Archivbild – 07.10.2017, Rheinland-Pfalz, Mainz: Bundestrainer Joachim Löw geht nach einer Pressekonferenz zum Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan am offiziellen Logo zur Bewerbung um die Ausrichtung der UEFA EURO 2024 vorbei. (dpa)
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Von wegen Lahme Ente: Der persönliche Befreiungsschlag von „Ich-entscheide“-Bundestrainer Joachim Löw hat rund um die angeschlagene deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Windeseile für völlig neue Konstellationen gesorgt. Nicht mehr die Rolle und die Zukunft des „ewigen Jogi“ stehen plötzlich im Brennglas der Öffentlichkeit, sondern: Kann das Team um Kapitän Manuel Neuer nach 15 Jahren unter Löw seinem Chef bei der Europameisterschaft im Sommer einen glänzenden Abgang verschaffen? Und vor allem: Wer übernimmt den Posten als wichtigster Fußballlehrer des Landes?

Der nach der WM-Pleite 2018, einer weiteren Ernüchterung bei der Premiere der Nations League und natürlich vor allem nach dem jüngsten 0:6-Desaster gegen Spanien arg angeschlagene Löw hat mit seinem angekündigten Abschied nach der Euro im Sommer noch einmal verblüfft – und die größten Probleme Richtung DFB geschoben. Der Verband bekam das postwendend zu spüren: Jürgen Klopp als Nachfolgekandidat Nummer eins, den sich viele Fans wünschen würden, erneuerte seine Absage.

„Dass ich gefragt wurde, ist erstmal eine Ehre. Aber ich sage: Nein, ich habe einen Vertrag, und selbst wenn Liverpool mich hier rausschmeißt: Wenn meine Zeit hier rum ist, werde ich erstmal ein Jahr Pause machen“, sagte der Trainer des englischen Meisters FC Liverpool dem TV-Sender Sky. Und der 53-jährige Klopp bekräftigte: „So funktioniert das einfach nicht. Und dementsprechend: Nein.“

Neben Klopp sind Bayern-Trainer Hansi Flick (56), Ex-Leipzig-Manager und -Trainer Ralf Rangnick (62) und U21-Nationalcoach Stefan Kuntz (58) die heiß gehandelten Kandidaten. Löw muss die sofort begonnene Nachfolge-Diskussion ebenso wenig beschäftigen wie das Dilemma, in dem die Führung des Deutschen Fußball-Bundes um Präsident Fritz Keller nun steckt. Flick, als ehemaliger Löw-Assistent bestens im DFB vernetzt, hat in München noch einen Vertrag bis 2023. Ob eine Zusammenarbeit von Rangnick, bekannt als Stratege weit über die Trainerfunktion hinaus, und DFB-Direktor Oliver Bierhoff funktionieren würde, ist fraglich. Bierhoff schätzt aber, was Rangnick in Leipzig geschaffen hat, erst zuletzt trainierte die Nationalelf auf dem RB-Gelände.

Daum sieht in Stefan Kuntz wahrscheinlichsten Nachfolger

Der ehemalige Bundesliga-Trainer Christoph Daum sieht Stefan Kuntz als den wahrscheinlichsten Nachfolger von Löw. Während der 67-jährige Daum alle anderen möglichen Personalien von Hansi Flick bis Ralf Rangnick als schwierig zu realisieren einstufte, genieße Kuntz ein hohes Ansehen und würde für alle Seiten „die naheliegendste und auch einfachste Lösung“ bieten: „Er ist einer, der beliebt ist, der sich beim DFB sehr gut auskennt“, sagte Daum am Mittwoch der Redaktion RTL/ntv. „Den U21-Trainer zum Chef der A-Mannschaft zu befördern. Nach meinem Dafürhalten bietet sich diese Lösung wahrscheinlich als erste an.“

«Es ist erstmal positiv für die handelnden Personen beim DFB, dass Joachim Löw die Entscheidung jetzt getroffen hat, denn so können die Gespräche nun offensiv angegangen werden, ohne einen Zungenschlag, dass einer hinter dem Rücken von Jogi Löw verhandelt und seine Chancen auslotet“, sagte Daum.

Leipzigs junger Trainer Julian Nagelsmann (33) kommentierte ebenfalls Löws Entscheidung, sein DFB-Engagement nun doch vorzeitig zu beenden. „Ob es der richtige Zeitpunkt für ihn ist? Offensichtlich, sonst hätte er es wahrscheinlich nicht gemacht. Und dann muss man ihm nach dem Turnier auch gratulieren“, so Nagelsmann. Eine „Lame Duck“ wird der 61-Jährige dadurch nicht. Im Gegenteil: Löw hat sich von enormem Ballast befreit.

Löw wird in wenigen Monaten als ein Großer gehen

Endlos-Debatten um eine Rückkehr der von ihm aussortierten Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng, Rücksichtnahme auf Vereine, Sorgen um die Zukunft der Nationalelf, ausufernde Kritik von Experten und Ex-Spielern sowie persönliche Sympathiewerte bei den Fans im Sturzflug – all das hat Löw abgeschüttelt. Nur noch eines zählt für den Weltmeistercoach von 2014: „Ich werde mein Bestes geben, unseren Fans bei diesem Turnier große Freude zu bereiten und erfolgreich zu sein. Ich weiß auch, dass dies für die gesamte Mannschaft gilt.“

Alle Entscheidungen, die Löw jetzt trifft, kann er auf sein letztes großes Event ausrichten. Auch wenn sein Weggefährte Bierhoff sagte: „Uns verbindet im Sommer weiterhin ein großes gemeinsames Ziel.“ Die Reaktion der deutschen Fußball-Prominenz von Rudi Völler („verdient Respekt“) über Berti Vogts („einer der größten Bundestrainer“) und Jürgen Klinsmann („größten Respekt“) bis zu Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus („toller Schachzug“) machen deutlich: Löw wird in wenigen Monaten als ein Großer gehen, vielleicht sogar als Held.

dpa