Wird es einen dauerhaften Frieden zwischen Baku und Jerewan geben? (Others)
Folgen

Aserbaidschan und Armenien haben sich nach eigenen Angaben auf den Großteil des Abkommentextes, der als Grundlage zur Lösung des Konflikts dienen soll, geeinigt. Es seien lediglich 20 Prozent der Streitpunkte noch verblieben, die einer vollständigen Einigung im Wege stünden. Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan nannte keine konkreten Punkte, teilte jedoch mit, dass von den 17 Artikeln des Dokuments 13 vollständig genehmigt und drei teilweise übereinstimmt seien.

Er schlug Aserbaidschan sogar vor, das Abkommen bereits ohne die Klärung der noch strittigen Punkte zu unterzeichnen, diplomatische Beziehungen aufzubauen und dann im Laufe der Zeit die offenen Fragen zu klären. Bereits als der Entwurf zu 70 Prozent fertiggestellt war, hatte er seine Bereitschaft zur Unterzeichnung des Friedensprojekts signalisiert, was viel Kritik auslöste, da die Frage aufkam: Was für ein Dokument ist das, das die Hauptprobleme nicht löst?

Baku hingegen zeigt sich zögerlich, da die essentiellen Punkte im Grunde noch nicht gelöst wurden. Und es gibt viele strittige Themen: Enklaven, die Freigabe von Verkehrskorridoren, Grenzdelimitierung und sogar die Verfassung.

So fordert der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyew von Armenien, Änderungen an der Verfassung vorzunehmen. Das Problem liegt seiner Ansicht nach in einem anderen Dokument – der Unabhängigkeitserklärung Armeniens. Diese wurde im Sommer 1990 angenommen und enthält einen Verweis auf den Beschluss „Über die Wiedervereinigung der Armenischen SSR und Bergkarabach“. Die Präambel der armenischen Verfassung verweist auf diese Erklärung, was laut Baku wie ein juristischer Anspruch auf die Gebiete wirkt.

In Jerewan scheint man zwar bereit zu sein, die Verfassung zu ändern, jedoch ist bislang unklar, ob die Änderungen auch Karabach betreffen werden. Ein Referendum zu diesem Thema könnte 2027 stattfinden. „In der armenischen Verfassung wird Karabach kein einziges Mal erwähnt, daher müsste es zuerst dort aufgenommen werden, bevor es wieder entfernt werden könnte“, kommentierte der armenische Politologe Artur Avakov die Forderung im Gespräch mit TRT Russian.

Gleichzeitig gebe es auch in Jerewan Vorbehalte gegenüber der Verfassung Aserbaidschans, die auf die Unabhängigkeitserklärung von 1918 verweise, fügte Avakov hinzu. „Es wäre gut, wenn Baku seine Verfassung umschreiben würde, um alle Verdachtsmomente eines bösen Willens auszuräumen. Das könnte den Verhandlungsprozess erheblich erleichtern.“

Der aserbaidschanische Politologe Ilgar Velizade bezeichnet solche Vorwürfe als unbegründet: „Paschinjan hat nicht vor, die Hauptforderung Bakus zu erfüllen. Darüber hinaus behauptet er, dass in der aserbaidschanischen Verfassung angeblich Hinweise auf die territoriale Integrität Armeniens zu finden seien. Wenn man das Thema so angeht, ist es wohl schwer anzunehmen, dass dieses Friedensabkommen in naher Zukunft unterzeichnet wird.“

Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Ländern ist der Status der Minsker OSZE-Gruppe im Karabach-Konflikt. Die aktuellen Verhandlungen der Seiten finden ohne Beteiligung von Vermittlern statt. Der aserbaidschanische Präsident Aliyew besteht auf der Auflösung des Formats.

„Die Minsker Gruppe ist Teil der konfliktbeladenen Agenda. Da der Streit im Wesentlichen auf militärisch-politischem Wege gelöst wurde, worin soll dann ihre Rolle bestehen?“, fragt sich Velizade.

In Jerewan lehnt man es kategorisch ab, das Format vor der Unterzeichnung eines Friedensvertrags aufzulösen. Zu den möglichen Bedenken gehört das Risiko, völlig isoliert und ohne Waffen dazustehen. Und obwohl die Minsker Gruppe für die armenische Führung nicht als effektive Plattform gilt, ist sie immer noch besser als gar nichts.

Frieden mit leeren Verspechen?

Der armenische Ministerpräsident Nikola Paschinjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyew. (Others)

Der armenische Regierungschef Paschinjan könnte sich beeilen, einen Friedensvertrag abzuschließen, da er der Bevölkerung irgendetwas präsentieren muss. Im April fiel laut Umfragen seine Beliebtheit beim Volk auf ein historisches Tief von acht Prozent. Um der Bevölkerung Fortschritte in den Gesprächen mit Aserbaidschan zu demonstrieren, schlug er sogar Aliyew vor, ihn an der Grenze zu treffen und strittige Punkte persönlich zu besprechen.

Wenn Aliyew zustimmt, wäre ein Treffen möglich. Ob sie sich auf irgendetwas einigen können, bleibt zunächst unklar. Paschinjan selbst sagte, dass hierfür fast alles bereit sei, ohne keine konkreten Details zu nennen.

„Ich bezweifle die Bereitschaft der armenischen Seite, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen“, so Velizade. „Paschinjan schlägt vor, ihn in seiner sehr gekürzten Form zu unterzeichnen und in der Tat alle problematischen Punkte ungelöst zu lassen.“

Der Politologe weist auch auf das nicht-lineare Verhalten der armenischen Führung in anderen Fragen hin. So habe Paschinjan beispielsweise erklärt, dass Armenien niemals verpflichtet gewesen sei, den Zangezur-Korridor zu öffnen, um die Verbindung des Hauptteils von Aserbaidschan mit Nachitschewan zu verbinden. Dennoch stehe die Unterschrift des armenischen Regierungschefs unter dem trilateralen Abkommen von 2020, das ungehinderten Verkehr zwischen Baku und seiner Exklave garantiert. Laut Velizade ist es unter solchen Bedingungen schwierig, mit jemandem zu verhandeln.

Ein positiver Aspekt sei der Fortschritt bei Fragen, die die Delimitierung und Demarkation der Staatsgrenzen betreffen. Zwar sei die Arbeit der Kommissionen zur Grenzdelimitierung bestätigt worden, jedoch blieben viele Fragen zur Grenzsicherheit noch offen, bemerkte Velizade. „Und eine davon ist: Was macht die europäische Beobachtungsmission an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan? Es scheint, dass eine endgültige Lösung aller Konfliktfragen noch in weiter Ferne liegt.“

Tatsächlich gibt es nach wie vor wenig Klarheit, was die Schlüsselthemen angeht. Und obwohl die Regierungs- und Staatschefs beider Länder die Bedeutung des Beginns eines Friedensprozesses anerkennen, deuten sie dessen Bedingungen auf unterschiedliche Weise.

TRT Deutsch