gut ausgebildeten Fachkräften, insbesondere im IT- und Elektronikbereich. Scholz erklärte, ohne die qualifizierte Zuwanderung aus Indien würde das Defizit an Fachkräften in Deutschland um 20 % höher ausfallen. Laut Statista stieg die Zahl der in Deutschland lebenden Inder von 53.000 im Jahr 2011 auf fast 250.000 im Jahr 2023 an – eine Verfünffachung in nur zwölf Jahren.

Die Bedeutung indischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt wird immer deutlicher. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sind indische Fachkräfte ein entscheidender Faktor, um den wachsenden Fachkräftemangel in Deutschland zu decken. Derzeit liegt das jährliche Defizit an qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland bei rund 540.000 Personen.

Im März 2023 waren bereits 138.000 qualifizierte Inder in Deutschland beschäftigt, viele davon in Berufen mit erheblichem Personalmangel, wie etwa in der Gesundheits- und Altenpflege. Allein in diesem Sektor fehlen derzeit rund 17.000 Fachkräfte, und seit 2012 haben etwa 7.500 Menschen aus Indien die notwendige Anerkennung ihrer Qualifikationen beantragt, um in Deutschland arbeiten zu können.

Diese Zahlen verdeutlichen die Wichtigkeit der indischen Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Doch die Herausforderung bleibt, die bürokratischen Hürden weiter abzubauen und die Integration zu erleichtern, um das volle Potenzial dieser Kooperation zu realisieren.

Herausforderungen und Hindernisse auf dem Weg zu einem Handelsabkommen

Ein weiteres zentrales Ziel des Scholz-Besuchs war es, die Beziehungen zwischen Deutschland und Indien auf eine neue Ebene zu heben, insbesondere durch die Förderung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien. Die Verhandlungen über ein solches Abkommen dauern bereits seit Jahren an, doch Scholz drängt nun auf eine Beschleunigung des Prozesses. Er betonte die Bedeutung dieses Abkommens für die wirtschaftliche Zukunft beider Länder und für die Stärkung der Handelsbeziehungen zwischen Europa und Asien. Premierminister Modi seinerseits betonte die Notwendigkeit, mehr Investitionen aus Deutschland anzuziehen, und begrüßte die Visaerleichterungen für indische Fachkräfte, die den Transfer von Know-how und Talenten zwischen beiden Ländern fördern sollen. Darüber hinaus rief er die deutsche Wirtschaft dazu auf, verstärkt in die Bereiche Technologie, Energie und Innovation in Indien zu investieren.

Obwohl die Signale für eine verstärkte Zusammenarbeit eindeutig sind, bestehen weiterhin Herausforderungen und Hindernisse, die den Fortschritt behindern könnten. Handelsbarrieren, bürokratische Hürden und Unterschiede in der Verteidigungspolitik sind Herausforderungen, die überwunden werden müssen, um die Kooperation zu vertiefen.

Indien als Schlüsselpartner für die Zukunft Deutschlands

Scholz‘ Besuch zeigt, dass Deutschland seine Handelsbeziehungen in Asien intensivieren möchte, während Indien die eigene Position auf dem europäischen Markt stärken will. Ein weiteres wichtiges Anliegen Indiens ist der Zugang zu deutschen Rüstungsgütern. Indien plant eine umfangreiche Modernisierung seines Militärs im Wert von rund 200 Milliarden Dollar und sieht in Deutschland einen potenziellen Partner für diesen Plan. Auf der anderen Seite benötigt Deutschland eine verlässliche Quelle für qualifizierte Fachkräfte und sieht in Indien eine Lösung für seine demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen.

Bisher ist Deutschlands Anteil an den indischen Rüstungseinfuhren allerdings marginal. In den letzten fünf Jahren betrug dieser Anteil nur 1,7 %, während Russland etwa zwanzigmal so viele Waffen an Indien lieferte. Dies deutet darauf hin, dass Deutschland, wenn es ernsthaft Teil von Indiens Aufrüstungsplänen sein möchte, seine Verteidigungspolitik neu überdenken und seine Exportrestriktionen lockern muss.

Abschließend lässt sich sagen, dass eine enge Zusammenarbeit mit Indien für Deutschland sowohl wirtschaftlich als auch strategisch von großer Bedeutung ist. Die Abhängigkeit von China zu verringern, den Fachkräftemangel auszugleichen und die Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu erhalten, erfordert eine intensive Partnerschaft mit einer aufstrebenden Wirtschaft wie Indien – der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt und einer Nation mit einem immensen Pool an qualifizierten Arbeitskräften.

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