Am 26. September wird der 20. Deutsche Bundestag gewählt. Die Bundestagswahl bleibt bis zum Schluss spannend. Die aktuellen Umfragen geben keine Gewissheit, weil sich immer mehr Wahlberechtigte bis zum Wahltag nicht festlegen. Tatsächlich hat dieses Verhalten damit zu tun, dass die Parteibindung sowohl in Deutschland als auch in anderen Demokratien abnimmt. Studien zeigen, dass zwar klassische Lager wie Mitte-Rechts bzw. Mitte-Links bestehen, sich die Parteipräferenz der Wahlberechtigten zugleich jedoch nach Parteiprogramm und Inhalt orientiert und die Bereitschaft, das politische Lager zu wechseln, zugenommen hat. Parteien können sich immer weniger auf ihre Stammwähler stützen. Daher werden die Spitzenkandidaten wohl bis zum Wahltag über den Wahlausgang zittern müssen.
Koalitionsoptionen
Die historische Kanzlerschaft von Angela Merkel, geprägt von nationalen bzw. internationalen Krisen, geht nach 16 Regierungsjahren zu Ende. Damit steht die Bundespolitik vor einer herausragend wichtigen Wahl. Merkel gelang es mit ihrem ausgewogenen Politikstil, Krisen konsequent zu managen oder persönliche Angriffe wie in der Flüchtlingsdebatte mit großer Geduld auszusitzen.
Das künftige Regierungsoberhaupt wird es nicht leichter haben. Die Konsequenzen der Krisen und Strapazen der Weltpolitik belasten die europäische bzw. deutsche Politik mehr denn je. Sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Nachwirkungen der Corona-Krise werden die Politikdebatten weiterhin dominieren.
Die aktuellen Umfragewerte legen zudem nahe, dass die künftige Regierungskoalition aus drei Parteien bestehen wird. Die „Große Koalition“ aus CDU/CSU und SPD, die derzeit regiert, lässt sich rechnerisch wohl nicht mehr erreichen, genauso wenig wie andere Koalitionen aus zwei Partnern.
Für die neue Legislaturperiode wird eine Mehrparteienkombination unausweichlich sein. Die derzeitigen Wahlprognosen lassen einen schwierigen und teilweise langwierigen Regierungsbildungsprozess von mindestens drei Parteien vermuten. Fest steht, dass die Zusammenarbeit mit der AfD für die im Bundestag vertretenen Parteien ausgeschlossen ist. Zudem hat sich Merkels Vertrauter und Kanzlerkandidat Armin Laschet ausdrücklich gegen eine Koalition mit der Linkspartei ausgesprochen. Auch SPD-Kandidat Olaf Scholz distanziert sich von den Linken mit dem Argument, ein klares Bekenntnis zur NATO und zu den transatlantischen Beziehungen sei unabdingbar.
Schenkt man den Meinungsumfragen Vertrauen, hat die sogenannte Ampelkoalition (SPD, Grüne, FDP) gute Chancen, den Regierungsauftrag zu erhalten, trotz grundlegend unterschiedlicher Ansichten in der Steuerpolitik. Auch eine Jamaika-Koalition mit CDU/CSU, Grünen und FDP ist eine Option, in der inhaltlich gemeinsame Ansätze vorhanden sind. Die Vorsatzentscheidung der SPD, „progressiv“ und somit ohne die CDU zu regieren, erschwert die Deutschland-Koalition, die mit dem Bündnis aus SPD, CDU und FDP rechnerisch möglich wäre, allerdings unwahrscheinlich erscheint. Außerdem wäre es schwierig für die CDU, nach zwei Legislaturperioden der „kleine Partner“ der Großen Koalition zu sein. Ein tiefgehender Richtungswechsel in der Bundespolitik wäre eine Koalition der SPD mit Grünen und der Linkspartei. Jedoch bestehen außen- und sicherheitspolitische Meinungsverschiedenheiten als Hindernis für das Mitte-Links-Bündnis.
Jede Stimme zählt, auch die der Migranten!
Der Wahlkampf zwischen den Spitzenkandidaten verschärft sich allmählich. Wahlberechtigte werden mit einer aggressiven Wahlkampagne konfrontiert, die in der deutschen Bundespolitik nicht sehr üblich ist. Aus den Daten des Mikrozensus gehen hervor, dass etwa 7,4 Millionen Wahlberechtigte einen Migrationshintergrund haben (entspricht 12,2% der Wahlberechtigten). Die Anzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund sollte nicht täuschen. Nach einer Studie von Politikwissenschaftler Prof. Arndt Leininger herrscht in der deutschen Politik ein Repräsentationsdefizit von Migranten. Obwohl die Zahl der politisch Aktiven mit ausländischen Wurzeln ansteigt, sind diese weiterhin in Parteien und Parlamenten unterrepräsentiert. Außerdem ist es wichtig, dass sie nicht nur auf sogenannte Migrantenthemen reduziert werden. Bürger mit Migrationshintergrund möchten als Gleichberechtigte mitwirken, sowohl in der Wirtschaft, Bildungs- und Sozialpolitik als auch in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Tatsächlich möchten sich mehr Migranten in der Politik engagieren, sehen aber aufgrund der Hürden keine Aufstiegschancen. Vor allem in Zeiten, in denen die Gesellschaft tief gespalten ist und sich die Stimmen auf unterschiedliche Parteien verteilen, gewinnen die Migrantenstimmen besondere Bedeutung. Die Ungebundenheit der Migranten und ihre Neigung, sich in der ‚politischen Mitte‘ zu engagieren, kann dazu führen, dass sie durch Zusammenstellung von pragmatischen Politikzielen als Wählerschaft gewonnen werden. Immerhin sind sie in vielen Wahlkreisen das Zünglein an der Waage.