Der Mord an Theodoros Boulgarides jährt sich am Mittwoch zum 18. Mal. Der damals 41-Jährige war Mitinhaber eines Schlüsseldienstes. Am 15. Juni 2005 wurde er aus rassistischen Motiven mit drei Kopfschüssen in seinem gerade erst eröffneten Geschäft in München-Westend erschossen. Die Tat geschah nur sechs Tage nach dem Mord an Ismail Yaşar. Der 50-jährige Familienvater wurde vor seinem Dönerimbiss in Nürnberg erschossen.
Behörden ermitteln in die falsche Richtung
Boulgarides war das siebte Opfer der rechtsextremen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die Terroristen benutzten bei der Bluttat dieselbe Waffe wie bei den anderen sechs Opfern zuvor auch – eine tschechische Česká 83.
Unter den NSU-Mordopfern ist Boulgarides der einzige mit griechischem Migrationshintergrund. Acht Opfer der Mordserie stammen aus der Türkei, das zehnte Opfer ist deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter. Boulgarides hinterließ eine Frau und zwei Töchter.
Behörden verdächtigten zunächst seine Witwe Yvonne Boulgarides, etwas mit der Tat zu tun zu haben, und ermittelten im familiären Umfeld. Die trauernden Angehörigen wurden über mögliche Kontakte zu Drogendealern, zur türkischen Mafia, zu Prostitutionsringen und Waffenhändlern befragt. Zeitweise wurde die Witwe sogar verdächtigt, sie habe ihren Mann getötet oder töten lassen. Sein Geschäftspartner wurde wiederholt gefragt, ob Boulgarides sex- oder spielsüchtig gewesen sei. Die Polizei verhörten auch die Töchter und fragten, ob ihr Vater sie sexuell missbraucht habe.
Im NSU-Komplex ermittelte die Polizei während der gesamten Mordserie und darüber hinaus in die falsche Richtung. Im tatsächlich verantwortlichen rechtsextremen Milieu wurde kaum nach möglichen Tätern gesucht. Bis zum 4. November 2011: An jenem Tag enttarnte sich die NSU-Terrorgruppe nach einem missglückten Bankraub selbst und rühmte sich in einem makaberen Video ihrer Mordserie. Entsprechend groß war danach der Aufschrei bei den Sicherheitsbehörden – und der Presse. Denn selbst die Medien stempelten die Morde als Milieukriminalität ab.
„Döner-Morde“ zum Unwort des Jahres 2011 gewählt
Die Münchner Boulevardpresse hatte Meldungen zur Mordserie beispielsweise mit der Schlagzeile „Türken-Mafia schlug wieder zu“ überschrieben. Andere Medien bezeichneten die Taten als „Dönermorde“. Dabei arbeiteten nur zwei der neun NSU-Opfer in einem Döner-Laden. Eine Mordkommission in Nürnberg wurde damals unter dem Namen „SoKo Bosporus“ gegründet. Sprachkritiker wählten später „Döner-Morde“ zum Unwort des Jahres 2011. Der Begriff verharmlose die NSU-Verbrechen, urteilte die Jury.
Seit 2011 ist klar: NSU-Terroristen ermordeten Theodoros Boulgarides. Der Schlüsseldienst war erst wenige Tage vor der Tat eröffnet worden. Von außen deutete nichts auf einen Besitzer mit Migrationshintergrund hin. Zwar verdächtigte die Polizei aktenkundige Neonazis, die offenbar den Tatort inspizierten, verfolgte diese Spur aber nicht weiter. Auch 17 Jahre nach dem Mord an Boulgarides bleibt die Frage, ob die NSU-Terrorzelle Helfer vor Ort hatte, unbeantwortet – wie bei den übrigen NSU-Morden auch.
Fakten zum NSU-Komplex
Zum NSU-Trio gehörten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Nach dem missglückten Banküberfall begingen Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach Selbstmord. Sie waren aufgeflogen, nachdem Zeugen sie bei der kriminellen Tat beobachtet hatten.
Die Polizei fand ihre Leichen in einem ausgebrannten Wohnmobil. Beate Zschäpe sprengte anschließend die gemeinsame Wohnung in Zwickau in die Luft und meldete sich danach mit ihrem Anwalt bei der Polizei. In den darauffolgenden Tagen gingen mehrere Bekennervideos bei Medien, öffentlichen Institutionen und Moscheegemeinden ein.
Der NSU-Prozess war eines der größten, längsten und teuersten Verfahren im Zusammenhang mit Rechtsextremismus in Deutschland. Ein Jahrhundertprozess, bei dem viele Fragen unbeantwortet bleiben. In dem Verfahren ging es um zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe im Juli 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft.
Laut bayerischen Innenministeriums vom Februar bleiben auch nach Ende des Löschmoratoriums sämtliche NSU-Unterlagen langfristig archiviert. Auch die Verfassungsschutzakten würden weiter aufbewahrt, denn diese seien „von bleibendem historischem Wert“. Die Akten des hessischen Verfassungsschutzes bleiben für 30 Jahre unter Verschluss.