Durch den Verkauf eines Anteils in Höhe von rund 20 Prozent an der Shengjing Bank für 10 Milliarden Yuan (etwa 1,3 Mrd Euro) will sich der angeschlagene Immobilienkonzern China Evergrande Luft verschaffen. Käuferin ist eine staatliche Investmentgruppe. Die Shengjing Bank habe verlangt, dass der Nettoerlös aus dem Verkauf zur Begleichung von Verbindlichkeiten des Konzerns gegenüber der Bank verwendet wird.
Die Evergrande-Aktie legte nach der Mitteilung an der Hongkonger Börse um fast 15 Prozent zu. Am Donnerstag gaben die Anteile jedoch wieder etwas nach. Seit Jahresbeginn beläuft sich das Minus auf über 80 Prozent.
E-Auto-Sparte kann Mitarbeiter nicht bezahlen
Die China Evergrande New Energy Vehicle Group räumte ein, dass Mitarbeiter und Lieferanten nicht pünktlich bezahlt worden sind. Die Suche nach einem Käufer oder Investor war bislang nicht erfolgreich. Es bleibe „ungewiss“, ob es gelinge, einen Verkauf zu vollziehen, teilte das Unternehmen mit.
Ein strategisches Investment oder ein Verkauf von Vermögensbeständen sei notwendig, um den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen sowie die Produktion aufrechtzuerhalten. Am Sonntag zog der Konzern zudem den Antrag für ein Zweitlisting an der Börse Schanghai zurück.
„Ich denke, es ist unvermeidlich, dass Evergrande am Ende zahlungsunfähig wird. Denn Tatsache ist, dass das Unternehmen nicht in der Lage ist, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen. Denn wenn man sich die Cashflow-Entwicklung anschaut, ist sie seit 2012 extrem schlecht gewesen“, sagte Daniel Lacalle, Wirtschaftswissenschaftler und Vermögensverwalter in den USA, zum in New York ansässigen chinesischen Dissidentensender „NTD“.
Dominoeffekt für weitere Branchen in China erwartet
Lacalle ist überzeugt, dass der Zusammenbruch von Unternehmen wie Evergrande nicht nur Auswirkungen auf den Wohnungssektor haben wird: „Ein Ansteckungseffekt auf andere Bereiche ist ebenfalls sehr wahrscheinlich, wie zum Beispiel für den Finanzsektor und das Bankensystem.“
Von einem solchen Dominoeffekt ist auch der Ökonom Lu Ting von Nomura überzeugt: „Seine (Anm.: Evergrandes) riesige Bilanz wird einen echten Dominoeffekt auf China haben. Wenn Finanzinstitute Geld verlieren, werden sie die Kreditvergabe an andere Unternehmen und Sektoren einschränken.“
Einen Scheitern Evergrandes könnte einen Kreditcrunch der gesamten chinesischen Wirtschaft zur Folge haben, sagte Chen Zhiwu, Finanzprofessor von der Universität Hongkong, zur „New York Times“. Das wären „keine guten Nachrichten für das Finanzsystem und die Wirtschaft“.
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft
Westliche Rentenfonds, die in den vergangenen Jahren vermehrt chinesische Unternehmensanleihen gekauft haben, bekommen die Auswirkungen der Evergrande-Krise bereits zu spüren. Das „Wall Street Journal“ berichtet, dass entsprechende Fonds der Ashmore Group, von BlackRock und Pacific Investment Management starke Rückgänge zu verzeichnen hatten.
Lacalle ist der Meinung, dass die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften in entwickelten Ländern nicht sehr groß sein werden, abgesehen von den Banken, die stark in den Schwellenländern und in China engagiert sind. Aber die Schwellenländer könnten einen gewissen Schaden erleiden. „China hat eine sehr wichtige Rolle bei der Finanzierung sehr fragwürdiger Projekte in ganz Lateinamerika, den Grenzregionen und Afrika gespielt. Daher werden viele dieser Volkswirtschaften, die sich auf chinesische Kredite für sehr fragliche Projekte verlassen haben, eine Kreditklemme erleben.“
EZB-Chefin Lagarde hält Europa-Risiko für begrenzt Indes beschwichtigen Europas wichtigste Ökonomen eher. „Im Moment sehen wir das auf China konzentriert“, sagte etwa die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, in einem Interview mit dem US-TV-Sender CNBC. „Für Europa kann ich sagen, dass es nur begrenzt direkt betroffen ist.“
Auswirkungen für deutsche Automobilzulieferer
Zur Umsatzsteigerung hat sich Evergrande in den vergangenen Jahren zum Mischkonzern entwickelt mit Geschäftsfeldern wie Versicherungen, Mineralwasser, Fußball und Elektroautos.
Mitte 2019 gründete Evergrande mit der deutschen Hofer-Gruppe das Gemeinschaftsunternehmen Evergrande Hofer Powertrain, wie die „Wirtschaftswoche“ berichtete. Die Chinesen halten seither zwei Drittel der Geschäftsanteile. Das Joint Venture sei zustande gekommen, „um den Anlauf der Produktion in China zu gewährleisten“, teilte ein Sprecher der Hofer Powertrain mit.
Wie es mit dem chinesisch-deutschen Joint Venture nun weitergeht, lässt der Unternehmenssprecher gegenüber der „Wirtschaftswoche“ offen. Das Joint Venture sei „offen für weitere Partnerschaften und gemeinsam mit Hofer Powertrain bereit, Engineering-, Industrialisierungs- und Produktionsprojekte anzunehmen.“ In der letzten verfügbaren Bilanz liegen die Verbindlichkeiten des Gemeinschaftsunternehmens bei rund 56 Millionen Euro.
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Mit dem weiterhin drohenden Kollaps des chinesischen Konzerns Evergrande könnte eine globale Krise hinter der nächsten Ecke warten. Auch die E-Auto-Sparte ist angeschlagen. Wie geht es im Wirtschaftskrimi um Chinas größten Immobilienkonzern weiter?
TRT Deutsch und Agenturen
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